Warum christliche Missionierung rassistisch ist

Die Missionierung von "Naturvölkern" trägt auch heute noch den Kern von Kolonialisierung und Rassismus in sich.

Der tragische Tod von George Floyd löste in der westlichen Welt politische Schockwellen aus. Energisch wird die Rassismusdebatte geführt. Die Erkenntnis, dass der strukturelle und institutionelle Rassismus in vielen Ländern nach wie vor virulent und nicht überwunden ist, führt zur Ursachenforschung.

Das Resultat: Am Anfang war der Kolonialismus. Obwohl der Sklavenhandel im kolonialistischen Sinn überwunden scheint, wirken die verheerenden rassistischen Folgen für Schwarze und People of Colour bis heute nach.

Während der Debatte kam auch ans Tageslicht, was viele nicht wussten oder wahrhaben wollten: Selbst unsere vermeintlich heile Schweiz war verstrickt in den Sklavenhandel. Die Schweizer Finanzwelt und Söldner mischten tüchtig mit.

In der Diskussion um die ausbeuterische Politik ging aber ein Phänomen unter. Und es ist höchste Zeit, dass auch dieser Teil der unsäglichen Geschichte ins öffentliche Gedächtnis geholt wird: Die weltweite Missionierung von "Heiden" oder Andersgläubigen durch christliche Missionare. Diese Form von Rassismus und Kolonialismus hält bis heute an.

Das Unheil beginnt schon in der Bibel

Um die Ursachen und Zusammenhänge zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte notwendig. Diese beginnt mit der Bibel und mit Jesus. Im Matthäus-Evangelium heißt es beispielsweise:

"Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."

Jesus verabschiedet sich vom Kreise seiner Jünger, in dem er ihnen den Auftrag zur Mission erteilt. Der Missionsbefehl ist die Beauftragung der Jünger, in die Welt hinauszugehen. Mittelalterliche Buchmalerei vom Meister der Reichenauer Schule. (gemeinfrei)
Jesus verabschiedet sich vom Kreise seiner Jünger, indem er ihnen den Auftrag zur Mission erteilt. Der Missionsbefehl ist die Beauftragung der Jünger, in die Welt hinauszugehen. Mittelalterliche Buchmalerei vom Meister der Reichenauer Schule. (Gemeinfrei)

Jesus rief also im Namen Gottes zum Kolonialismus auf. Seine Jünger befolgten die göttliche Aufforderung und strömten bis in die hintersten Winkel der Erde, um die "Heiden" zu bekehren.

Dass sie dabei Erfolg hatten, ist offensichtlich. Das Christentum ist auch heute noch die größte Weltreligion. Die religiöse Kolonialisierung trug im Kern auch den Rassismus. Sie demonstrierte die Macht und Überlegenheit der weißen Missionare. Das taten sie 2000 Jahre lang weitgehend ungehindert.

Und heute?

Noch immer befolgen fast alle christlichen Glaubensgemeinschaften die Weisung von Jesus, noch immer strömen ihre Missionare in alle Richtungen aus, um Gottes Wort in die Welt zu tragen und Muslime, Hindus, Buddhisten, Juden, Atheisten und Naturvölker zu bekehren.

Neben den Landeskirchen sind vor allem die meisten evangelikalen und charismatischen Freikirchen eifrig unterwegs, um angeblich Seelen zu retten.

Auch bei dieser umstrittenen Tätigkeit holen die christlichen Missionare die höhere Legitimation aus der Bibel. Diese verheißt, dass das Reich Gottes erst dann vollendet ist, wenn alle Völker dieser Erde die göttliche Botschaft vernommen haben.

Gewalt im Namen Gottes

Die biblische Forderung, die gesamte Menschheit zu missionieren, hatte verheerende Folgen. Die christlichen Missionare traten in Afrika, Asien und Südamerika oft selbstherrlich und autoritär auf. Mit der Bibel in der Hand und im Namen Gottes drängten sie den Ureinwohnern ihren Glauben auf. Dabei waren sie nicht zimperlich. In früheren Jahrhunderten kollaborierten sie außerdem mit den Sklavenhändlern und scheuten sich oft nicht, Gewalt anzuwenden.

Missionare sahen in den Naturvölkern wilde Koronen, die es zu zähmen und domestizieren galt. Toleranz, Respekt und Empathie brachten sie ihnen nur selten entgegen. Vielmehr galt es, den "Heiden" christliche Werte und Lebensweisen aufzuzwingen.

Dass die Missionare dabei soziale Strukturen, kulturelle Traditionen, religiöse Wurzeln und sinngebende Bräuche zerstörten, war beabsichtigt.

Missionierung ist Identitätsraub

Heute gehen die Missionare bei ihrer Bekehrungsarbeit behutsamer oder subtiler vor. Viele verstehen sich auch als eine Art Entwicklungshelfer. Das ist allenfalls löblich, aber immer noch eine untolerierbare Form von religiösem Kolonialismus.

Denn die Missionare dringen nach wie vor in abgelegene Regionen vor, in denen kleine Stämme und Sippen am Rand der Zivilisation leben. Die letzten Naturvölker zu missionieren, bedeutet auch heute noch, sie zu entwurzeln und ihnen ihre Identität zu rauben.

Erwähnt seien die riesigen Missionswerke von SIL und Wycliff, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Bibel in alle Sprachen dieser Welt zu übersetzen. Ihre Missionare benötigen auch heute noch viele Jahre, manchmal Jahrzehnte, um die Sprachen kleiner Minderheiten zu lernen, die Bibel zu übersetzen, die "Wilden" zu bekehren und ihre Seelen zu "retten".

Die religiöse Form des Kolonialismus und Rassismus muss ein Ende haben. Und es ist höchste Zeit, dass die jahrhundertelange Geschichte der missbräuchlichen Missionierung öffentlich debattiert und aufgearbeitet wird.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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