Den beiden großen Kirchen laufen seit Jahren in Scharen die Mitglieder davon, weshalb diese nach neuen Strategien suchen, um Menschen vom christlichen Glauben zu überzeugen. Eine davon ist die Priorisierung auf frühkindliche Bildung in Kitas und Schulen. Jedoch kann ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht heutzutage aus guten Gründen kein zukunftsfähiges Konzept mehr darstellen. Ein Kommentar von Constantin Huber.
Der generelle Trend der letzten Jahrzehnte, wonach sich immer mehr Menschen in Deutschland von der Religion im Allgemeinen sowie vom Christentum im Besonderen abwenden, bringt die Kirchen mitsamt ihrer konfessionsgebundenen Bildungseinrichtungen in die Bredouille. In dem Bestreben, wieder die Deutungshoheit über die hiesigen weltanschaulichen Diskurse zu erlangen und keine Predigten vor leeren Rängen zu halten, versuchen religiöse Institutionen wieder mehr Menschen zur Frömmigkeit zu bewegen. Die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) hat eigens dazu einen Grundlagentext zur Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen veröffentlicht. In diesem werden Ziele wie das Hervorheben einer vermeintlichen Relevanz des Evangeliums benannt. In Schulen soll dabei verstärkt explizit auf religionsfreie Menschen zugegangen werden.
Der katholische Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig ist ebenfalls der Ansicht, dass frühe religiöse Bildung elementar wichtig ist. Für ihn ist sie sogar entscheidend zur reflektierten Identitätsbildung der Heranwachsenden. Ähnlich sieht das der Bistumsbeauftragte für Lehrerfortbildung in Mainz Ludger Verst. Laut Verst müsste den Schüler*innen außerdem vermittelt werden, wie stark der Glaube an den christlichen Gott sich durch Begebenheiten im Alltag in Verbindung bringen ließe und wie wichtig es sei, dass Gottesbilder nicht als Regel- und Kontrollinstanz, sondern als freiheitliches und kreatives "Geschehen" verstanden werden. Darin liege ihm zufolge eine Chance für den Religionsunterricht.
Warum die Säkularisierung auf dem Vormarsch ist
Doch die anhaltende Verweltlichung, die darin mündet, dass immer weniger Menschen ihr psychisches Wohl von den Versprechen der Kirche abhängig machen, hat viele Gründe, die auch von einer anderen Herangehensweise in der Bildungsarbeit nicht aufzuhalten ist. Als Spitzenreiter kann die offensichtliche Doppelmoral genannt werden, wonach zwar Wasser gepredigt, aber reichlich Wein getrunken wird. Dies zeigt sich etwa darin, dass die mehrere Millionen bis Milliarden Euro schweren Bistümer sich zwar nach außen hin als "Kirche der Armen" präsentieren, doch hinter den Kulissen über Finanzanlagen in Wertpapieren und Immobilienfonds ihr Vermögen kontinuierlich vermehren. Wie widersprüchlich Gebaren und Praxis sind, zeigt sich auch an der Haltung der Kirchen, es als legitim anzusehen, von den Bundesländern jährlich steigende horrende Zahlungen für angebliche Enteignungen aus dem frühen 19. Jahrhundert zu verlangen – und darin sind die Gelder für Caritas und Diakonie oder die fragwürdige Kirchensteuer noch nicht enthalten. Der Mitgliederschwund lässt sich auch auf weitere Aspekte zurückführen: die argumentativen Schwächen in den religiösen Narrativen, die Skandale rund um einzelne Geistliche wie etwa den Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst und nicht zuletzt auch auf die vielen Missbrauchsfälle mitsamt der systematischen Vertuschung und dem bis heute anhaltenden Bemühen, die rechtsstaatliche Aufarbeitung sowie Verfolgung der Verbrechen zu erschweren. Hinzu kommt, dass viele Geistliche, die sich an Kindern vergingen, noch nicht einmal ein Verfahren der eigenen, kirchlichen Paralleljustiz zu erwarten hatten, da sie als "Strafe" lediglich in eine andere Gemeinde versetzt wurden – ohne, dass diese über die Machenschaften aufgeklärt wurde.
Auswirkungen auf das Bildungswesen
All diese Gründe zeigen an, dass die neuen Vorstöße der religiösen Bildungseinrichtungen wohl ins Leere laufen werden. Aus gutem Grund sträuben sich immer mehr Eltern dagegen, ihre Kinder in den Religionsunterricht zu schicken, wenn es auch Alternativen gibt. Betrachtet man zusätzlich noch das schwierige Verhältnis von religiösen Institutionen zu wissenschaftlichen Konsensen wie etwa zur Evolution, wird deutlich, dass es für die Allgemeinheit von Vorteil ist, wenn die konfessionsgebundene Bildung zu einem Auslaufmodell wird. Die Forderungen, den Schöpfungsmythos als der Evolutionstheorie gleichwertiges Modell in Schulen gegenüberzustellen, können zu Zeiten von Fake News nur als nicht gerechtfertigte Adelung des Unwissens und als mindestens indirekte Unterstützung der Anliegen der Wissenschaftsgegner gewertet werden.
Bundesländer wie Berlin, Bremen oder Brandenburg machen es bereits vor. Dort ist der Religionsunterricht kein Pflichtfach mehr. Wer sich dennoch weltanschaulich bilden möchte, kann einen Ethik-Unterricht besuchen, in welchem zwar auch, aber eben nicht nur über Religion gesprochen wird – und gewiss nicht aus einer einseitigen Perspektive, die eine Religion glorifiziert. In einem solchen weltanschaulich neutralen Unterricht können viel besser Werte vermittelt und im Zweifelsfall kann stärker einer Radikalisierung vorgebeugt werden. Außerdem wird damit dem Umstand Rechnung gezollt, dass wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben, die auch vom Aufeinandertreffen verschiedener Religionen und Kulturen lebt. Diese bekenntnisfreie Bildungsform beschreibt ein zukunftsfähiges Konzept. Ein konfessionsgebundener Religionsunterricht ist hingegen ein Klotz am Bein der Gesellschaft, den es besser früh als spät abzuschütteln gilt.
11 Kommentare
Kommentare
Werner Koch am Permanenter Link
In dem Büchlein der EKD „Religiöse Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit – Aufgaben und Chancen“ (152 Seiten, www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/konfessionslosigkeit_2020.pdf) setzt sich die EKD intensiv mit den „Konfe
Gründe und Hintergründe von Konfessionslosigkeit werden ausführlich analysiert. Die EKD hat Interesse am Dialog mit Konfessionslosen und daran, Konfessionslose im Religionsunterricht und in kirchlichen Einrichtungen anzusprechen – mit dem Hintergedanken Kirchenmitglieder zu gewinnen – und noch-Kirchenmitglieder zu halten.
Man verschweigt auch nicht, die Zahl der Konfessionslosen ist „unter hoch Gebildeten deutlich höher als unter formal niedrig Gebildeten, unter Männern höher als unter Frauen.“ (Broschüre, Seite 30)
Der Begriff „Konfessionsfreiheit“ wird in der EKD-Broschüre auch angesprochen (Seite 33), aber nur um zu erklären, dass er abgelehnt wird, weil er beinhaltet, dass man von der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft befreit ist – aber das evangelische Glaubens- und Kirchenmitgliedschaftsverständnis hält die Mitgliedschaft für ein Element christlicher Freiheit …..
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Konfessionslos ist für mich ein anderes Wort für Freiheit, denn als Säugling hatte ich bei meiner Taufe keine Wahl, so wie alle katholisch oder evangelisch getauften Menschen.
Aus diesem Grund habe ich jetzt mein zweites Buch zum Thema Religionen geschrieben und
dieses wird in ca. 4 Wochen auf dem Markt sein. Ich hoffe das dies etwas zur Aufklärung der
Menschen beiträgt.
Junius am Permanenter Link
„Weltanschaulich neutrale Werte“? Wie soll das gehen?
Unechter Pole am Permanenter Link
Das entscheidende ist nicht ob der Unterricht konfessionsgebunden oder nicht konfessionsgebunden ist, sondern ob es sich überhaupt um einen Religionsunterricht handelt.
Roland Fakler am Permanenter Link
Inwiefern sollte das Evangelium für moderne Menschen relevant sein. Es sind Lügen und Märchen, die all unseren geltenden Werten, wie Demokratie und Menschenrechten…. Hohn sprechen.
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Bitte unterschätze niemand die Macht, die die Kirchen immer noch auf unsere Politiker haben. Ob es das Kreuz auf dem Humboldtforum ist oder der große Grundbesitz in den Städten, der ihnen stillen Einfluss erlaubt!
Manfred Wagner am Permanenter Link
Das stimmt leider
A.S. am Permanenter Link
Aber die Alternativen zu religiöser Bildung werden von der Politik kaputt gespart.
Frech wie ich bin, stelle ich folgende These auf:
Da Religion kriegswichtig ist (mentale Rüstung für Soldaten, Narkotikum für die Hinterbliebenen), legt unser Staat Wert auf die religiöse Erziehung der Jugend.
Technische Rüstung für die außenpolitische Sicherheit muss ergänzt werden durch mentale Rüstung des Militärpersonals. (Vgl. Taliban oder der IS, eher schlechte Waffen aber extreme mentale Rüstung durch Religion)
In diesem Kontext sind m.E. Militärseelsorge und die Garnisonkirche Potsdam zu sehen.
Manfred Wagner am Permanenter Link
Eine reflektierte Identitätsbildung der Heranwachsenden,lässt das Einsperren der Menschen in ein Glaubens und Verhaltensgefängnis nicht zu.Was Frühkindliche im religiösen Sinn bedeutet,weiß man ja,die Zwangsmitgliedsc
Eine reflektierte Identitätsbildung,muß frei von jeglicher Religion erfolgen,wie sonst sollte sie funktionieren wenn von vornherein die Maxime Himmel oder Hölle heißt.Wann sind wir Menschen reif ,zu reflektieren,zu verstehen und erkennen und wie erfolgt dieser Prozess,einfach in dem man das Kind über ein Waschbecken hält es nass macht und ihm eine Religion verordnet und ab da kann es reflektieren,aber pass bloß auf wie Du reflektierst,Gott sieht alles !
Stefan Dewald am Permanenter Link
Stefan sagt: »In der Welt des Lebendigen, der Biologie, ist nichts so beständig, wie die Veränderung.
Karen Stein am Permanenter Link
Ich finde den konfessionsgebundenen Religionsunterricht in den ersten 8,9 oder 10 Schuljahren weiterhin sinnvoll, mit der Wahl-Möglichkeit eines Ethik- und Islamunterrichtes.
In dem Kommentar werden mir beide Konfessionen zu sehr in einem Kirchentopf geworfen. Auch wenn wir viele Gemeinsamkeiten haben gibt es viele grundsätzliche Unterschiede. Es gibt keinen Terbarz-van Els, Missbrauchsfälle auf diesem Niveau, Zölibat, MännerKirche, Machthierarchien mit undemokratische Strukturen, Fronleichnamsprozessionen, u.v.m.
Menschenrechte, Demokratien, Bildung und Schulen für alle Fußen auf dem christlichen Menschenbild. Martin Luther war der Wegbereiter für die Schulbildung und wollte das im 16 Jh. alle Menschen in der Lage sind die Bibel und überhaupt selber lesen zu können.
Die Schöpfungsgeschichte ist demzufolge auch nicht wissenschaftlich zu lesen. Sie möchte nicht das "Wie ist die Welt entstanden?" beantworten, sonst würden auch nicht zwei Schöpfungsberichte im 1. Buch Mose stehen. (Und dazu lese ich lieber in einem naturwissenschaflichen Buch). Die Schöpfungsgeschichte hat die Frage nach dem Warum? Wozu? und Wer ist der Schöpfer dieser Welt?
Wie man mit der Literatur umgeht, das lernt man z.B. im Religionsunterricht.
Die Kirchen werden sich auch im Laufe der Zeit aus der sozialen Arbeit der Gesellschaft zurückziehen, weil die Kirchensteuereinnahmen fehlen. Ebenso wird die Diakonie vermutlich immer mehr Kindergärten, Altenheime, Behindertenheime, Heime für schwererziehbare Jugendliche usw. schließen.
Die Aufgaben wird dann der Staat selber übernehmen müssen und mit Steuermitteln zahlen ...
Der Kommentar ist mir zu diesem großen Thema zu dünn und zu oberflächlich, einseitig.