Mauretanien

Jeder, der zum Unglauben verführt, wird umgebracht

Im März 2018 kam Mohamed Yahya Ekhou aus Mauretanien nach Deutschland, weil er als Atheist dort von seiner Familie mit dem Tod bedroht wurde. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, derzeit wartet er auf den Ausgang der Revision, die er mit Unterstützung der Säkularen Flüchtlingshilfe dagegen eingelegt hat. Im hpd erzählt er seine Geschichte.

Die Islamische Republik Mauretanien unterliegt strengen religiösen Regeln und einer tribalistischen Herrschaft. Sie ist eines der drei Länder der Welt, die den Namen "Islamische Republik" verwenden. Die mauretanische Gesellschaft besteht aus mehreren ethnischen Gruppen. Die Araber sind eine Minderheit, aber sie kontrollieren Politik, Religion und Wirtschaft. Wir haben keine andere Wahl, als nur den sunnitischen Islam anzuerkennen. Meine Familie gehört einem religiös extremistischen Stamm namens "Tijkant" an und hat großen Einfluss in Mauretanien.

Es ist meine Überzeugung, dass der Mensch sich nicht von alleine von der automatischen Programmierung befreien kann, die uns eingetrichtert wurde. Also begann ich, meine wahre Persönlichkeit auf einem YouTube-Channel namens "Atheismus-Instinkt" zu zeigen. Ich versuche dort, meine Gedanken auszudrücken und den Glaubensbegriff neu zu deuten und zeige meine Vision des Atheismus und der Verbreitung des freien Denkens.

Und weil ich das Recht einforderte, meinen Glauben frei zu wählen und das öffentlich zu zeigen, wurde gegen mich eine Fatwa erlassen und viele Menschen, vor allem der mauretanische Parlamentarier Sheikh Bouy Mohamed Fadel, haben gerichtlich Beschwerde gegen mich eingelegt und meine Hinrichtung gefordert. Es gab Demonstrationen, bei denen dazu aufgerufen wurde, mich zu töten.

Meine Geschichte

Dem freien Denken habe ich mich 2014 während meines Studiums zugewandt und habe "Das Netzwerk der Liberalen" in Mauretatien gegründet, das zur Meinungsfreiheit aufruft. Ich verbreitete die Ideen der Aufklärung, habe mich aber nicht explizit als Atheist bezeichnet.

Am Anfang fragte ich, warum der Himmel Pforten hat. Warum kommt jemand, der Gutes tut, nicht ins Paradies – nur weil er kein Muslim ist? Zum Beispiel Angelina Jolie. Die Antworten warfen jedoch immer mehr Fragen auf und nichts ergab Sinn. Ich stellte dem Imam unserer Moschee diese Frage und er sagte zu mir: Geh und bete zwei Rak'ahs!

Diese Antwort animierte mich nur mehr dazu, ganz genau hinzuschauen und zu hinterfragen. Warum haben wir Angst davor, zu fragen und weiterzufragen? Bei jeder Frage wurde ich mir der Zerbrechlichkeit der Religion bewusster. Und darüber, was sie ausmacht. Warum gehören Muslime zu den ärmsten und kränkesten Menschen und zu den Opfern von Rechtsverletzungen, Ungerechtigkeit und Katastrophen? Wie kann Gott das den Menschen antun, die zu ihm beten?

Vereinen oder spalten uns die göttlichen Religionen?

Die Realität zeigt, dass Religionen uns spalten, von denen jede einzelne für sich beansprucht, das Monopol auf das Paradies zu haben. Diese Antwort brachte einen Prozess in Gang, ließ mich meine eigenen Gedanken und Überzeugungen hinterfragen und revidieren. Viele weitere Fragen wurden aufgeworfen, als ich in meine Recherchen eintauchte.

Zu der Zeit war ich Student an einer Universität in Ägypten. Viele Anrufe und Drohungen erreichten mich von Stammesangehörigen, die mir vorwarfen, die Religion in Frage zu stellen und zum Säkularismus aufzurufen. Was mich mehrmals dazu zwang, meine Telefonnummer und den Wohnort zu wechseln. Nach vier Jahren gründlicher Überlegungen bekannte ich mich zum Atheismus.

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Wer bedroht mich?

Zunächst meine Familie und der Stamm, dem sie angehört, denn Mauretanien ist eine Stammesgesellschaft. Außerdem Mohamed Fadel, Sohn des parlamentarischen Scheichs, der eine Klage eingereicht hat, um die Tötung des Apostaten per Dekret anzuordnen.

Drittens sieht das mauretanische Gesetz vor, dass jeder, der seine Religion anzweifelt, ersetzt oder abschafft, getötet werden soll. So steht es in Artikel 306 des mauretanischen Strafgesetzbuches. Jeder, der zum Unglauben verführt, ist ein Ketzer, der umgebracht wird, ohne zu Hinterfragen. Reue wird nicht akzeptiert.

Des Weiteren werde ich durch extremistische Gruppen bedroht, die an Demonstrationen teilgenommen haben, die meine Verhaftung und Hinrichtung gemäß der Scharia fordern. Darüber hinaus gibt es eine Drohung vom Anführer der Gruppe der Ahbab al-Rasul, die eine Fatwa gegen mich erlassen haben und zu Demonstrationen mobilisierten, die ebenfalls meine Hinrichtung forderten. Auch in den sozialen Medien wurde gegen mich gehetzt.

Aber auch hier in Deutschland wurde ich schon von einigen Muslimen zusammengeschlagen. Sie sagen, ich soll zur Hölle fahren: "Wie kannst du Atheist sein, wenn du Mohammed heißt?" Ich habe mir meinen Namen und meine Religion nicht ausgesucht! In islamischen Gesellschaften hat man keine Wahl zwischen Religion oder keiner Religion.

Die Säkulare Flüchtlingshilfe hat ein Gutachten für meinen Anwalt angefertigt, damit er meinen Fall besser vertreten kann. Der Anwalt erhält auch Informationen über neue Entwicklungen wie die Fatwa gegen mich. Er hat nun eine umfassendere Sicht auf meine Situation.

Den Glauben ändern oder abschaffen

Eine Veränderung im Bewusstsein und Unterbewusstsein der arabischen Gesellschaft herbeizuführen, war schon immer unvermeidbar damit verbunden, einen Teil des Selbst aufgeben zu müssen – und da das Selbst nichts anderes ist, als die angeborenen und erworbenen Identitätszugehörigkeiten, bedeutet jede bereichernde Veränderung, dass wir gleichzeitig einen Teil von uns aufgeben müssen.

Aber um die Kontinuität der eigenen Entität zu erhalten, werden Menschen wie ich als falsch und verwerflich dargestellt, der Akt der Veränderung wird als Verzicht und Verstellung beschrieben, obwohl ich ihn mehr als Bereicherung denn als Verleugnung sehe.

Die Wahlfreiheit ist ein natürliches Recht, das durch alle internationalen Gesetze und Konventionen garantiert wird. Viele in den arabischen Gesellschaften sagen, dass sie die Wahl- und Meinungsfreiheit respektieren und dass Uneinigkeit in diesen Fragen nicht zwischen dem freundschaftlichen Umgang miteinander stehen sollte. Allerdings zeigt der erste Lackmustest das genaue Gegenteil.

Um zu sagen, dass ein Land oder eine Gesellschaft eine echte Wahlfreiheit hat, muss es gewährleisten, diese Wahlfreiheit auch praktizieren zu können, seine Staatsangehörigen und Mitbürger zu schützen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre eigenen Werte leben zu können.

In religiösen Gemeinschaften im Allgemeinen und besonders in arabischen Ländern glauben sie, dass "Nichtreligiösität" und "Atheismus" etwas Bedrohliches sind und infolge dieses Gefühls werden alle Arten von Gewalt gegen die Apostaten und deren Verfolgung legitimiert. Damit ist die Wahlfreiheit gleich null. Wegen der Gesellschaft und der Gesetze, die Minderheiten unterdrücken. Auf die bloße Äußerung von Meinungen und Ideen folgt Blutvergießen und Mord.

Wir befinden uns im Zeitalter der individuellen Freiheit, der Wahlfreiheit, der freien Meinungsäußerung. Wir müssen verstehen, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, Unterdrückung und Verfolgung von Individuen zugunsten der Mehrheit – sei sie religiös, ethnisch oder ideell – zu akzeptieren.

Das bringt uns zum Nachdenken über den Stellenwert der Freiheit in Ländern mit religiösem Regime und wie sie sich entwickeln wird. Die Zeiten der Unterdrückung und des Mundtotmachens sind lange vorbei. Darüber hinaus verstößt das, was in Mauretanien passiert, gegen internationale Konventionen und Gesetze, die die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit garantieren.

Es ist an der Zeit, Ideen zu korrigieren und alle Entscheidungen zu respektieren und zu berücksichtigen, so wie wir das Prinzip der Akzeptanz respektieren – und die Gläubigen müssen auch die Ablehnung von Religion und den "Atheismus" respektieren. Atheisten hatten bisher keine Gelegenheit, ihre Ideen zu präsentieren.