Das politische Klima wird in Deutschland aggressiver und die Verhältnisse polarisieren sich zunehmend. Ahmad Mansour sieht dringenden Handlungsbedarf. Ein Kommentar.
Ich habe mich damals entschieden nach Deutschland zu kommen, weil ich Sicherheit suchte. Ich wollte weit weg sein von Hass, Nationalismus und Gewalt, in meinem Gepäck war die Hoffnung auf eine bessere Zukunft! Mit der Zeit und trotz der Anfangsschwierigkeiten begeisterte ich mich hier für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und das Grundgesetz! Ich reflektierte über meine Kultur, meine Biographie und über religiösen Dogmen.
Ich fand in Deutschland Familie und Beruf, Anerkennung und die Möglichkeit mitzugestalten! Ich kritisiere und werde kritisiert, setze mich für kritisches Denken und Hinterfragen ein. Und auch gegen Islamismus, Antisemitismus und patriarchalische Strukturen.
In den letzten Jahren traf ich auf unterschiedliche Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Sie haben mit mir diskutiert und gestritten, manchmal fand ich Zustimmung und manchmal Widerworte, all diese Begegnungen haben mich wachsen und hinzulernen lassen und meine Entwicklung gefördert. Manche haben mich bedroht und damit mein Privatleben stark eingeschränkt! Doch trotz meiner Kritik an manchen Entwicklungen und Entscheidungen der Regierung waren viele meiner politischen Gegner bereit, sich einer Diskussion zu stellen. Dieser Staat, den ich in den letzten Jahren so oft kritisiert habe, war bereit, mir Polizeischutz zu gewähren, damit ich auch weiterhin meine Meinung sagen darf und weiter kritisch kommentieren kann.
Ich schreibe das, da ich in den letzten Tagen, Wochen und Monaten in großer Sorge bin. Nicht nur, weil ich von manchen Menschen in meinem Recht auf freie Meinungsäußerung massiv behindert werde und nicht nur, weil ich den Trend beobachte, dass über manche Themen viel lieber geschwiegen wird, sondern vor allem wegen des politischen Klimas – es ist aggressiver geworden! Man will nicht mehr streiten und reden, die Diskurse werden autoritär geführt. Die Gründe, meine alte Heimat zu verlassen, finde ich nun in Deutschland wieder: Unsicherheit, Hass und kaputte Diskurse.
Diese Entwicklung war noch vor einigen Jahren unvorstellbar. Daran hat jeder eine Mitschuld, daran sind auch die Reaktionen mancher demokratischer Parteien Schuld, ihre Hilflosigkeit und Konzeptlosigkeit haben Geister gerufen, mit denen wir jetzt nicht umzugehen wissen! Und ja, für diese Stimmung gibt es viele Verursacher, aber einen Haupttäter mit vielen Brandstiftern und das ist die AfD!
Man kann das nicht mehr ignorieren, man kann und darf damit nicht leben und hoffen, es wird schon werden. Nein, es wird nicht ohne die richtigen Maßnahmen! Wir in dieser Gesellschaft haben ein Extremismusproblem und das lauert hinter jeder Ecke! Wir müssen handeln, juristisch mit starkem Rechtsstaat, aber auch pädagogisch mit Demokratiearbeit und zeitgemäßer politischer Bildung! Den Brandstiftern müssen wir Einhalt gebieten. Aber das wird nicht funktionieren, solange keine der "alten Parteien" wieder Politik macht, die die Menschen im Land erreicht, ihre Probleme erkennt und Lösungen anbietet. Denn, und davon bin ich immer noch absolut überzeugt, die meisten wollen in Deutschland nicht in der Vergangenheit leben, sondern in einer besseren Zukunft! Autoritäre Regime kennen die Menschen schon, sie kennen auch die Konsequenzen. Ein Teil der Wähler ist noch zu erreichen, ein Teil! Aber es passiert nichts, wenn man nur hofft, diese Leute werden irgendwann wieder zur Vernunft kommen. Nein, sie werden erst zur Vernunft kommen, wenn wir ihnen politische, demokratische und sachliche Lösungen für ihren Alltag anbieten.
Erstveröffentlichung bei Facebook.
7 Kommentare
Kommentare
Junius am Permanenter Link
Das Problem scheint mir, daß jede Seite die Problem immer nur auf der anderen sieht, die Lösungen dagegen nur auf der eigenen. Das Problem ist nicht, daß wir uns überhaupt in „Seiten“ aufteilen.
Die Grundlage jeder Demokratie ist die Überzeugung, daß die Gemeinsamkeiten größer sind als die Unterschiede. Wer dagegen dazu beiträgt, daß das Bewusstsein für diese Gemeinsamkeiten schwindet, oder sogar diese Gemeinsamkeiten selbst, legt Feuer an ein Gebälk, daß eh schon brandgefährdet genug ist.
Van Dam am Permanenter Link
Die Gemeinsamkeiten sind aber objektiv nicht größer als die Unterschiede.
Markus Schiele am Permanenter Link
Ich kann dem Autoren in den meisten Punkten nur beipflichten; in einem allerdings bin ich anderer Meinung: Ich selbst gehe davon aus, dass die AfD selbst mehr Symptom der Zustände als deren Verursacher ist.
frischmann am Permanenter Link
Ja! Kurz und prägnant: Symptom und nicht Verursacher.
Solange die Kritik an bestimmten Zuständen tabuisiert/sanktioniert wird, solange wird die AfD wachsen.
Unechter Pole am Permanenter Link
Die "Tabuisierung der Kritik an bestimmten Zuständen" , oder mit anderen Worten, Ahndung von Volksverhetzung, ist die Vorausetzung für die liberale, demokratische Gesellschaft.
A.S. am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Mansour, hinsichtlich der AfD teile ich Ihre mening nicht. Ich sehe in der AfD nicht die Ursache für Extremismus, sondern eine Folge tieferliegender Ursachen.
Pestkranke bekommen Beulen und sterben mit hoher Wahrscheinlichkeit. Die Beulen sind nicht die Ursache der Erkrankung und des Todes, sondern ein Bakterium (Yersinia pestis). Genauso wenig wie sich Pest durch Wegoperieren der Beulen heilen lässt, lässt sich Extremismus durch "Wegoperieren" der AfD heilen. Die tiefer liegende Ursache (im Falle der Pest das Bakterium) muss bekämpft werden.
Im Falle des Extermismus sind meiner Ansicht nach Dummheit und die menschlichen Herdeninstinkte die tieferliegenden Ursachen.
Dummheit lässt sich mit Bildung (nicht mit plumper Anti-Extremismus-Indoktrination!) bekämpfen. Leider werden unsere Schulen kaputt gespart und die klassische Bildung vernachlässigt.
Die Herdeninstinkte in uns allen lassen sich nicht bekämpfen. Hier lässt sich nur aufklären. Leider leben wir in einer Kultur des "christlichen Menschenbildes", des Individualismus, die unsere Herden-Instinkte verleugnet anstatt sich mit ihnen kritisch/selbstkritisch auseinander zu setzen.
David Z am Permanenter Link
Ich schätze Herrn Mansour sehr fūr das, was ich so von ihm höre und lese - und im grossen und ganzen teile ich seine Einschätzung.
Bei einer Sache bin ich allerdings anderer Meinung: Die AfD ist nicht Ursache sondern Symptom. Sie ist auch nichts besonderes oder gar speziell Deutsches wenn man sich in Europa ein wenig umschaut.
Dies stetig zu ignorieren, ist der grosse Fehler derer, die der derzeitigen Entwicklunng entgegentreten wollen.