Rezension

"Grundzüge des Islam" in kritischer Sicht

Der bekannte Islamwissenschaftler Tilman Nagel legt mit "Was ist der Islam? Grundzüge einer Weltreligion" eine beschreibende Darstellung in Kombination mit einer kritischen Sicht vor. Gerade die Betonungen eines Gegensatzes zu einer säkularen Perspektive machen das Buch interessant, wobei der Autor hier mitunter zu Pauschalisierungen oder Überzeichnungen neigt.

Mittlerweile gibt es eine Fülle von Büchern, die sich als Einführungen zum Islam verstehen. Ihnen gesellt sich mit "Was ist der Islam?" eine weitere Monografie hinzu. Geschrieben hat sie Tilman Nagel, der zwischen 1981 und 2007 Professor für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Göttingen war. Über sein ganzes Forscherleben hinweg legte er zahlreiche Studien zum Themenkomplex vor. Besonders bekannt wurde seine voluminöse Arbeit über Mohammed. Das Buch "Was ist der Islam? Grundzüge einer Weltregion" versteht sich als eine bilanzierende Zusammenfassung. Warum verdient es Interesse? Erstens gehört der Autor zu den führenden Forschern in den deutschen Islamwissenschaften. Und zweitens bringt er eine bestimmte Perspektive mit ein. Bereits zu Beginn heißt es, das Buch wolle, "den Leser gerade auf die erheblichen Differenzen aufmerksam (…) machen, die zwischen der Weltauffassung des Muslims und derjenigen des jeglichen überindividuellen Bezug zum Transzendenten leugnenden zeitgenössischen Europäers bestehen" (Seite 8).

Cover

Damit deutet sich bereits an, dass es sowohl um beschreibende Darstellungen wie kritische Kommentierungen gehen soll. Das Buch besteht aus 20 Kapiteln, die jeweils mit einer Frage überschrieben sind und gut strukturierte Informationen, aber auch Wertungen vermitteln. Anstatt einer eigenständigen Inhaltsangabe seien die Überschriften zur Veranschaulichung genannt: "Was ist der Islam?", "Wer ist Allah?", "Wer war Mohammed?", "Was ist der Koran?", "Was ist das Hadith?", "Was ist die Scharia?", "Was lehrt der Islam über das Jenseits?", "Was sind Imamat, Kalifat und Sultanat?", "Was ist der Dschihad?", "Was sind Sunniten?", "Was sind Schiiten?", "Was versteht der Muslim unter Religion?", "Wie sieht der Islam den Menschen?", "Was ist Sufismus?", "Was ist islamischer Rationalismus?", "Was ist Salafismus (reformierter Islam)?", "Wovon berichten die 'großen Erzählungen' des Islam?", "Wie sieht der Islam die Nichtmuslime?", "Was lehrt der Islam über die Frauen und die Ehe?" und "Was ist Islamwissenschaft?".

Die Auflistung macht bereits deutlich, dass man über viele relevante Gesichtspunkte informiert wird. Der Autor spielt dabei seine über die Jahrzehnte erworbene fachliche Kompetenz aus. Indessen fällt auf, dass er immer nur wenige Belege bringt und allzu häufig auf eigene Veröffentlichungen verweist. Besondere Beachtung im Buch verdienen Einschätzungen, die insbesondere hinsichtlich der Korrekturen von verbreiteten Vorstellungen wichtig sind. Dazu gehört etwa die Annahme: "Islam ist Friede". Nagel bemerkt dazu: "Die Behauptung (…) dient einzig dem Zweck, die Tatsache zu verschleiern, dass seit dem Beginn der islamischen Geschichte der islamischen Daseinsordnung und mit ihr verbunden die islamische Machtausübung auch mit Waffengewalt und mit Drohungen durchgesetzt worden sind." (Seite 47) Das ist zwar zutreffend, macht es sich aber auch zu einfach. Denn es geht doch eigentlich um ein besonderes Friedensverständnis, was wiederum mit dem besonderen Menschenbild dieser Religion zusammenhängt.

Darauf geht Nagel auch immer wieder in seinen kritischen Reflexionen ein. Deutlich zeigt sich dies etwa bei den Ausführungen zum islamischen Menschenrechtsverständnis. Immer dann, wenn der Autor kursierende Fehldeutungen anspricht, kommt seinem Buch auch ein hoher aufklärerischer Wert zu. Dies gilt etwa für die Bemerkungen über den häufig postulierten Gegensatz von "großem" und "kleinen Dschihad" oder über das Bild vom "Gebiet des Islam" und des "Gebiet des Krieges". Indessen fehlen kritische Aspekte: Die geschichtswissenschaftlichen Einwände gegen die kursierende Frühgeschichtsversion des Islam werden nicht breiter thematisiert. Auch der "Islam"-"Islamismus"-Kontext wird nur randständig angesprochen, die "Muslimbrüder" kommen etwa nur auf vier Seiten verstreut vor. Berechtigt argumentiert der Autor gegen "ideologische Anweisungen" (Seite 7) und die "politische Korrektheit" (Seite 297), bedient sich hierbei aber doch schiefen Pauschalisierungen. Dies schadet mitunter seiner berechtigten Kritik.

Tilman Nagel, Was ist der Islam? Grundzüge einer Weltreligion, Berlin 2018 (Neuausgabe 2020) (Duncker & Humblot-Verlag), 695 Seiten, 39,90 Euro

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