Kommentar

Rekord-Kirchensteuereinnahmen trotz Rekord-Kirchenaustritten

Anfang der Woche hat die Deutsche Bischofskonferenz den Bericht "Zahlen und Fakten 2019/20" veröffentlicht, aus dem für 2019 ein deutliches Plus bei den Kirchensteuereinnahmen hervorgeht. Auch die evangelische Kirche vermeldet trotz schwindender Mitgliederzahlen steigende Einnahmen.

1,8 Prozent mehr hat die katholische Kirche im vergangenen Jahr an Mitgliedsbeiträgen eingenommen, bei der evangelischen Kirche betrug die Steigerung 2,7 Prozent. Laut dem Bericht "Zahlen und Fakten 2019/20" der Deutschen Bischofskonferenz ging es von 6,64 auf 6,76 Milliarden Euro nach oben, die evangelische Kirche vermeldet Mehreinnahmen von 5,95 Milliarden Euro im Vergleich zu 5,79 Milliarden in 2018. Zur Relation: Diese Summen sind höher als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) so manches Staates.

Das nominale Kirchensteueraufkommen zeigt sich damit bemerkenswert resilient gegenüber den seit Jahren im Sinkflug befindlichen Mitgliederzahlen. 2019 verließ die Rekordzahl von mehr als einer halben Million Menschen die evangelische und katholische Kirche, wie der hpd berichtete. So sind die Kirchensteuerrekorde ein schwacher Trost, rühren sie doch von den 2019 um knapp drei Prozent gestiegenen Nominallöhnen her.

Angesichts des grassierenden Coronavirus SARS-CoV-2 ist von einem deus ex machina durch Lohnentwicklungen im Jahr 2020 wohl nicht auszugehen. Ganz im Gegenteil, es drohen den einzelnen Bistümern und Landeskirchen Einnahmeausfälle zwischen zehn und zwanzig Prozent, wie die Tagesschau vor einigen Tagen berichtete. EKD-Finanzabteilungsleiter Carsten Simmer rechnet sogar mit einem "Korridor zwischen minus zehn und minus 30 Prozent". Auf ein Gesamtkirchensteueraufkommen 2019 von ungefähr 12,6 Milliarden Euro gemünzt, sind das stattliche 1,26 bis 3,78 Milliarden Euro, die den Kirchen fehlen werden.

Das Finanzierungsmodell steht mittelfristig so oder so auf tönernen Füßen, wie eine Selbstanalyse der katholischen Kirche bereits bekannte: "Die Momentaufnahme der Statistik blendet dagegen die Demografie aus. Würde sie nach Alter aufschlüsseln, wären die offiziellen Kommentare wohl schon länger viel düsterer ausgefallen." Eine solche Langfristprojektion der katholischen Kirche errechnet einen Mitgliederschwund von 48 Prozent und einen Rückgang der Kaufkraft um sage und schreibe über 50 Prozent bis zum Jahr 2060.

So tanzt man lediglich um den Elefanten im Raum herum, wenn ein Georg Bätzing zur Kirchenstatistik sagt: "Natürlich sind die Rückgänge [der Sakramente und Gottesdienstbesuche] auch demographisch bedingt, sie zeigen aber zunächst einmal die Tatsache, dass wir [...] eine Vielzahl von Menschen nicht mehr für das kirchliche Leben motivieren." Der Elefant ist nun dieser: Die Kirchen wähnen sich noch immer im Zentrum einer Gesellschaft, ideologisch wie wirtschaftlich, und fragen sich, wie man die Schäfchen zurück auf die Weide bekommt. In den Augen der Schäfer ist eine Gesellschaft ohne sie nicht möglich. Die Schäfchen unterdessen streifen fröhlich durch die Lande und vermissen dabei nichts.

Welches Angebot sollte eine auf Hierarchie und Folgsamkeit basierende Idee auch einer Generation machen können, der man den Slogan "Du kannst alles werden!" bereits mit dem Babybrei verabreicht hat? Welches Angebot könnte eine solche Idee einer Generation machen, in der jedes Individuum ganz eigene transkulturelle Erfahrungen macht, sei es die Rucksackreise durch manche Länder Asiens, das Auslandssemester in Südafrika oder der mehrjährige Lebensabschnitt als Tauchlehrer in Argentinien?

Der Palast der organisierten Religion wird zur Geisterstadt, zunehmend bevölkert von Karteileichen und Konservativen. Es ist nicht zu verkennen, dass die Selbstverständlichkeit, mit der vor allem die katholische Kirche ihre Autorität in moralischen und gesellschaftlichen Fragen geltend macht, längst dahinsiecht. Ebenso wenig, dass es für Millionen Menschen längst ein Leben fernab der Kirchen gibt, in das überhaupt kein Heil gebracht, das nicht gesegnet und auch nicht im Namen nahöstlicher Zimmermannsgesellen gelebt werden muss, um als vollkommenes solches empfunden zu werden.

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