Der studierte Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad legt mit "Aus Liebe zu Deutschland. Ein Warnruf" sein neues Buch vor, worin er vor den Gefahren angesichts von ungelösten Identitätsproblemen warnt. Der Autor hat sich indessen vom Thema her ein wenig zu viel vorgenommen, reißt er doch viele drängende Fragen berechtigterweise an, ohne aber diese dann ausführlicher und differenzierter zu erörtern.
Anlässlich von 30 Jahren deutscher Einheit erschienen viele Stellungnahmen, welche die Entwicklung und den Standpunkt der erweiterten und damit neuen Bundesrepublik Deutschland kommentierten. Dazu gehört auch das Buch "Aus Liebe zu Deutschland. Ein Warnruf." Geschrieben hat es der studierte Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, der durch seine islamkritischen Bücher bekannt geworden ist. Er definiert sich selbst als Aufklärer und Humanist und kritisierte immer wieder auch die Integrationspolitik in diesem Land.
Das Buch stellt ihn als "islamischen Intellektuellen" auf dem Klappentext vor, indessen dürfte Abdel-Samad diese Einordnung oder Zuschreibung selbst nicht gefallen. Dazu waren seine Bücher über den Koran oder über Mohammed wohl zu kritisch ausgerichtet. Aufgrund einer gegen ihn verhängten Fatwa lebt er unter permanentem Polizeischutz. Darauf weist der Autor in diesem Buch häufig hin – bei aller berechtigter Empörung darüber kann hier aber auch formuliert werden: allzu häufig. Es soll aber um das Buch gehen.
Abdel-Samad erklärt in der Einleitung sein Anliegen: Er wolle sein Deutschland den Lesern nahebringen, wobei die Errungenschaften im Land gelobt und die Gefahren für es thematisiert werden sollen. Dabei stellt der Autor immer wieder auf Identitätsprobleme ab, erklärten sich so doch viele Probleme und Widersprüche: "… drei Säulen für eine geistige, gemeinsame Identität fehlen: Ein Gründungsmythos für die Nation, eine gelebte Erinnerungskultur und ein klares Bekenntnis zu den Spielregeln, die das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft regeln" (S. 18). Was dies genau bedeutet, ist Gegenstand der folgenden Kapitel: Darin geht es um Einwände gegen eine einseitige Erinnerungskultur bezogen auf den Nationalsozialismus, um Deutschland als Land der verspäteten Revolutionen, um historische Beispiele für das freiheitliche Herz des Bürgertums, um die Grenzen der Meinungsfreiheit durch "politische Korrektheit", um die Gefahren von um sich greifendem Hass oder um die konzeptionellen Mängel der Migrationspolitik.
Bilanzierend betrachtet plädiert der Autor für "eine aufgeklärte Leitkultur" (S. 193), welche für ihn aus den Alternativen in folgenden Gegensatzpaaren besteht: "Diskursethik statt Gesinnungsethik" (S. 197), "Zivilcourage statt Untertanen-Mentalität" (S. 198), "Pluralismus statt Multikulturalismus" (S. 202) oder "Soziale Gerechtigkeit statt Identitätsgerechtigkeit" (S. 207).
Dabei findet sich durch das Buch hindurch eine Kombination von unterschiedlichen Textsorten. Es gibt autobiografische und persönliche Betrachtungen ebenso wie philosophische und politische Reflexionen, aber auch Berichte von Gesprächen mit Historikern oder Schriftstellern durchziehen das Werk. Die Kapitel sind kleinteilig und übersichtlich gehalten. Mitunter finden sich kurze und prägnante Einschätzungen wie "Patrioten lieben ihre Heimat, Nationalisten lieben ihre Angst um die Heimat" (S. 31). Der Autor präsentiert auch eine Typologie, die sieben "Gesichter des Untertanengeistes" (S. 90–93) unterscheidet. Oder er bemerkt: "Die Freiheit ist unteilbar" (S. 196).
Bei der Lektüre verstört eine gewisse Selbstinszenierung: Abdel-Samad präsentiert sich als Nonkonformist und Tabubrecher. Dies mag mit gewisser Berechtigung geschehen, verstört aber durch eine gewisse Penetranz. Aber auch hier gilt: Es soll um das Buch, nicht um den Verfasser gehen. Darin werden wohl zu viele Fragen angerissen, aber nicht zu Ende gedacht. Es gibt berechtigte Appelle in einem aufgeklärten Sinne, auch Kritik in verschiedene Richtungen. Doch wenn Angstgefühle und Digitalisierung, Gesinnungsethik und Meinungsfreiheit, Migration und Schuldgefühle jeweils Themen sind, dann gerät dies meist allzu kursorisch und oberflächlich. Das ist mehr als nur bedauerlich, denn viele Aussagen hätten nähere Erörterungen verdient. Das Kapitel "Migration: Chance oder Gefahr für die deutsche Identität?" umfasst gerade mal 13 Seiten. Gewiss, der Autor hat einmal ein ganzes Buch darüber geschrieben. Die Formulierung "Wenn Ideologie auf Konzeptlosigkeit trifft" (S. 181) klingt interessant, verliert sich dann aber doch eher in Allgemeinplätzen.
Hamed Abdel-Samad, Aus Liebe zu Deutschland. Ein Warnruf, München 2020 (Deutscher Taschenbuch Verlag), 223 Seiten, 20 Euro
15 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
„Das Buch stellt ihn als ‚islamischen Intellektuellen‘ auf dem Klappentext vor,…“ da stellt sich für mich die Frage: Warum lässt er sich das gefallen oder wie soll ich das verstehen?
Roland Weber am Permanenter Link
Bei politisch Interessierten bedarf es keines Warnrufes mehr. Gelesen habe ich "genug" - auch von diesem Autor, dem man zumindest für seine anderen Bücher dankbar sein muss.
Leider werden viele Aspekte der Integration von deutscher Seite zu naiv angegangen. Längst existieren doch zahllose Parallelwelten. So will man jetzt auch rein türkisch-sprachige Schulen einführen. Genau so kann man labile Gemeinschaften endgültig wirkungsvoll und nachhaltig spalten. Muss man auch türkisch lernen um künftig jeden Politiker noch verstehen zu können? Die deutschen Politiker haben vollkommen unnötig das Staatsrecht aufgeweicht, indem sie überhaupt doppelte Staatsbürgerschaften zugelassen haben. Um seine eignen Wurzeln zu respektieren bedarf es keiner Staatsbürgerschaft. Wäre es zu viel verlangt, wenn sich ein türkisch-stämmiger Bürger (bzw. auch andere Nationalitäten!) irgendwann einmal entscheiden darf oder muss, ob er die deutsche oder die türkische Staatsbürgerschaft (bzw. andere) für sich in Anspruch nimmt? Möchte man auch doppelte Parteizugehörigkeiten oder doppelte Religionszugehörigkeit einführen? Diese absurden Aspekte dürften deutlich machen, dass das wohl überhaupt keinen Sinn macht und deshalb bei Parteien ausdrücklich ausgeschlossen wird. In religiösen Fragen kann man wohl kaum auch noch auf diese Idee verfallen.
Die gemeinsame Sprache und das Bekenntnis zur politischen und gesellschaftlichen Kultur machen aus Gesellschaften Völker. Wer in Deutschland lebt, sollte sich als Bereicherung einbringen, aber nicht durch Verweigerung und mit dem Anspruch als politische oder religiöse Radikalalternative und schlichte Kopie der heimatlichen Verhältnisse.
Wenn in der Besprechung hier ein zu viel an "eigener Betrachtung" des Autors kritisiert wird, dann sollte man sich nicht wünschen vielleicht selbst sein Leben unter Polizeischutz verbringen zu müssen, nur weil man eine andere Meinung vertritt oder Zustände und Entwicklungen der Öffentlichkeit zugänglich macht. Man sollte erkennen, wie "ernst" die Zustände sind. Warnrufe sind jedenfalls gerechtfertigt.
malte am Permanenter Link
Es ist ein grundlegendes Problem, dass die Debatte um den Islam ständig mit der Frage nach der natonalen (und ganz allgemein: kollektiven) Identität verknüpft wird.
Christian Meißner am Permanenter Link
Wenn ich diese Diskurse um die "deutsche Identität" mitbekomme, bin ich geneigt, mir den guten alten Eichendorff an seinem Beamtenschreibtisch vorzustellen, wie er sich in "das Leben eines Taugenichts&q
Und dann stelle ich mir vor, gemütlich mein - selbstverständlich alkoholfreies - Feierabendbier zur Tofu-Bratwurst zu zischen, um daraufhin einen nächtlichen Spaziergang zu unternehmen - durch den deutschen Wald, mit Hamed Abdel-Samad, Saša Stanišić und Serdar Somuncu als treue Weggefährten. Weltschmerz adé!
Meine wir jetzt alle dieselbe "deutsche Identität"? Oder ist "Identität" vielmehr ein mentales Konstrukt, ein Produkt das sich aus der jeweiligen Wechselwirkung gegenseitiger Erwartungshaltungen ergibt?
Ich bin sicher, meine imaginierten Weggefährten könnten mir diese Frage beantworten.
Matthias Freyberg am Permanenter Link
Diese Buchbesprechung ist enttäuschend, ja ärgerlich.
Hamed Abdel Samad warnt vor gefährlichen Entwicklungen und will einen Kurswechsel anstoßen.
Er analysiert, übt Kritik, greift bewusst Tabu-Themen auf, weist auf notwendige Prozesse hin, bezieht Stellung und macht sich angreifbar. Mehr geht nicht.
Es ist eindeutig: angesichts der Situation, in der sich Deutschlan befindet und der gesamt-gesellschaftlichen Herausforderungen, denen wir gegenüber stehen müssen alle miteinander um Grundlagen, um gelebte Demokratie und praktische Lösungen ringen. Armin Pfahl-Traughber hält sich mit nebensächlichen Bemerkungen und Befindlichkeiten auf. Über die Motivation, den Autor und das Buch in ein eher negatives Licht zu stellen kann man nur Vermutungen anstellen. Hilfreich und konstruktiv ist das nicht und man sollte sich keinesfalls davon aufhalten lassen.
Petra Pausch am Permanenter Link
„Über die Motivation, den Autor und das Buch in ein eher negatives Licht zu stellen kann man nur Vermutungen anstellen.“ - Na dann vermuten Sie mal locker aus der Hüfte.
Also: Karten auf den Tisch: Weshalb, Herr Freyberg, unterstellen Sie Motive, wie Sie doch nur nicht der gleichen Meinung wie der Autor der Rezension sind.
Matthias Freyberg am Permanenter Link
Hallo Frau Pausch,
Es ging mir darum dafür zu werben, sich der Einschätzungen und Argumente von Hamed
ernsthaft anzunehmen und sich mit ihnen auseinander zu setzen. Nichts anderes sagt mein Text aus.
Unterstellungen oder gar persönliche Zuschreibungen sind darin gerade nicht enthalten. Ihre blinde Aggressivität aufgrund lediglich unterstellter Aussagen oder Positionen ist einer humanistischen Plattform unwürdig. Streitkultur tut not.
Petra Pausch am Permanenter Link
Schön, dass Sie hier Streitkultur einfordern. Allerdings scheinen Sie dabei nicht zu sehen, was Sie selbst schrieben.
Matthias Freyberg am Permanenter Link
Nein - ich gebe mich keinerlei Spekulationen oder Unterstellungen hin.
Christian Meißner am Permanenter Link
Ärgerlich finde ich den Versuch, einen Menschen, der Interessantes wie Streitbares sagt und schreibt, gegen Kritik zu immunisieren.
Matthias Freyberg am Permanenter Link
Hallo Christian,
Ich freue mich, dass Du Hamed für einen Autor hälst, der Interessantes wie Streitbares sagt.
Ein interessanter Spagat: Du lobst Hamed, kritisierst aber meinen Text, der für die
Auseinandersetzung mit seinem Buch wirbt; und zwar unter Bezugnahme auf Positionen oder Haltungen, die in dem Text gar nicht enthalten sind. Eine solch destruktive Vorgehensweise halte ich besonders deshalb für beklagenswert, weil darüber Inhalt und Relevanz des Warnrufes drohen aus dem Fokus zu verschwinden.
Matthias
Christian Meißner am Permanenter Link
Hallo Matthias,
wegen Hamed Abdel-Samad habe ich mich tatsächlich bereits von so mancher liebgewonnen Überzeugung verabschiedet. Dennoch nehme ich nicht alles, was er äußert, kritiklos hin. Im Speziellen bin ich bei Versuchen, eine kollektive Identität zu konstruieren, sehr kritisch aufgestellt, gebe aber gerne zu, dass ich mich mit den Ansichten des Autors dazu noch näher befassen muss, um sie abschließend bewerten zu können.
Einerseits verweist du auf mangelnde Qualität des Diskurses, andererseits sprichst du anderen Menschen m. M. n. allzu schnell die Diskursfähigkeit ab. Schade, denn es gäbe in der Tat viel zu diskutieren!
Christian
Matthias Freyberg am Permanenter Link
Hallo Christian,
ich habe niemandem die Diskursfähigkeit abgesprochen – aber Positionen bzw. Vorgehensweisen argumentativ krisitiert. Ein entscheidender Unterschied.
Dass man mit sämtlichen Positionen oder Aussagen eines Autors übereinstimmt erwartet wohl auch niemand ernsthaft - es wäre kaum glaubwürdig.
Hamed hält offenen Diskurs und Streitkultur für essentiell, um anstehende gesellschaftliche Schwierigkeiten und Herausforderungen angehen zu können. Auf dieser Linie spricht er sich für eine Verantwortungs-Ethik anstelle einer Moral-Ethik aus, was Zielrichtung des Austausches und kommunikativen Umgang m.E. deutlich verbessern würde. Die Problemstellungen sind jedenfalls vielschichtig, teilweise tabu-beladen und alles andere als trivial - ein Umlaufen letztlich nicht möglich. Deshalb erschien mir eine Relativierung oder Abwertung seines „Warnrufes“ als kontra-produktiv. Und tut es noch.
Matthias
Christian Meißner am Permanenter Link
Hallo Matthias,
danke für die Klarstellung. Manchmal kommen die Dinge eben anders beim Empfänger an, als der Sender es beabsichtigt.
Inhaltlich bleibe ich dabei: Solche eben mal schlankerhand verkündeten Rezepte für ein vermeintlich stimmiges kollektives Identitätsempfinden - wie von HAS offenbar kreiert - sind mir suspekt. Und hier wäre eine offene Debatte - im Sinne von "Wie sehen wir uns selbst?" und "Wie sehen wir die anderen?" - aus meiner Sicht überaus sinnvoll - gerade auch, um den aus meiner Sicht totalitären Ansatz der so genannten "Identitären Bewegung" zu entlarven.
Und nur fürs Protokoll: Dass HAS mit diesen Leuten nichts am Hut hat, ist mir klar.
Christian
Matthias Freyberg am Permanenter Link
Hallo Christian,
ich freue mich, dass wir das so weit haben klären können und hinsichtlich der Notwendigkeit einer offenen Debatte übereinstimmen.
Beste Grüße
Matthias