Iranische Taekwondo-Athletin verlässt aus Protest das Land

Den Kopf frei kriegen

Sie war die erste Frau, die für den Iran auf dem olympischen Treppchen stand. 2016 gingen die Bilder von Taekwondo-Kämpferin Kimia Alisadeh um die Welt: Stolz trug die 18-Jährige in Rio de Janeiro ihre Bronzemedaille, um den Kopf einen weißen Hidschab. Alle Frauen im Iran müssen dieses Kopftuch tragen, Repräsentantinnen des Landes auch im Ausland. Nun hat Kimia Alisadeh den Hidschab abgelegt und ihrem Heimatland den Rücken gekehrt.

Berichten zufolge wird sie bei den Olympischen Spielen in Tokio diesen Sommer für die Niederlande antreten. Das brachte ihr harsche Kritik eines renommierten Sportkollegen ein. Die iranische Taekwondo-Legende Hadi Saei bezeichnete Ailsadehs Entscheidung als "Unverschämtheit": "Sportler sollen ihrer Fahne treu bleiben. Hätten wir damals ausländische Angebote bekommen, hätten wir uns dafür geschämt." Saei ist mit zwei Gold- und einer Bronzemedaille der erfolgreichste iranische Olympionike.

Dazu äußerte sich Ailsadeh am Sonntag auf Instagram. Ihr Posting ist eine Abrechnung mit dem iranischen Regime, das erfolgreiche Sportlerinnen als Aushängeschild für seine Propaganda missbraucht und ihnen gleichzeitig grundlegende Selbstbestimmungsrechte verweigert. "Ich bin eine der Millionen unterdrückter Frauen im Iran, mit denen sie nach Belieben seit Jahren spielen", zitiert der Spiegel sie. "Ich habe mich gekleidet, wie sie wollten. Ich habe jeden Satz wiederholt, den sie angeordnet haben. Es geht nicht um mich, nicht um uns. Wir sind nur Werkzeuge."

Screenshot Instagram
Screenshot Instagram

Die Athletin sprach sich auch gegen den im Iran herrschenden Kopftuchzwang aus. "Meine Medaillen haben sie benutzt, um für den Zwangs-Hidschab zu werben", zitiert Neues Deutschland sie weiter.

Derzeit soll sich Alisadeh in den Niederlanden aufhalten, schreibt der Spiegel unter Berufung auf die iranische Nachrichtenagentur ISNA. Diese wird auch als Quelle für die bislang einzige offizielle Stellungnahme genannt. Demnach sagte die stellvertretende iranische Sportministerin Mahin Farhadizad, man könne könne keine Sportlerin zwingen, im Iran zu bleiben. "Was wir tun können, ist, Frauen und Frauensport zu unterstützen." Alisadehs Kritik an der Gängelung von Frauen durch die iranischen Machthaber überging die Ministerin komplett.

Mit Kimia Alisadeh verliert die Islamische Republik eine international beachtete Sportgröße. Ein Jahr nach dem Olympia-Erfolg, bei der Weltmeisterschaft 2017, errang die Taekwondo-Kämpferin die Silbermedaille in ihrer Klasse (bis 62 kg), und die BBC listete sie im Oktober 2019 unter 100 inspirierenden und einflussreichen Frauen weltweit. "Athletinnen im Iran stehen vor vielfältigen Herausforderungen", wird Alisadeh dort zitiert, "Aber ich hoffe, wir werden im Angesicht all dieser Bedrängnis weitermachen und niemals aufgeben."

Chef-Schiedsrichterin bei der Schach-WM legt Kopftuch ab

Ein zweiter Eklat im Frauensport rückte die repressiven Kleidungsvorschriften in der Islamischen Republik abermals ins Interesse der Weltöffentlichkeit. Shohreh Bayat, Chef-Schiedsrichterin bei der Schach-WM der Frauen in Shanghai, hat am vierten Tag des Turniers das Kopftuch abgelegt. Als offizielle Repräsentantin des iranischen Schachverbandes trug sie es auch im Ausland beim Turnier, und zwar dezent auf dem Hinterkopf, sodass viel Haar zu sehen war.

Das brachte die Medien im Iran auf die Palme, wie Bayat während der WM via Internet erfuhr. Ihre entsetzte Reaktion schildert sie in einem Gespräch mit dem ARD-Hörfunk: "Die behaupten, ich hätte aus Protest gegen das Kopftuch keines getragen." Der iranische Schachverband verlangte von ihr sogar eine schriftliche Entschuldigung. Außerdem sollte sie als Zeichen der Reue ab sofort ein besonders strenges Kopftuch anziehen. Doch damit erreichten die Machthaber genau das Gegenteil.

Zunächst versuchte Bayat noch den Dialog, wie sie berichtet: "Ich habe den iranischen Schachverband gebeten, mir schriftlich zu versichern, dass ich ohne Sorge um meine Sicherheit in den Iran zurückkehren kann. Als ich darauf keine Antwort bekommen habe, war mir klar, dass es nicht sicher für mich ist, zurückzukehren und dass es nun auch keinen Unterschied mehr macht, ob ich das Kopftuch trage oder nicht." In ihr Heimatland will sie nicht mehr zurück.

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