100 Jahre Waldorfschule

Grußworte von Politikern bei den Anthroposophen?

Der Autor hat am 1. Juli 2019 einen vieldiskutierten Artikel zum Thema Waldorfschulen verfasst. Jetzt hat Volker Kirsch einen Offenen Brief an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (B90/Die Grünen) verfasst, den der hpd hier in Auszügen veröffentlicht.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

Ich halte es für unverantwortlich, die Anthroposophen zum Auftakt ihrer Festveranstaltung am 7. September in der Liederhalle durch ein Grußwort (in politischer, sozialer und pädagogischer Hinsicht) aufzuwerten. Das gleiche gilt auch für die geplanten Grußworte von Stuttgarts OB Fritz Kuhn und Kultusministerin Susanne Eisenmann. […]

Mir ist klar, dass Ihre Grußworte fest eingeplant sind und Sie sich auch aus anderen Gründen nicht davon abbringen lassen werden. Mir ist allerdings auch klar, dass speziell Grünen-Politiker bei den Waldorfschulen schon immer auf deren scheinbar alternative Pädagogik nur sehr oberflächlich gesehen haben können, vielleicht allein schon wegen des biodynamischen Landbaus, der in einem der Praxisfelder der Anthroposophie Gestalt annimmt und bei den Grünen auf viel Gegenliebe stößt.

Dennoch möchte ich Sie dringend bitten, sich zukünftig intensiver mit der Waldorfpädagogik, deren Lehrerausbildung und ihrem Guru Rudolf Steiner mitsamt seiner äußerst fragwürdigen und gefährlichen Esoteriklehre namens Anthroposophie zu befassen.

Anthroposophie beansprucht für sich Wissenschaftlichkeit, erfüllt aber deren einfachste Kriterien nicht, was zum Beispiel der Erziehungswissenschaftler Klaus Prange ("Erziehung zur Anthroposophie. Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik") längst eindrucksvoll nachgewiesen hat. In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf den Religionswissenschaftler Helmut Zander. […]

Da ich selbst über Jahrzehnte als Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte in Baden-Württemberg tätig war, darf ich für mich beanspruchen, auch […] über Pädagogik, Jugendpsychologie und Didaktik Bescheid zu wissen.

Es gibt an staatlichen Schulen und an deren Lehrkräften gewiss Einiges zu kritisieren. Aber die Waldorfschulen sind keine echte Alternative und deren geschickt aufrecht erhaltenes positives Image hat wenig mit deren sehr kritisch zu hinterfragenden Praxis zu tun.

Diese Praxis negiert die einfachsten jugendpsychologischen, methodischen und didaktischen Erkenntnisse. So wird zum Beispiel immer noch die längst überholte Temperamentenlehre des Hippokrates angewendet. Karma und dergleichen Unfug (Astral- und Ätherleib) spielen eine zentrale Rolle. Die Klassenlehrer führen die Schüler 8 Jahre lang wie eine Schicksalsgemeinschaft, haben sehr viele Freiheiten, gewinnen eine überdimensionierte Autorität gegenüber Schülern und Eltern. Die einzelnen Lehrer mögen durchaus nette und sympathische Personen sein, müssen aber die Steinerschen Lehrern nach ihrer Lehrerausbildung "lebensmäßig" verinnerlicht haben.

Es gelten im (oft religiös ritualisierten) Unterricht die Prinzipien Nachahmung und Nachfolge. Intellekt und natürliche Neugier werden unterdrückt. Auch in den musischen und künstlerischen Bereichen besteht nicht wirklich kreative Freiheit, wie ständig propagiert wird. Alle Schüler produzieren mehr oder weniger das Gleiche nach anthroposophischen Maßgaben, die als solche für Schüler nicht durchschaubar sind. Ein schleichendes Gift.

Dass die Mehrzahl der Waldorfschüler dies alles trotzdem sehr positiv bewertet, braucht wohl niemanden zu wundern: Keine Noten, kein Sitzenbleiben, kaum Hausaufgaben, feste Rituale im Unterricht und im gesamten schulischen Bereich, toll und heimelig ausgestaltete Räumlichkeiten in oft bester Lage. Außerdem gibt es dort wegen der von Eltern aufzubringenden Schulgelder kaum Migrantenkinder. Das alles wirkt auf bestimmte Eltern recht attraktiv. Man wähnt seine Kinder bestens aufgehoben, nachgerade gut "entsorgt".

Anthroposophie wird nicht gelehrt, aber ständig angewendet. Das würden im Steinerchen Sinne "Uneingeweihte" selbst bei längeren Hospitationen kaum bemerken. Dass es dort aber nicht mit rechten Dingen zugeht, wird spätestens dann offenbar, wenn man sich mal einzelne Epochenhefte der Schüler vornimmt, z.B. die für das Fach Geschichte. Schulbücher gibt es dort bis Klasse 10 so gut wie gar nicht. Dafür aber zeitraubende und geisttötende Tafelabschriebe, die oft recht seltsam abgehoben anmuten.

Zu den relativ zahlreichen Abschlüssen mit Abitur muss man wissen, dass hier mit wesentlich mehr Nachhilfestunden in der Oberstufe gearbeitet wird. Das können sich die Migranten wiederum nicht leisten, sondern nur das oft arrivierte akademische Bürgertum der mittleren und höheren Schichten.

[…] Der "Spiegel" bezeichnete Steiner mal als "einen der großen Irren der deutschen Kulturgeschichte." Jeder, der schon mal nur kleine Teile von Steiners Schriften und Vorträgen unvoreingenommen gelesen hat, kommt zu ähnlich vernichtenden Urteilen.

Und dennoch finden Sie auf allen Internetseiten von Waldorfschulen expressis verbis den Bezug auf Steiners "Erziehungskunst". Es ist ein Skandal, dass Schulen, die auf der Basis eines Geistersehers (Stichwort "Akasha-Chronik") Curricula entwickeln, die nebenbei die Empfänglichkeit für Esoterik, Verschwörungstheorien, Dogmatik und Autoritarismus fördern, dass solche Schulen auch noch durch unser aller Steuergelder großzügig gefördert werden.

[…] Streng genommen stellt die Finanzierung von Waldorfschulen über Steuermittel einen Verfassungsbruch dar: In Artikel 7 GG heißt es bezüglich der Genehmigung von privaten Schulen, dass sie in "ihren Lernzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen" dürfen. Im Fall der Waldorfschulen werden diese Anforderungen unterlaufen, denn Steiners Esoterik spricht jeder Wissenschaftlichkeit Hohn. […]

Fazit: Es handelt sich bei Waldorfschulen um eine geschickt getarnte, vorwiegend missionarische Institution ("We change the world") auf der hochesoterischen Basis eines gescheiterten Philosophen und […] Rassisten namens Rudolf Steiner, der von seinen Anhängern immer noch als Säulenheiliger und sogar als 5. Evangelist gehandelt wird. Manche seiner Anhänger sehen ihn als Reinkarnation von Jesus. Er selbst sah sich als Wiedergeburt von Platon, Aristoteles und Thomas von Aquin. Alles gleichzeitig. […]

Mit freundlichen Grüßen

Volker Kirsch