Kolumne: Sitte & Anstand

Ich bin das wildeste Biest von allen

Wozu ist Gott gut? Die Lektüre des Kirchenvaters Augustinus nährt den Verdacht: Die Gottheit dient vor allem dazu, das Ego ihrer Vorbeter aufzupumpen.

Ich hab jetzt mal wieder ein bisschen bei Augustinus reingelesen, huijuijui, der Kerl lässt gar nicht wieder locker vor lauter Selbstzermetzelung! "Ich hasste mich aus innerem Verlangen", "tosendes Gewirr ausschweifender Leidenschaft", "Ekel", "Hunger", "schreckliche Finsternis der Lust", "Meer von Wunden", "Schmutz der Begierde", "meine übermäßige Eitelkeit" – das alles poppt binnen weniger Zeilen auf in den "Bekenntnissen", die der Kirchenvater um 400 niederschrieb: Hier hat ja wohl jemand echt ein Problem.

Augustinus, mächtiger Bischof von Hippo (im heutigen Algerien) und Erfinder des Übergießens unschuldiger Säuglinge mit Wasser, will ein tüchtig dickes Buch zum Lob seines Gottes vorlegen. Zumindest gibt er das vor. In Wahrheit schreibt er ein tüchtig dickes Buch über sich selbst. Und über das lustvolle, pralle, schmerzensreiche Lotterleben, das hinter ihm liegt. Die Selbstverliebtheit könnte größer kaum sein, wer hätte denn bis dahin einen dicken Wälzer über sein eigenes Leben veröffentlicht?

Über hunderte von Seiten prahlt Augustinus mit dem eigenen abgefahrenen Lebenswandel, als wäre es ein Gangstarap-Video, und um das tun zu können, verwendet er einen Trick: Er spaltet sich selbst auf – in den lust- und schmerzvollen Jung-Augustinus einerseits. Und in den weisen, ordnungsliebenden, entsagungsvollen Alt-Augustinus andererseits. (Warum Gott all die köstliche Lust überhaupt erst erfunden hat, wenn man sie nicht genießen darf, bleibt dabei unvertieft.)

Augustinus schafft es auf diese Weise, aus einer einfachen Selbstüberhöhung eine doppelte zu machen: Er ist der schlimmste Finger und ist der treueste, bravste Diener gleichzeitig. Er ist der heißeste Feger und der verdammenswerteste Mensch. Er ist der Größte in der Lust und der Größte im Verzicht. Gott? Welche Funktion kommt Gott eigentlich zu in diesem Werk, das angeblich ihm zum Ruhm geschrieben ward? Zunächst einmal, klar: Augustinus ist mit ihm auf Du und Du. Ständig spricht er ihn an, schleimt er sich ein, wirft sich in den Staub, ständig unterwirft er sein Leben der Kontrolle und dem Urteil des Allmächtigen – ihn so an sich bindend, zumindest für den Leser. Nahezu symbiotisch scheinen die beiden zu sein. Was also ist Gott, der Schweigsame, Unsichtbare, hier anderes als der dritte Weg zur Selbstüberhöhung?

Als ich noch Studententheater machte, habe ich viele Wege des Narzissmus kennengelernt, manche mehr, manche weniger charmant. Die nervigste aller Frauen jedenfalls hatte eines Tages die Selbstverdopplung per Plüschente erfunden: Die Plüschente hatte sie bei allen Proben dabei, und sehr ernsthaft pochte sie darauf, dass jedermann überall und stets der Plüschente seine Referenz zu erweisen hatte. Die nervige Laienschauspielerin, eine eher kleine Person und selber einer Ente nicht völlig unähnlich, hatte damit ihre Präsenz mit einem Schlag verdoppelt: Und ist das nicht das Prinzip Gott, noch in einer etwas kleineren Version?

Falls es die Frau und die Ente noch gibt, würde es mich nicht wundern, wenn die Ente mittlerweile allerhand Superkräfte hätte und auch rigide Lebensregeln aufgestellt hätte in punkto Lust, Ordnung, Achtsamkeit und Veganismus. Augustinus jedenfalls schrieb seine Bekenntnisse vorgeblich zum Ruhm seiner Gottheit, und doch trieft aus jeder Zeile immer: Augustinus, Augustinus, Augustinus, das wildeste Biest von allen, der treueste Diener seines Herrn. Und damit, wenn man das mal gelesen hat, hat man eben doch viel über Gott und den Glauben gelernt.

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