Ist Wissenschaft auch nur eine Form von Glaube?

Von religiösen Menschen, vor allem von Theologen, wird immer wieder in den Raum gestellt, Wissenschaft sei auch nur eine Form von Glaube. Diesem Denkfehler müssen Argumente entgegen gestellt werden.

Jüngst schrieb ein renommierter Universitätsprofessor, Religions- und Kulturwissenschaftler "… es zeigt sich, dass atheistische Naturwissenschaftler auf die gesamte Weltdeutung schließen wollen… genau und kritisch besehen sind auch die Grundannahmen der Atheisten, der Naturalisten und der Materialisten nur Glaubensannahmen und Vermutungen, aber keine Ergebnisse festen Wissens….."

Dazu kurz gefasst eine Richtigstellung: Was bedeutet "Glaube", bzw. "Glaubensannahme"?

a) Eine Wahrscheinlichkeitsannahme (falsifizierbar!).

b) Eine Erwartung/Hoffnung (falsifizierbar).

c) Ein ideologisches, dogmatisches oder religiöses „für wahr halten“ (nicht falsifizierbar!).

Im Zusammenhang mit (Natur)Wissenschaft bedeutet "Glaube" jedoch ausschließlich "Wahrscheinlichkeitsannahme". Karl Popper schrieb, dass "unser Nichtwissen (…) durch Wahrscheinlichkeit überbrückt und ergänzt" wird. Zeitgemäße Methoden und Erkenntnisse der Wissenschaft basieren im Wesentlichen auf den von Karl Popper formulierten Prinzipien des Kritischen Rationalismus (KR): Danach beruht der Kritische Rationalismus auf der metaphysischen Hypothese, dass es eine reale Welt gibt.

Diese empirisch nicht überprüfbare Hypothese ist für die Naturwissenschaften unverzichtbar, sie ist jedoch kritisier- und prinzipiell falsifizierbar (im Gegensatz zu unkritisierbarer, dogmatischer Metaphysik!). Prinzipiell sollen jedoch metaphysische Annahmen so wenig wie möglich in wiss. Modelle eingehen ("Metaphysik Minimierungsprogramm").

Kritischen Rationalismus ist zudem fallibilistisch, erkenntnisoptimistisch, objektivistisch und intersubjektiv auf der Basis der "Evolutionären Erkenntnistheorie" mit der Grundaussage, dass Wissen grundsätzlich fehlbar und immer vorläufig ist.

Die wichtigsten Grundannahmen des Kritischen Rationalismus:

Es gibt eine Welt "draußen", die in ihrer Existenz und in ihren Eigenschaften unabhängig von unserem Bewusstsein existiert. Rationalismus (ontologischer Realismus) gründet auf einer pragmatischen, metaphysischen (empirisch nicht überprüfbaren) jedoch kritisier- und falsifizierbaren Hypothese einer realen Welt.

In der Welt laufen alle Vorgänge nach Naturgesetzen ab; alles, was existiert, besteht aus natürlichen Bausteinen und Kräften (objektives Weltbild, keine subjektive Weltanschauung)!

Wie die Historie zeigt, sind empirische Methoden der Erkenntnisgewinnung über die reale Welt allein erfolgversprechend.

Das rationale (wissenschaftliche) Weltbild besitzt viele Lücken und Unsicherheiten, das Füllen dieser Lücken mit religiösen (oder esoterischen) vermeintlichen "Erkenntnissen" führt in Sackgassen und zu – wie die Geschichte zeigt – oftmals sehr tragischen Ergebnissen.

Falsifizierbarkeit und Kritisierbarkeit sind die besten Kriterien für Erkenntnisgewinn und Rationalität (Dogmatismus ist das Gegenteil). Es gibt keine absolute Gewissheit (keine Wissenschaftsgläubigkeit!); alle Erkenntnisse, Überzeugungen, Hypothesen müssen ständig auf Irrtümer überprüft und verbessert werden.

Theologie und Metaphysik verfügen nicht über bessere Erkenntnismethoden (mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen kann man Krankheiten heilen, Dinge bauen, bzw. bewerkstelligen, die in der Realität funktionieren, mit Theologie und Metaphysik kann man dies nicht).

Es gibt prinzipiell nichts Unerkennbares, trotzdem wird der Mensch nie alles erkennen können (das "jenseits unserer Erkenntnisfähigkeit" ist höchstwahrscheinlich unvorstellbar groß).

Die Frage nach der Ursache der Existenz der Welt ist unbeantwortbar (bzw. nur von "außen" beantwortbar, da "Welt" alles, was es gibt, umfasst).

Schlussfolgerungen

Wenn im Zusammenhang mit Naturwissenschaften von "Glaube" gesprochen wird, handelt es sich stets und ausschließlich um prinzipiell falsifizierbare Wahrscheinlichkeitsannahmen. Im Gegensatz dazu verkündet religiöser Glaube nicht falsifizierbare "Wahrheitsannahmen".

Naturwissenschaftler (ob atheistisch, oder nicht) wollen – im Gegensatz zu Religionen - keineswegs "auf die gesamte Weltdeutung schließen". Die Grenzen der Erkenntnisfähigkeit sind ihnen sehr wohl bewusst.

Wie Karl Popper immer wieder betonte, muss jede naturwissenschaftliche Erkenntnis prinzipiell falsifizierbar sein, um wissenschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen (womit naturwissenschaftlicher Weltdeutung – im Gegensatz zu religiöser - auch Grenzen gesetzt werden).

Aussagen, die ein Naturwissenschaftler über die Wirklichkeit macht, sind stets vorläufig und müssen mit der Möglichkeit rechnen, durch andere Aussagen, durch bessere Theorien widerlegt zu werden. Auf religiösem Glauben basierende Aussagen sind weder verifizier- noch falsifizier-bar!

Die Aussagen von Theologen (z.B. Hans Küng), dass religiöser Glaube und Naturwissenschaft gleichberechtigt sind und sich komplementär zueinander verhalten, sind nicht nachvollziehbar. Weder mit theologischer Weltdeutung noch bei der Beantwortung existenzieller Menschheitsfragen konnte - bzw. kann - religiöser Glaube inhaltlich relevante Antworten liefern. Naturwissenschaft versucht, den Erkenntnishorizont rational zu erweitern und den Bereich des Unerkennbaren (jenseits unserer Erkenntnisfähigkeit) nach und nach zu verkleinern (ohne Chance auf weit-gehende Auflösung). Wie die Menschheitsgeschichte und unsere Wissenshorizonte zeigen, sind Fragen, die von der Naturwissenschaft nicht einmal im Prinzip beantwortet werden können, auch der Theologie unzugänglich.

Die Annahme eines göttlichen Wesens, das mit dem Weltgeschehen nicht interagiert, ist bedeutungslos; die Annahme eines göttlichen Wesens, das mit dem Weltgeschehen (und den Menschen) interagiert, betritt zwangsläufig naturwissenschaftliches Terrain unter den Bedingungen Logik, Wahrscheinlichkeit und notwendiger Falsifizierbarkeit. Das jenseits unserer Erkenntnisfähigkeit Liegende mit (göttlichen) Annahmen zu füllen, widerspricht allen Grundsätzen von Logik und Wahrscheinlichkeit!

Aus der Tatsache, dass Religion und Wissenschaft ursprünglich auf Mythen gründen, kann keine Vergleichbarkeit oder gar Gleichwertigkeit abgeleitet werden. Im Unterschied zum religiösen Mythos, der aufzeigen will, was Menschen tun oder unterlassen sollen, wollen wissenschaftliche Erklärungen das Wie und Warum von Erscheinungen und Ereignissen ergründen. Heutige wissenschaftliche Fragestellungen und Methoden haben sich außerdem sehr weit von mythischen Annahmen oder Fragestellungen entfernt.

Zwar beruhen auch moderne naturwissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse (ontologischer, erkenntnistheoretischer und methodologischer Realismus, kritischer Rationalismus) auf der metaphysischen (pragmatischen) Grundannahme, dass es – im Gegensatz zu radikalem Konstruktivismus, der zu Solipsismus führt - eine Welt unabhängig von unserem Bewusstsein gibt. Diese pragmatisch metaphysische Grundannahme kann aber nicht mit außerweltlicher (religiöser, dogmatischer, unkritisierbarer) Metaphysik in einen Topf geworfen, oder gar gleichgestellt werden!

Erstveröffentlichung in der österr. Zeitschrift "freidenker" 4/2018