Sind "Islamophobie" und "Antimuslimischer Rassismus" geeignete Begriffe, um Feindschaft gegenüber Muslimen zu umschreiben oder dienen sie eher der Kritikimmunisierung? Dieser Frage widmete sich Politikwissenschaftler und Soziologe Prof. Armin Pfahl-Traughber vergangene Woche in seinem Vortrag "'Islamophobie' und 'Antimuslimischer Rassismus' – Dekonstruktion zweier Hegemoniekonzepte aus menschenrechtlicher Perspektive" am Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI). Der hpd dokumentiert seinen Vortrag in einer Zusammenfassung.
Es gibt unterschiedliche Ausdrucksformen von Feindschaften gegen Muslime, die von Beleidigungen über Diskriminierungen bis zu Gewalttaten reichen und für die es einer klaren Sammelbezeichnung mit notwendiger Trennschärfe bedarf. Gegenwärtig kursieren dazu die Begriffe bzw. Konzepte "Islamophobie" und "Antimuslimischer Rassismus", welche in der folgenden Erörterung einer kritischen Prüfung hinsichtlich der Schlüssigkeit unterzogen werden sollen. Es geht dabei nicht um Begriffsbestimmungen um der Begriffsbestimmungen willen, stehen doch hinter den gewählten Kategorien inhaltliche Konzepte, die bei der Anwendung auch Konsequenzen für Wertungen mit sich bringen.
Die normative Basis für die folgenden Betrachtungen bilden die individuellen Menschenrechte im doppelten Sinne, geht es doch erstens bei dem gemeinten Feindverständnis gegenüber den Muslimen um deren Verletzung. Es gibt aber auch eine zweite Dimension, die mit der Diskreditierung von Kritik an Missständen unter Muslimen verbunden ist, welche sowohl einzelne Muslime wie andere Nicht-Muslime durch unangemessene Vorwürfe treffen können. Eine anspruchsvolle Definition des Gemeinten muss bezogen sein erstens auf eine inhaltlich entwickelte Begriffsbestimmung hinsichtlich der Ebenen und zweitens auf die an Merkmalen auszurichtende Trennschärfe zur Unterscheidung.
Als ersten Begriff geht es um "Islamophobie", also eine Angst vor dem Islam als Religion in der Wortbedeutung, was als psychische Einstellung inhaltlich nicht eine Feindschaft gegen Muslime im angesprochenen Sinne erfassen kann. Eine bekannte Definition des Runnymede Trusts liefert hierzu mal mehr, mal weniger passende Versatzstücke, wozu eine Deutung des Islam als monolithisch und statisch oder eine behauptete Instrumentalisierung für politische Zwecke gehören sollen. Eine andere Definition von Farid Hafez geht davon aus, dass eine dominante Gruppe andere Menschen als Sündenböcke aus dem "Wir" ausschließt und sieht nicht jede Kritik als "islamophob" an, wobei für beides keine Kriterien genannt werden. Eine klare Definition von "Islamophobie" liegt demnach nicht vor, der Begriff bleibt hinsichtlich des Gemeinten konzeptionell unterentwickelt und weist auch nicht gegenüber Kritik die nötige Trennschärfe zur Unterscheidung auf.
Ein zweiter Begriff lautet "Antimuslimischer Rassismus", wobei hier von einem über den Biologismus hinausweisendem, eben auf Kulturen bezogenem Verständnis auszugehen ist, was wiederum auf die Muslime übertragen wurde. Eine bekannte Definition von Iman Attia spricht zunächst allgemein von einer Essentialisierung und Homogenisierung von Menschen als Muslime, womit aber Aussagen wie bei einer menschenrechtlichen Kritik auf einen Rassismus hinauslaufen würden. Eine andere Definition von Fanny Müller-Uri stellt auf eine Entindividualisierung der Muslime und Konstruktion einer homogenen Religionskultur ab, meint dabei auch von einem liberalen und linken "antimuslimischen Rassismus" sprechen zu können. Diesem Begriff fehlt es in den Definitionsversuchen ebenfalls an inhaltlicher Klarheit, was an der geringen konzeptionellen Entwicklung und an der grundsätzlich mangelnden Trennschärfe erkennbar wird.
Die Ausweitung von der Biologie auf die Kultur im Rassismusverständnis ist aus menschenrechtlicher Sicht problematisch, können doch ethnische Besonderheiten so nicht bewertet, aber kulturelle Besonderheiten sehr wohl bewertet werden. Damit gehen zunächst ein Kulturrelativismus und dann auch ein Menschenrechtsrelativismus einher, gibt es doch etwa bei Frauen- oder Homosexuellenrechten in verschiedenen Kulturen grundlegende Unterschiede. Die aus dem Anhängerkreis des "Antimuslimischer Rassismus"-Konzepts stammende Auffassung, die aufklärerisch-menschenrechtliche Islamkritik werde von einer überlegenen Position ausgeübt, erklärt eine solche letztendlich für rassistisch.
Es handelt sich bei beiden Begriffen um Hegemoniekonzepte, denen es um eine inhaltliche Dominanz im öffentlichen Meinungsstreit geht, welche auf eine Immunisierung vor Kritik der Muslime im traditionellen Sinne hinausläuft. Dies ist daran absehbar, dass in einschlägigen Darstellungen frauenrechtliche Kritikerinnen oder reformorientierte Muslime mit extremistischen Propagandisten und populistischen Rechten in den gleichen Topf geworfen werden. Eine derartige Diffamierung von Kritik findet man etwa im European Islamophobia Report 2018, der solche Einordnungen in Länderstudien vornimmt und interessanterweise von einem AKP-nahen Think Tank mit herausgegeben wurde. Ganz allgemein nutzen islamistische und konservative Islamverbände die genannten Konzepte, um Einwände und Kritik gegenüber ihrem Islam- und Muslimenverständnis als "islamophob" und "rassistisch" zu diskreditieren.
Die bestehende Feindschaft gegenüber Muslimen sollte deshalb besser mit "Muslimenfeindlichkeit" als allgemeiner Sammelbezeichnung erfasst werden, womit eine Feindschaft gegen Muslime als Muslime aufgrund dieser Zugehörigkeit gemeint ist. Darüber hinaus bedarf es einer grundsätzlichen Differenzierung von "Feindschaft" und "Kritik", wobei es im letztgenannten Fall um eine differenzierte Sicht und im erstgenannten Fall um eine pauschale Verdammung geht. Daher gibt es eine aufklärerisch-menschenrechtliche Islamkritik, die von einer hetzerisch-fremdenfeindlichen Muslimenfeindschaft unterschieden werden kann, steht doch erstere für ein Menschenrecht und letztere für eine Menschenrechtsverletzung. Der Diskurs um "Islamophobie" und "Antimuslimischer Rassismus" ist demgegenüber von einer Sichtweise geprägt, welche argumentative Kritik an Kulturen diskreditiert und damit einen Menschenrechtsrelativismus auch gegen Muslime vorantreibt.
3 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Sehr schön klargestellt: Die bestehende Feindschaft gegenüber Muslimen sollte deshalb besser mit "Muslimenfeindlichkeit" als allgemeiner Sammelbezeichnung erfasst werden, womit eine Feindschaft gegen Muslime
Peter Müller am Permanenter Link
Warum soll es bei der Islamophobie denn einfacher sein als beim Antisemitismus?
Martin Mair am Permanenter Link
Wer glaubt, mit einheitlichen Begriffen Menschen kategorisieren zu können, hat wohl auch ein GRUNDSÄTZLICHERES Problem ...