Berliner Verwaltungsgericht:

Konfessionsfreie muss Kirchensteuer nachzahlen

Eine frühere DDR-Bürgerin muss nachträglich knapp 1.900 Euro Kirchensteuern zahlen – wegen einer unbekannten Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche. Diese kam durch die verfassungsrechtlich fragwürdige "Rasterfahndung" der Kirchensteuerstellen in den Berliner Finanzämtern zutage, die das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) für unvereinbar mit dem Trennungsgebot zwischen Staat und Kirche hält.

Die Entscheidung fiel gestern am späten Nachmittag. Um die Mittagszeit hatte nach vierjähriger Wartezeit die Verhandlung über den Fall einer in der DDR geborenen Frau am Verwaltungsgericht Berlin stattgefunden. Als Baby war sie evangelisch getauft worden, später traten ihre Eltern nacheinander aus der Kirche aus, die damals Fünfjährige verließ nach ihrer und der Auffassung der Eltern dadurch ebenfalls die Religionsgemeinschaft. Ihr Leben lang ging die heute 66-jährige Frau davon aus, keiner Konfession anzugehören. Ihre Eltern hätten sie im atheistisch-weltlichen Sinne erzogen und sie fühle sich der Kirche in keinster Weise zugehörig.

Die Überraschung kam im Jahr 2011. Bereits 1972 war die ehemalige DDR-Bürgerin von Bitterfeld nach Berlin umgezogen. Dort sind die Kirchensteuerstellen in den Finanzämtern angesiedelt; Personen, bei denen Unklarheit über eine etwaige Religionszugehörigkeit besteht, erhalten einen Fragebogen (siehe Anlage unterhalb des Artikels) von dem Kirchenamt, das wie ein Schreiben des Finanzamtes anmutet und den Empfänger zur Selbstauskunft auffordert. Die Frau kam dem nach und gab wahrheitsgemäß an, dass sie sich an eine Taufe nicht erinnern könne und konfessionsfrei sei.

Die Kirchensteuerstelle forschte daraufhin im Taufregister der Gemeinde ihres Geburtsortes nach und fand heraus, dass sie getauft worden war. Anschließend erhielt sie Bescheide des Finanzamtes, die sie aufforderten, Kirchensteuer nachzuzahlen. Den Kirchenaustritt konnte die heute 66-Jährige nicht formell nachweisen – nur die Austritte ihrer Eltern waren bei der Kirchengemeinde vermerkt –, obgleich sie in kircheninternen Mitgliederverzeichnissen nie auftauchte. Sie trat (erneut) aus der Kirche aus, legte Widerspruch ein und klagte.

ifw-Beirat Eberhard Reinecke
ifw-Beirat Eberhard Reinecke (Foto: © Evelin Frerk)

Der Anwalt der Klägerin, ifw-Beirat Eberhard Reinecke, argumentierte, sie habe objektiv keine Anhaltspunkte gehabt, Kirchenmitglied zu sein. Er kritisierte, dass die Kirchenzugehörigkeit durch eine Taufe im Säuglingsalter eine Mitgliedschaft ohne eigene Entscheidung sei. Auf der anderen Seite seien die Hürden, diese wieder abzulegen, sehr hoch. Er verglich dies mit Abo-Fallen im Internet.

Darüber hinaus verstießen die Berliner Finanzämter nach Ansicht des Rechtsanwaltes gegen geltendes Datenschutzrecht, wenn sie personenbezogene Daten von Nicht-Mitgliedern an die Religionsgemeinschaften übermittelten. Daher seien die so gewonnenen Informationen nicht verwertbar. Dass die Kirchensteuerstellen die Fragebögen versendeten und sich auf die Abgabenordnung beriefen, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei eben nicht um ein Schreiben einer staatlichen Behörde handele, sei Amtsanmaßung, Betrug und Urkundenfälschung, ein vorsätzlicher und systematischer Rechtsbruch.

Überhaupt sei die Ansiedlung der Kirchensteuerstellen in den Finanzämtern bereits verfassungswidrig, da sie gegen das Trennungsgebot von Staat und Kirche verstoße. Der Anspruch, selbst zu definieren, wer Mitglied sei und die auf der anderen Seite nötige Austrittserklärung gegenüber dem Staat seien "Rosinenpickerei". Es passe nicht zusammen, dass zwar kirchenrechtlich eine Mitgliedschaft durch eine nicht erfolgte Konfirmation beziehungsweise Firmung unvollständig sei, daraus auf staatlicher Seite aber dennoch eine Pflicht zur Kirchensteuerzahlung erwachse.

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Der Verteidiger der evangelischen Kirche hielt dagegen: Das Gefühl einer Nichtzugehörigkeit zu einer Religion ändere nichts an der Rechtslage. Eine Taufe sei kein Zwang zur Mitgliedschaft in der Kirche, da man jederzeit austreten könne. Wer freiwillig verweile, sei Mitglied. Die Klägerin trage die Beweislast zum Nachweis des Kirchenaustrittes, da die Eltern einmal Mitglied gewesen seien und die 66-Jährige eine eigene Kirchenzugehörigkeit somit in Betracht hätte ziehen müssen, gerade aufgrund des zeitversetzten Austritts der Eltern.

Objektive Kriterien dafür, dass die Klägerin nichts von ihrer Kirchenmitgliedschaft wusste, seien hier nicht erkennbar. Dass die Säuglingstaufe die Kirchenmitgliedschaft begründe, sei nun einmal geltendes Recht, meinte der Anwalt der evangelischen Kirche. Er verstehe überhaupt nicht, warum man dies in Frage stelle: "Sie konstruieren ein verfassungswidriges Verfassungsrecht", warf er der Gegenseite vor.

Die Kirchensteuerstellen müssten aufgrund ihrer Hoheitsbefugnis zur Besteuerung – in Form des Status "Körperschaft des öffentlichen Rechts" (KdöR) – in der Lage sein, die etwaige Kirchensteuerpflicht von Personen festzustellen. Die Datenerhebung direkt beim Betroffenen durch die Fragebögen sei "Datenschutzrecht in Reinkultur". Dass der Kirche auch die Daten von Konfessionsfreien übermittelt werden, sei seiner Meinung nach völlig unproblematisch. Außerdem komme bei der anschließenden Tatsachenermittlung das Datenschutzgesetz der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) zur Anwendung.

Verwaltungsgericht Berlin
Das Verwaltungsgericht in Berlin (Foto: © Evelin Frerk)

Die Klägerin wollte per Antrag erreichen, dass der Bescheid des Finanzamts mit der Erhebung der evangelischen Kirchensteuer für die Jahre 2012 und 2013 aufgehoben und die Gegenseite zur Erstattung der einbehaltenen Beträge verurteilt wird. Die EKD wollte, dass die Klage abgewiesen wird. Das Gericht gab nach langer Beratung schließlich der Kirche Recht, mit der Begründung, dass eine Kirchenmitgliedschaft aufgrund der Taufe vorliege und ein Austritt des Kindes durch die Eltern nicht explizit erklärt wurde.

Jacqueline Neumann, die als ifw-Direktoriumsmitglied die Klageschrift mit vorbereitet hatte, kommentierte das Urteil folgendermaßen: "Fakt ist, dass das Urteil in der Bevölkerung ebenso auf Unverständnis stoßen wird wie die Rasterfahndung via Fragebogen auf Unverständnis stößt. Aber das dürfte die Kirchen nicht interessieren. Sie fordern das Geld auch dann ein, wenn es von Konfessionsfreien, Ausländern oder Missbrauchsopfern kommt. All das haben wir im Rahmen der Unterstützung Betroffener schon erlebt." Man werde das Urteil prüfen und dann höchstwahrscheinlich Rechtsmittel einlegen. Das letzte Wort ist in dieser Angelegenheit wohl noch nicht gesprochen.