Wenn man als schwuler Sozialdemokrat auf einem CSD in einem Niqab für das Recht demonstriert, eine Burka tragen zu dürfen, ist das in vielerlei Hinsicht grotesk. So ist es aber jüngst in den Niederlanden geschehen.
Man stelle sich folgende Situation vor: Sechs Personen demonstrieren gegen das Burka-Verbot. Sie selbst sind verhüllt bis auf die Hände und einen Sehschlitz für die Augen. Wenn man genau sein will sind es Niqabs, die sie tragen, keine Burkas, die haben nämlich zusätzlich noch ein Netz oder einen durchsichtigen Schleier vor der Augenpartie. Zwei der Demonstranten tragen zusätzlich noch Sonnenbrillen. Sie haben Schilder bei sich, auf denen steht: "My Burqa is my right and pride" ("Meine Burka ist mein Recht und mein Stolz"), "Burqa-Queens" oder "No human is free until we are all free" ("Kein Mensch ist frei, bis wir alle frei sind"). Sie tun das nicht irgendwo, sondern auf dem Christopher Street Day (CSD) und ihre Niqabs haben die bunten Farben der Regenbogenfahne. Unter der gelben Burka steckte der Abgeordnete Hendrik Jan Biemond, Sozialdemokrat und schwul.
Das ist so tatsächlich passiert und zwar in Amsterdam, wie die Emma berichtet. Das zugehörige Bild hatte auch schon die obligatorische Runde durch die sozialen Netzwerke gemacht. Es ist derart grotesk, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Vielleicht zunächst mit dem Anlass der Demonstration: Seit Anfang des Monats ist es in den Niederlanden untersagt, in öffentlichen Einrichtungen und im öffentlichen Nahverkehr "gesichtsbedeckende Kleidung" aller Art zu tragen. Auf der Straße gilt es somit nicht.
Ons raadslid Hendrik Jan Biemond was gisteren de gele burqa queen: “Voor de PvdA Amsterdam betekent vrijheid dat je mag zijn wie je bent en dus ook mag dragen wat je wilt.” #Pride2019 pic.twitter.com/VGYmhyOLGQ
— PvdA Amsterdam (@pvda_amsterdam) August 4, 2019
Jetzt wieder zu der Protestaktion selbst: Absurd wäre da zunächst, dass die Demonstranten bunte Burkas tragen und damit die sechsfarbige Regenbogenfahne symbolisieren wollen, die für lesbischen, schwulen und queeren Stolz und für die Vielfalt dieser Lebensweisen stehen soll. In islamischen Ländern sieht man die Ganzkörperschleier in schwarz, Brauntönen oder blau. So farbenfrohe Burkas oder Niqabs gibt es in der Realität nicht. Auch wäre ein Bekennen zu diesen Farben und dem, was sie verkörpern, dort nicht möglich: Laut Bundesregierung werden Homosexuelle in sechs Ländern der Welt mit dem Tod bestraft: Im Iran, dem Sudan sowie in Mauretanien, Saudi-Arabien, Jemen, den Vereinigten Arabischen Emiraten und seit kurzem auch in Brunei, dessen Sultan die Todesstrafe nach weltweiten Protesten jedoch wieder aussetzte. Auffällig ist: Alle diese Länder sind muslimisch. Insgesamt sind es 37 Staaten, die gleichgeschlechtlichen Sex gesetzlich verbieten, meist, weil die Scharia ihre Rechtsgrundlage ist.
Der Protest im Niqab ist somit rein thematisch schon völlig absurd, zumal er auf dem CSD stattfindet, im Rest der Welt auch Gay Pride Parade genannt: Man muss seine sexuelle Orientierung nicht wie früher versteckt halten, man darf und soll offen zur Schau tragen, wer man ist – das ist die Botschaft, die dort ausgesendet wird. In muslimischen Ländern ist an diese Art der Selbstverwirklichung nicht zu denken. Dort stellt es teilweise ja schon ein Problem dar, eine Frau zu sein. Die Ganzkörperverhüllung ist dort eben nicht Ausdruck von Religionsfreiheit oder eine persönliche Entscheidung, sondern Pflicht. Was passiert, wenn man sich dem widersetzt, wurde einem jüngst im Iran noch einmal vor Augen geführt: Drei Menschenrechtsaktivistinnen wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie sich unverschleiert in der Öffentlichkeit gezeigt hatten. Was diese mutigen Frauen denken müssen, wenn sie sehen, wie in Europa Menschen, die selbst alle Freiheiten genießen dürfen, für das Recht auf Vollverschleierung demonstrieren, möchte man sich lieber nicht vorstellen.
Doch selbst auf der persönlichen Ebene scheint der Politiker Hendrik Jan Biemond nicht zu merken, wie seltsam und weltfremd das ist, was er da tut. Was es für ihn als Homosexuellen bedeuten würde, in einem Land zu leben, das Menschen wie ihn hinrichten lässt und Frauen dazu zwingt, ihren gesamten Körper zu bedecken, auch wenn sie es nicht wollen. Dass er zusätzlich auch noch Sozialdemokrat ist, ist das Sahnehäubchen auf dieser kafkaesken Aktion, die seine Partei auf Twitter verbreitete. Es soll ja einmal Zeiten gegeben haben, als Sozialdemokraten Religionskritiker waren. Aber die sind lange vorbei, vor allem wenn es um den Islam geht. Überall scheint das Damoklesschwert "Islamophobie" zu lauern, was jeden Ansatz von Kritik an dieser Religion im Keim erstickt. Lieber macht man einen so weiten Bogen darum, dass man seine eigenen freiheitlichen Ideale verrät – und das nicht einmal merkt.
11 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Es ist wohl wahr: Kaum denkt man, der Zenit des Beklopptseins auf der Welt sei erreicht, kommt eine Meldung daher, die das noch mal ins Absurdere steigert.
Sim am Permanenter Link
Ich finde die Aktion schön subversiv. Und streng genommen haben die Leute ja Recht. Wenn man jemanden verbietet etwas zu tragen was sonst Niemanden schadet ist es ja eine Einschränkung von Freiheit.
Klar mutet es schon etwas absurd an das Ganze ABER das ist eben auch eine Errungenschaft der freien Gesellschaft, dass man das hier so demonstrieren kann. Also ein gutes Zeichen, dass es uns gut geht.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Wenn man jemanden verbietet etwas zu tragen was sonst Niemanden schadet ist es ja eine Einschränkung von Freiheit."
Das ist die Gretchenfrage, was "schadet" bedeutet. Wenn die Zementierung und Propagierung einer konservativen, rückwärtsgewandten, faschistoiden Ideologie nicht als schädlich empfunden wird, dann ist das Tragen der islamistischen Flagge unschädlich.
Wenn man jedoch die ideologischen und politischen Interessen dahinter kennt, dann sollte es freiheitlich denkende Menschen gruseln. Das Verbot freiheitsberaubender Symbolik ist nicht gleichzeitig die Einschränkung von Freiheit. Eher das Gegenteil...
Constanze Cremer am Permanenter Link
1) Das Argument, dass die Vollverschleierung sonst keinem schade, zieht nicht.
2) Vor allem aber das Argument der Freiheit zieht nicht:
Diejenigen, die sagen, sie trügen dieses Gefängnis aus Stoff freiwillig, glauben das sogar wohl meist auch. Aber:
Die freie Wahl erfordert Freiheit, die in der Ideologie, die die Vollverschleierung hervorgebracht hat, aber nicht existiert. Herrscht sie, gibt es keine Freiwilligkeit mehr, denn eine Entscheidung dagegen ist nicht mehr möglich!
Diese "Freiwillig"-Frauen nehmen dies nicht wahr, da sie die patriarchale Perspektive übernommen haben und damit zu Komplizinnen der Täter werden.
3) Dadurch, dass dieses Extrem-Antimenschenrechtssymbol hier geduldet wird, wird es immer mehr verharmlost.
Beim Hakenkreuz hätten die "Freiheits"-Befürworter hier sicher etwas dagegen, wenn es im Stadtbild immer normaler und akzeptierter würde - nehme ich doch an.
Sim am Permanenter Link
Die Argumente sind alle bekannt. Es sind allerdings alles sehr indirekte Argumente die auf eine mögliche Wirkung des Zurschaustellens eines Symbols abzielen.
Aber stimmen diese denn? Wenn ich mir die real existierende Burkadichte in europäischen Ländern anschaue gewinne ich nicht den Eindruck als ob es sich hier um ein Massenphänomen handelt. Es ist schwer vorzustellen, dass jemand 2-3 Leute mit Burka in der Innenstadt rumlaufen sieht und sich dann denkt "Ja das wäre doch auch eine Idee für meine Frau".
Also stellt sich die Schlüsselfrage: Reicht die Angst vor Symbolen und deren Wirkung für ein Verbot? Denn das ist ja nochmal ein besonders autoritärer Schritt.
Ich stelle 3 Gesellschaften als Modell vor:
A) Burka tragen ist Pflicht
B) Niemand darf gezwungen werden eine Burka zu tragen aber jeder der möchte kann eine tragen
C) Burka tragen ist verboten
Für mich sind A und C autoritäre Formen wobei A sicher schlimmer als C ist. Immerhin gibt es in A nur ein Kleidungsstück was getragen werden muss und bei C gibt es potentiell unendlich viele die man tragen kann nur eben das eine nicht.
Aber B ist aus Freiheitsoptimierungsgründen ideal. Alles kann nichts muss. Ein sehr universelles liberales Prinzip. Meines erachtens lohnt es sich dafür zu kämpfen.
Gerade bei einem Verbot muss man aber auch sehen, dass es immer Sanktionen für einen Verstoß gibt. Also was passiert wenn jemand dann trotzdem Burka trägt? Geldstrafe? Gefängnis wenn jemand sich weigert diese Strafe zu bezahlen? Trifft das nicht dann am ehesten die Frauen die sowieso dazu gezwungen werden Burka zu tragen? Ich finde bei diesen Überlegungen muss ein Humanist und eine Humanistin zumindest Bauchschmerzen bekommen.
Und deswegen kann das Gestz nicht lauten: Burka tragen ist verboten
Sondern: Wer jemanden zwingt Burka zu tragen gehört verboten (vor Gericht)
Ich finde es schon wichtig, dass man sich Entscheidungen über Verbote nicht leicht macht und sich an den Gegenpositionen reibt. Denn es ist immer ein Abwägungsprozess und Politik die nur einen kleinen Teil von Menschen wirklich betrifft sollte auch Praxisbezug haben und nicht nur aus ideologischen Überlegungen gemacht werden.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Die Argumente sind alle bekannt. Es sind allerdings alles sehr indirekte Argumente die auf eine mögliche Wirkung des Zurschaustellens eines Symbols abzielen."
Warum "allerdings"? Viele Symbole werden - völlig zurecht - verboten, weil sie eine mögliche Wirkung haben. Es ist ja nicht so, dass jemand mit Hakenkreuzbinde gleich eine faschistische Revolution auslöst. Es geht um eine Positionierung des Staates.
"Wenn ich mir die real existierende Burkadichte in europäischen Ländern anschaue gewinne ich nicht den Eindruck als ob es sich hier um ein Massenphänomen handelt. Es ist schwer vorzustellen, dass jemand 2-3 Leute mit Burka in der Innenstadt rumlaufen sieht und sich dann denkt "Ja das wäre doch auch eine Idee für meine Frau"."
Der Begriff "Burka" wird hier in der Tat falsch verwendet und scheint unausrottbar zu sein. Es geht um den Niqab, den ich durchaus schon mehrere hundert Mal in Deutschland gesehen habe. Hin und wieder sogar in größeren Gruppen. Dass die Gefahr im Nachahmen dieser Stoffkäfige für die eigene Frau liege, ist unsinnig. Das Problem liegt in der bisher vermutlichen Normalität der mobilen Frauengefängnisse. Männer können solches ihren Frauen viel leichter zumuten, wenn die Gesellschaft (und die Politik) mit den Schultern zuckt und sagt: "Formal juristisch müssten die Frauen das nicht anziehen, aber wenn sie sich von ihren Männern dazu zwingen lassen ist das nicht unser Problem. Selbst schuld…"
"Ich stelle 3 Gesellschaften als Modell vor:
A) Burka tragen ist Pflicht
B) Niemand darf gezwungen werden eine Burka zu tragen aber jeder der möchte kann eine tragen
C) Burka tragen ist verboten
Für mich sind A und C autoritäre Formen wobei A sicher schlimmer als C ist. Immerhin gibt es in A nur ein Kleidungsstück was getragen werden muss und bei C gibt es potentiell unendlich viele die man tragen kann nur eben das eine nicht."
Bei C wird vor allem ausschließlich verboten, ein islamistisches Symbol zu tragen, was durchaus einer Hakenkreuzbinde gleichgesetzt werden sollte. Beide Symbole tun nicht unmittelbar weh (es ist in jedem Fall nur Stoff), aber sie stehen klar für einen ideologischen Ansatz der Gesellschaft und produzieren damit die Behauptung einer Allgemeingültigkeit.
Deshalb müssen in vielen islamischen Ländern Frauen verschleiert herumlaufen (auch der Hijab gehört dazu) und deshalb war es im Dritten Reich quasi Bürgerpflicht, sich mit Symbolen des NS-Regimes zu zeigen (Abzeichen, Binden, Fahnen und Hitlergruß). Der Hintergrund ist bestens erforscht: Es geht um Gruppenidentität und um Ausgrenzung aller anderen. Also Dualismus. Im Fall des Islams geht es sogar um Geschlechterapartheit und um noch unverhohlenere Misogynie als im Dritten Reich.
"Aber B ist aus Freiheitsoptimierungsgründen ideal. Alles kann nichts muss. Ein sehr universelles liberales Prinzip. Meines erachtens lohnt es sich dafür zu kämpfen."
Mit Verlaub, das ist eine extrem naive Weltsicht. Wer den Zwang nicht sieht, der die muslimische Gesellschaft nach innen zusammenhält, der ist blind. Nichts ist dort "alles kann, nichts muss". Oder warum kämpfen Frauen dort für ihre simpelsten Rechte, obwohl ihnen schwerste Strafen (Gefängnis, Auspeitschung, Tod) drohen? Das dies "im Westen" nicht praktiziert wird, ist kein Beleg für eine angebliche Freiwilligkeit innerhalb der muslimischen Gemeinden. Dort findet der Druck nur subtiler statt - von seltenen "Ehrenmorden" abgesehen. Der Anteil muslimisch konditionierter Frauen in Frauenhäuser ist nicht ohne Grund überproportional.
Freiheit wird es dort erst geben, wenn die Männer das Patriarchat aufgeben und Frauen den entstehenden Freiraum ausfüllen, wie dies auch "im Westen" geschehen ist, bzw. noch geschieht.
"Gerade bei einem Verbot muss man aber auch sehen, dass es immer Sanktionen für einen Verstoß gibt. Also was passiert wenn jemand dann trotzdem Burka trägt? Geldstrafe? Gefängnis wenn jemand sich weigert diese Strafe zu bezahlen? Trifft das nicht dann am ehesten die Frauen die sowieso dazu gezwungen werden Burka zu tragen? Ich finde bei diesen Überlegungen muss ein Humanist und eine Humanistin zumindest Bauchschmerzen bekommen."
Das wäre so, wenn es so wäre. Doch nicht eine Bestrafung sollte im Mittelpunkt stehen, sondern die Kenntlichmachung der mit freiheitlichen Grundwerten nicht vereinbaren Ideologie, die hinter dem Niqab steht.
"Und deswegen kann das Gestz nicht lauten: Burka tragen ist verboten
Sondern: Wer jemanden zwingt Burka zu tragen gehört verboten (vor Gericht)"
Das ist eine Selbstverständlichkeit, die aber durch das Selbstbestimmungsrecht bereits erfüllt ist. Gerade die islamische Ideologie ignoriert dies geflissentlich und sonnt sich geradezu in der punktuellen "Laschheit" der westlichen Gesellschaft. Dabei ist das Grundgesetz ausreichend, um auch muslimisch konditionierten Frauen ihre Würde zuzusprechen. Dass die muslimischen Kleiderregeln ihnen diese Würde nehmen WOLLEN (!), ist mehr als offensichtlich. Es ist diskriminierende Bekleidung. Heute dürfen schlechte oder freche Schüler auch nicht mehr mit der Eselsmütze in die Klassenecke gestellt werden.
"Ich finde es schon wichtig, dass man sich Entscheidungen über Verbote nicht leicht macht und sich an den Gegenpositionen reibt. Denn es ist immer ein Abwägungsprozess und Politik die nur einen kleinen Teil von Menschen wirklich betrifft sollte auch Praxisbezug haben und nicht nur aus ideologischen Überlegungen gemacht werden."
Auch das ist eine Binse, die man aber mit Leben erfüllen muss. Es geht nicht um die Größe einer Gruppe, die vom Gesetzgeber bedacht wird. Mörder sind eine extrem kleine Gruppe und trotzdem gibt es Gesetze, die ihr Tun strafbewehren. Auch Hakenkreuzbinden werden extrem selten getragen und trotzdem ist es (aus gutem Grund) verboten. Selbst Nacktgeher stellen in der Öffentlichkeit eine verschwindende Minderheit dar. Und, dürfen sie es? Nein, auch das ist verboten.
Die Quantität ist also irrelevant. Es geht um die Bedeutung von Symbolik. Die islamische Kleiderordnung stellt einen eindeutigen Verstoß gegen Art. 2, 3, 4 und 140 GG dar, so wie die Genitalverstümmelung gegen Art. 1, 2, 3, 4 und 140 GG verstößt. Mir geht es darum, dass sich der Staat zu seinen freiheitlichen Rechten und Werten bekennt und dies auch unmissverständlich von den hier lebenden Menschen verlangt. Nur so kann ein friedliches Zusammenleben funktionieren.
Familialismus, Tribalismus, Traditionalismus und Dualismus vieler Religionen müssten zugunsten des Individualismus aufgegeben werden, weil sie nur Unfrieden und persönliche Unzufriedenheit schüren. Die jenseitigen Verheißungen der Religionen dämpfen den Impuls des Aufbegehrens bei den Opfern dieser Ideologien. Daher halten viele Frauen bisher still und flüchten in eine angebliche "Freiwilligkeit" für das frauenverachtende Stoffgefängnis.
Doch mehr und mehr Frau wehren sich dagegen und wollen es ablegen. Helfen wir ihnen dabei. Das ist für MICH eine humanistische Pflicht...
libertador am Permanenter Link
"In muslimischen Ländern ist an diese Art der Selbstverwirklichung nicht zu denken. Dort stellt es teilweise ja schon ein Problem dar, eine Frau zu sein.
Ich bin der Meinung, dass wir uns klar machen sollte, welch ein großes Spektrum es an Ländern gibt, die sich als muslimisch verstehen. Es geht ja von Tunesien über den Iran bis Saudi Arabien. Solche Gesetze verstoßen zweifelsohne gegen die Religionsfreiheit.
Nun zum Verschleierungsverbot in den Niederlanden. Ich finde die aktuelle Lösung in den Niederlanden in weiten Teilen angemessen, da ein Verbot der Verschleierung innerhalb von öffentlichen Einrichtungen keine wesentliche Einschränkung der Freiheit darstellt. Das wäre bei einem allgemein Verbot in der Öffentlichkeit anders, da bei Kälte oder Sonne ein Bedecken von Haut oder aus anderen Gründen sinnvoll ist und dementsprechend nicht eingeschränkt werden sollte und in Öffentlichen Einrichtungen ein Interesse besteht, dass sich niemand verschleiert. Beim Verbot im öffentlichen Nahverkehr ist dieses Interesse meiner Meinung nach nicht groß genug, um das Verbot zu rechtfertigen, da dadurch auch Frauen, die sich (zum Teil auch unter Zwang) verschleiern eingeschränkt werden. Darüber hinaus erfüllt ein Verbot in öffentlichen Einrichtungen bereits den Zweck zu zeigen, dass Vollverschleierung als Symbol für die Einschränkung von Frauen abgelehnt wird.
Man hat es hier mit einigen Abwägungen zu tun, welcher Umfang eine Verbotes angemessen ist.
Mein Eindruck der gesamten Debatte ist, dass viele nicht bereit sind sich auf Abwägungen einzulassen, sondern versuchen vermeintlich unumstößliche Argumente aufzubauen. Auf der einen Seite, dass es bei dem Verbot um "elementarste Menschenrechte" (Emma) gehe, auf der anderen Seite, dass jegliches Verbot der Verschleierung gegen die Religionsfreiheit verstoße.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Warum verstößt ein Verbot (oder eine Befreiung der betroffenen Frauen von) der Vollverschleierung gegen die Religionsfreiheit? Was ist 1. mit der negativen Religionsfreiheit? Auch Frauen sind z. B.
Die angeführten witterungsbedingten Gründe für umfangreichere Bekleidung sind ja nicht Gegenstand des in Religionsgemeinschaften ausgeübten Zwangs gegen Frauen. Selbstverständlich darf sich jeder der Witterung entsprechend kleiden. Nur wenn bei Gluthitze Frauen völlig in schwarzen Synthetik-Stoffbahnen unterwegs sein MÜSSEN, dann leiden nicht nur deren Nasen darunter. Hier produziert der kulturelle Zwang ein unangemessenes Verhalten, ähnlich wie die Genitalverstümmelung oder z.B. die Verweigerung von Flüssigkeits- oder Nahrungsaufnahme während des Ramadan in "Tageslichtzeiten".
Man sollte auch nicht den Zwang zu dieser antiweiblichen Kleidung mit einer Vermeidung des Zwangs, anderenfalls zu Hause bleiben zu müssen, begründen. Ein geduldeter Zwang kann keinen anderen Zwang heilen oder kompensieren. Daher muss das Zwanghafte der Religion allgemein bekämpft werden. Wir müssen das Individuum stärken. Die Rechte dazu räumt unser GG jedem ein...
libertador am Permanenter Link
Wenn es Frauen gibt, die sich ihrer religiösen Interpretation folgend, freiwillig verschleiern, dann ist ein Verbot eine Einschränkung der Religionsfreiheit.
Mir ist auch unklar, in welcher Form ein Verbot der Verschleierung dazu beiträgt, Frauen, die dazu gezwungen werden, zu helfen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Wenn es Frauen gibt, die sich ihrer religiösen Interpretation folgend, freiwillig verschleiern, dann ist ein Verbot eine Einschränkung der Religionsfreiheit."
Das ist nur in der Theorie richtig. Religion an sich ist eine Ideologie, die auf Zwang basiert. Warum sollte jemand freiwillig diesen teilweise völlig unsinnigen Anweisungen und "Geboten" folgen? Sie sollten sich einmal mit den Tisch- und Toilettenregeln des Islams befassen. Absurdistan! Dies alles dient der Kontrolle nach innen und der Abschottung nach außen. Ingroup vs. Outgroup.
Dies sollte gerade eine offene Gesellschaft nicht aushalten müssen, weil sie daran krankt oder sogar zerbricht. Ausgrenzende, unterdrückende Elemente schaden einer freien Gesellschaft. Ob man dieser Unterdrückung das Mäntelchen "Politik" umhängt oder "Religion" ist nebensächlich. Ich positioniere mich gegen jede Form der Unterdrückung.
Religionsfreiheit kann es nur in einem wirklich freien Umfeld geben. Art. 4 GG erlaubt uns positive wie negative Religionsfreiheit ohne Frequenzbeschränkung. Ich könnte hundert Mal am Tag von einer zur einer anderen Religion wechseln oder mich völlig verabschieden. Genau das erlaubt z. B. der Islam nicht. Daher ist dessen "Satzung" unfrei und widerspricht selbst dem Art. 4 GG. So können sich Vertreter des Islams nicht auf Religionsfreiheit berufen, weil sie diese selbst nicht gewähren.
Selbst das wäre egal, wenn der Staat die Freiheit, die der Islam den Frauen vorenthält, auch gegen die Interessen der patriarchalisch kontrollierenden Männer gewähren würde. Doch dazu müsste er sein Wächteramt ausüben und verschleierte Frauen befragen, ob dies wirklich freiwillig geschieht. Würden diese Frauen aus Angst vor ihren Männern ehrlich antworten? Das ist ein zugegeben schwieriges Thema.
"Diese Einschränkung kann gerechtfertigt, zum Beispiel, wenn diese Frauen im öffentlichen Dienst arbeiten. Ich sehe aber nicht, dass ein generelles Verbot der Verschleierung entsprechend gerechtfertigt ist."
Ich finde Ausgrenzung immer bedenklich. Frauen werden hier zur Ausgrenzung gezwungen, denn das ist der einzige Zweck der Entmenschlichung der Frauen durch Verhüllung in Stoffbahnen, durch lebendige Mumifizierung.
"Mir ist auch unklar, in welcher Form ein Verbot der Verschleierung dazu beiträgt, Frauen, die dazu gezwungen werden, zu helfen."
Ein Verbot würde die Position des Staates zu dem Thema verdeutlichen: "Wir als Staat wollen nicht, dass Frauen sich selbst verleugnen müssen." Es gibt genügend islamische Theologen, die sogar den Hijab ablehnen, weil dies nichts mit dem Islam zu tun hat, sondern der Bekleidung des arabischen Mittelalters entspricht. Es geht letztlich um Mode und die einzige Anweisung, die der Koran enthält, ist die Bedeckung der Reize. Die erfüllt ein Hüftschal - so die Übersetzung durch Christoph Luxenberg -, d.h. der Schambereich sollte nicht aufreizend zur Schau gestellt werden. Und das macht auch Sinn und entspricht unserer Auffassung von angemessener Bekleidung, die allen Freiheitsrechten entspricht.
Die praktizierte, unreligiöse Form weiblicher Bekleidung (von Hijab bis Burka) verfolgt ein geschlechterapartheitliches Interesse und widerspricht damit dem Grundgesetz. Sollte das Grundgesetz in unseren Lebensentwürfen und Verhaltensweisen allerdings keine Rolle mehr spielen, könnte ich mir jede Menge von Quälereien vorstellen, die man dann unter dem Deckmäntelchen der Religionsfreiheit praktizieren könnte. Wollen wir das?
Als Beispiel nenne ich den Fall der Zwölf Stämme, die vor einigen Jahren in den Schlagzeilen waren, weil sie ihre Kinder mit Ruten extrem grausam "bestraften", was dieser christlichen Sekte (also nicht einmal etwas Ausgedachtes) als Gebot aus der Bibel entgegentrat. Und sie hatten formal damit sogar Recht. Diese Bibelverse gibt es. Und trotzdem verbot ihnen der Staat dieses und brachte die Kinder in Sicherheit - was nicht alle Kinder guthießen.
Nicht alles, was Religion verlangt, ist also gut für die Menschen. Hier MUSS der Staat genau hinschauen im Interesse der Menschen...
libertador am Permanenter Link
Religionsfreiheit gestattet die eigene Unterwerfung unter ungleiche Regeln für Männer und Frauen. Die Religionsfreiheit gestattet die Selbstverleugnung.
Wenn Menschen gezwungen werden einen Schleier zu tragen, dann widerspricht das der Religionsfreiheit. Wenn ein Verbot von Gesichtsschleier ein effektives Mittel wären, den von Zwang betroffenen Frauen zu helfen, dann wäre er legitim. Ich glaube aber nicht, dass dies der Fall ist. Ich sehe nicht, dass das Verbot z. B. in Frankreich tatsächlich die Situation für die Frauen verbessert. Siehe zum Beispiel: https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/burka-verbot-wie-wirkt-das-gesetz-in-frankreich-a-1009971.html
Und ihr Beispiel der Zwölf Stämme zeigt auch Grenzen der Religionsfreiheit. Körperliche Unversehrtheit der Kinder kann die Religionsfreiheit hier übertrumpfen.