Ein Forum für einen aufrichtigen Dialog oder vielmehr ein "Zirkus Ludwig"?

Wien bekommt einen Campus der Religionen

Bereits im Jahr 2015 erfolgte die Segnung der für den Campus der Religionen vorgesehenen Fläche in der Seestadt Aspern. Das "gesegnete" Grundstück, welches knapp 10.000 Quadratmeter umfasst, wurde von der Stadt Wien zur Verfügung gestellt.

Es folgte ein internationaler Architekturwettbewerb, welchen das Wiener Architekturbüro "Burtscher-Durig" für sich entscheiden konnte. Nach der Pressekonferenz am 11. August ist nun der Startschuss für die Errichtung des Campus gefallen, auf welchem acht Religionsgebäude mit "kontemplativen Dachgärten" und einem gemeinsamen Vorplatz errichtet werden sollen. Zusätzlich zu den acht Sakralbauten wird hier von der St.-Augustinus-Stiftung der Erzdiözese Wien auch eine Bildungseinrichtung der interreligiös ausgerichteten Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH) errichtet werden.

Auf diesem Campus werden folgende Religionsgemeinschaften vertreten sein: Die römisch-katholische, die evangelische und die griechisch-orthodoxe Kirche. Ebenso die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), die Buddhistische Religionsgesellschaft, die Neuapostolische Kirche, die Israelitische Kultusgemeinde sowie die Sikh-Kultusgemeinde.

Dieser Campus soll ein Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung sein und das konkrete Miteinander sowie den Austausch der acht beteiligten Religionsgemeinschaften "auf Augenhöhe" ermöglichen, wie es Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Kardinal Christoph Schönborn bei dem Pressetermin formulierten. Bürgermeister Ludwig hofft, dass dieses Projekt von hoher Symbolkraft für ganz Wien ist und weit über die Bundeshauptstadt hinaus wirken wird. Die Motivation für die Stadt Wien, dieses Projekt zu fördern, liegt für Ludwig auch darin, dass damit gezeigt werden könne, "was die Zusammenarbeit der Religionen an positiven Strömungen für die Gesellschaft auslösen kann".

Erfreulicherweise ist auf der Website des Campus zu lesen: "In Aspern Seestadt in Wien entsteht ein Ort der Begegnung, der nicht nur allen religiösen (und auch religionskritischen) Institutionen, sondern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein wird." Die diesbezügliche Anfrage des hpd, an welche Art der Einbindung religionskritischer Institutionen hier gedacht wird, blieb bis jetzt allerdings unbeantwortet.

Wie ist dieses Projekt aus säkular-humanistischer Sicht zu bewerten? Nun, grundsätzlich ist diese Dialogbereitschaft der Religionsgemeinschaften als ein positives Signal anzusehen. Die Realisierung gemeinsamer Projekte stellt in der Organisationsentwicklung einen wesentlichen Faktor für das Teambuilding dar. Die Durchführung eines solchen Friedensprojektes ist daher ein intelligenter Schachzug der Stadtregierung für eine gemeinsame Zukunft.

Gerade kritische Geister – und diese gibt es ja in der säkularen Szene mehr als genug – werden aber doch einige wesentliche Fragen stellen: Warum werden zuerst Millionen von Steuergeldern in den Religionsunterricht gepumpt, welcher angeblich für die Wertevermittlung von so entscheidender Bedeutung ist, wenn dann wiederum Millionen von Steuergeldern benötigt werden, um genau solche Friedensprojekte zu finanzieren, deren Ziel es ist, zu verhindern, dass die geförderten Religionsgemeinschaften übereinander herfallen? Ohne "Krieg" braucht man auch kein "Friedensprojekt".

Irgendwie bleibt hier doch der üble Beigeschmack eines Schildbürgerstreiches erhalten. Wäre es nicht sinnvoller, diese Gelder gleich in den säkularen Humanismus zu investieren? Als guter Beginn würde sich hier der für alle verpflichtende Ethikunterricht anbieten, der allen Kindern, unabhängig von den religiösen Überzeugungen der Eltern, Respekt und Toleranz gegenüber Andersdenkenden vermittelt.

Wie authentisch ist der Eindruck von diesen Religionsgemeinschaften, der hier vermittelt werden soll? Einige der hier vertretenen Gemeinschaften zeichnen sich im Falle des Innehabens einer Machtposition nicht gerade durch besondere Toleranz und Dialogbereitschaft aus. In Österreich besteht derzeit eine spezielle Patt-Situation, bei der keine Religionsgemeinschaft eine wirkliche Allmacht für sich beanspruchen kann. Die katholische Kirche ist zwar immer noch die mitgliederstärkste religiöse Organisation, verliert aber permanent Mitglieder; der Islam ist mittlerweile die zweitgrößte Religionsgemeinschaft.

Allerdings bestehen hier massive interne Differenzen, unter anderem zwischen türkischen und arabischen Muslimen. Dass in einer solchen Situation eine Dialogbereitschaft besteht, verwundert also nicht weiter. In Anbetracht der Vergangenheit und der Gegenwart entsteht beim Campus dann doch leicht der Eindruck, dass sich hier die Religionsgemeinschaften von ihrer Schokoladenseite präsentieren und dem Besucher eine "Dressurnummer" des "Zirkus Ludwig" beziehungsweise eine Mischung aus Disneyland und Safaripark geboten wird, welche wenig über die "freie Wildbahn" aussagt.

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