Offener Brief an die Bürger von Hellenhahn-Schellenberg

Kontroverse um den Evolutionsweg

In einem Bürgerbegehren haben die Bürger der Westerwald-Gemeinde Hellenhahn-Schellenberg die Errichtung eines "Evolutionspfads" in ihrer Gemeinde abgelehnt. Die Säkularen Humanisten – gbs-Rhein-Neckar haben den Weg entwickelt und waren Projektpartner der Gemeinde. An der Debatte, die zur Ablehnung des Evolutionsweges geführt hatte, waren sie nicht beteiligt. Der hpd veröffentlicht einen Offenen Brief des Vereins.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir waren überrascht, welche medialen Wellen Ihr Streit über den Evolutionsweg und insbesondere der Ausgang des Bürgerentscheids geschlagen haben. Daher waren wir zunächst sprachlos. Viele andere haben in unserem Sinne gesprochen, denen wir an dieser Stelle herzlich danken wollen. Vor allem auch jenen, die sich im Ort für den Evolutionsweg eingesetzt haben.

Die Säkularen Humanisten – gbs-Rhein-Neckar e. V. haben den Weg entwickelt und waren Projektpartner der Gemeinde. Wir sind ein Verein im Förderkreis der Giordano-Bruno-Stiftung.

Wir teilen die Ziele und Anliegen der Stiftung, sind aber nicht die Stiftung und haben auch nicht im Auftrag der Stiftung gehandelt oder in ihrem Auftrag den Weg entwickelt. Wir sind aber selbstverständlich dankbar für die Unterstützung unseres Vereins und des Evolutionswegs durch die Stiftung.

Sie, liebe Gemeinde, haben bisher zwar viel über den Evolutionsweg und die Giordano-Bruno-Stiftung gehört, gesprochen und darüber gelesen, aber mit uns, den Entwicklern und Projektpartnern, hat bisher niemand geredet. Wir selbst haben uns bewusst aus Ihrer Entscheidungsfindung heraus gehalten und uns nicht aktiv eingemischt, denn für uns stand immer der Evolutionsweg als Bildungseinrichtung im Vordergrund, und niemals unser Verein.

Mit jetzt einigen Tagen Abstand zum Ausgang der Bürgerentscheidung, die bei einer Wahlbeteiligung von rund 60  Prozent mit 339 Nein-Stimmen und 250 Ja-Stimmen gegen den Evolutionsweg ausgegangen ist, schreiben wir Ihnen diesen offenen Brief.

Hellenhahn-Schellenberg wird mit seiner Entscheidung nun bundesweit als zurückgebliebenes Hinterwäldlerdorf wahrgenommen, das in seinem Denken im Mittelalter steckengeblieben ist. Als Beispiel für Unaufgeklärtheit von religiösen Menschen wird es noch lange in Erinnerung bleiben.

Wir bedauern das sehr, denn es wird weder der Gemeinde, den religiösen Menschen, noch der Sache an sich gerecht.

Wir möchten einige Dinge klarstellen und Missverständnisse aus der Welt schaffen. Auch hoffen wir, zu einer Befriedung in der Gemeinde beitragen zu können.

Die Ablehnung des Evolutionsweges hat sich unseres Erachtens aus drei Motiven heraus gespeist:

  • der Überzeugung, dass die Evolutionstheorie nicht richtig sei oder zumindest zwingend mit einem positiven Bezug auf Gott verbunden werden müsse.
  • der Unterstellung, das Projekt sei "religionsfeindlich" und "atheistisch", weil die Entwickler des Evolutionsweges der Giordano-Bruno-Stiftung angehören.
  • der Behauptung, dass die Kosten des Weges für die Gemeinde zu hoch seien und es nicht hinnehmbar sei, Steuergelder für eine als fremd empfundene Weltanschauung auszugeben.

Zu den Kosten

Mit dem mutmaßlich langweiligsten Punkt, den Kosten, möchten wir anfangen, da er am einfachsten erläutert ist. Mutmaßlich langweiligster Punkt deswegen, weil wir der Überzeugung sind, dass er nur vorgeschoben war, um die Ablehnungsmotive nach außen zu objektivieren, und dass es um die Kosten in Wahrheit niemals wirklich ging.

Die Gesamtkosten des Weges belaufen sich auf rund 2.500 Euro. Das lässt sich anhand der bestehenden Evolutionswege einwandfrei belegen. Die Kosten des Weges setzen sich zusammen aus den Lizenzkosten von 800 Euro und rund 1.700 Euro für Material und Druckkosten.

Bedauerlicherweise hatten wir als Verein nicht rechtzeitig realisiert, dass die überschlägigen Gesamtkosten von 2.500 Euro in die Beschlussvorlage für den Gemeinderat als Lizenzkosten eingeflossen sind, zu denen dann noch Material- und Druckkosten hinzuaddiert wurden. So standen immer 4.600 Euro Kosten zur Debatte. So viel hätte der Weg jedoch niemals gekostet. Das hatten wir leider erst bemerkt, als die Debatte schon hochgekocht war, weswegen es nicht mehr richtig gestellt werden konnte.

Da der Weg eine Bildungseinrichtung ist, wäre er aber selbst in diesem fälschlich viel zu hoch angesetzten Kostenrahmen eine sehr preiswerte Bildungs- und Tourismus-Maßnahme gewesen, verglichen mit allen anderen Kosten für Bildung und Tourismus, die eine Gemeinde üblicherweise unwidersprochen ausgibt.

(Von den Ausgaben einer Gemeinde, oder allgemein der öffentlichen Hand im Zusammenhang mit der Unterstützung des religiösen Lebens oder der Kirchen muss an der Stelle sicher nicht gesprochen werden.)

Die Kosten des Weges sind so niedrig, weil in dem Weg sehr viel ehrenamtliche Arbeit unseres Vereins steckt. Die Lizenzkosten sind als symbolische Anerkennung der geleisteten Arbeit zu sehen, zumal mit jedem zu errichtenden Weg weitere Arbeit für das Projektteam anfällt. Kostendeckend, im Sinne der vielen Arbeitsstunden, die in der Entwicklung des Weges und die Umsetzungsbetreuung eines konkreten Weges fließen, sind diese Lizenzkosten bei weitem nicht. Jeder, der sich auch nur entfernt mit vergleichbaren Konzepten und Projekten beschäftigt, kann das sofort nachvollziehen.

Der Verein macht diese Arbeit, weil es ihm um die niederschwellige Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen geht. Wer mehr über das wissenschaftliche Verständnis des Vereins erfahren möchte, kann dies gerne in unserem "Beitrag zur Wissenschaft" nachlesen.

Wir möchten den Kosten-Aspekt auch deswegen nicht unter den Tisch fallen lassen, weil die Kosten des Bürgerentscheids bemerkenswerterweise in etwa so hoch waren, wie es die Kosten des Evolutionsweges gewesen wären.

Zur inhaltlichen Richtigkeit der Schautafeln zur Evolution

Wir bitten um Verständnis dafür, dass wir an dieser Stelle nicht die umfangreiche Literatur zur Evolution zitieren, das würde den Rahmen des offenen Briefes sprengen.

Da ein Teil der Ablehnung das Verständnis von Wissenschaft betrifft, das sich insbesondere an dem Wort "Theorie" festmachen lässt, sei lediglich aus unserem erwähnten Beitrag zur Wissenschaft wie folgt zitiert:

"Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter Theorie eine unbewiesene Behauptung verstanden beziehungsweise eine Vorstellung, wie ein Vorgang oder Mechanismus funktionieren könnte, ohne dass gezeigt wird, dass dies wirklich der Fall ist. Schlimmer noch, zuweilen wird das Wort als Synonym für etwas verwendet, was zwar auf dem Papier, nicht aber in der Praxis funktioniert. Das trifft nicht für wissenschaftliche Theorien zu. Im Gegenteil: Erst mit der reproduzierbaren (wiederholbaren) Vorhersage von bisher nicht bekannten Abläufen und ihrer Bestätigung wird in der Wissenschaft aus einer Hypothese eine Theorie. Als solche bezeichnet man ein System wissenschaftlich begründeter Aussagen, mit dem Ausschnitte der Realität und die zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten beschrieben, Prognosen über die Zukunft erstellt werden können oder erklärt werden kann, wie sich ein vorgefundener Endzustand aus bekannten Vorstufen heraus entwickelt hat.

Ein bekanntes Beispiel für eine wissenschaftliche Theorie ist Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Wie die Evolutionstheorie ist auch die Allgemeine Relativitätstheorie nicht final zu beweisen, sie wären beide allerdings durch einen einzigen Befund, der nicht mit diesen Theorien zu erklären ist, zu widerlegen (falsifizieren). Die Falsifikation wird zwar berechtigterweise fortlaufend versucht, ist aber bislang noch nicht gelungen, was für die Qualität dieser Theorien spricht.

Jede Theorie ist eine gehärtete Hypothese und damit nicht davor gefeit, angegriffen oder gestürzt werden zu können."

Wenn also die Evolutionstheorie angegriffen wird, so ist das legitim. Wir bitten aber darum, dass bei diesen Angriffen auf dem Boden der Wissenschaftlichkeit argumentiert wird.

Dass Gott auf den Schautafeln nicht genannt wird, hat den einfachen Grund, dass Gott zur wissenschaftlichen Erklärung der Evolution nicht notwendig ist.

Und mit der Entstehung des Lebens oder des Universums an sich beschäftigen sich die Schautafeln nicht. Auch das hat einen einfachen Grund: Diese Prozesse sind noch nicht widerspruchsfrei und fundiert genug wissenschaftlich geklärt. Daher gibt es dazu keine Aussagen auf den Schautafeln.

Zur Giordano-Bruno-Stiftung

Den Evolutionsweg mit dem Hinweis auf die Giordano-Bruno-Stiftung abzulehnen, ist als Argumentum ad hominem zu werten.

Der Evolutionsweg steht für sich, als Instrument der Bildungsvermittlung mit anerkanntem wissenschaftlichen Inhalt. Die Giordano-Bruno-Stiftung ist auf den Schildern, die für Hellenhahn-Schellenberg vorgesehen waren, nicht erwähnt. Ein Wanderer, der die Schilder gesehen hätte, könnte aufgrund der Schilder gar keinen Bezug zur Stiftung herstellen. Von daher wären die Besucher des Weges in Hellenhahn-Schellenberg gar nicht in die Versuchung gekommen, sich mit anderen Weltbildern als denen, die sie selbst haben, auseinanderzusetzen.

Dennoch ist es an der Stelle angebracht, auch ein paar Worte über uns und die Stiftung zu verlieren.

Es ist richtig, dass sich in der Stiftung vornehmlich Menschen engagieren, die keiner Religion angehören, weil sie Atheisten oder Agnostiker sind, also entweder die Existenz Gottes beziehungsweise mehrerer Götter bestreiten oder meinen, dass man zu diesem Thema überhaupt keine sinnvollen Aussagen machen kann. Ist das in ethischer oder politischer Hinsicht relevant? Nein. Denn ob ein Mensch im religiösen Sinne gläubig ist oder nicht, sagt nichts darüber aus, ob er ein rechtschaffenes und wertegeleitetes Leben führt. Daher sollte die Frage des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses in einer rationalen Debatte keine allzu große Rolle spielen.

Wer ist unter uns Menschen, der dem anderen seine guten Absichten abspricht, nur weil er nicht dem "gleichen Verein" angehört? Kann aus einem "anderen Verein" als dem eigenen nicht Gutes und Richtiges kommen? Muss man Angst haben, dass beim Kontakt mit anderen Weltbildern oder Überzeugungen, als denen, die man seine eigenen nennt, die eigenen an Wert verlieren? Wir denken nein.

Was haben wir denn zu verlieren, wenn wir andere Sichtweisen kennenlernen? Nichts als Irrtümer, wenn das, was für uns neu ist, eine stärkere Überzeugungskraft hat, als das, was wir kannten.

Wir denken, dass es jedem Menschen gut tut, gelassen auf Sichtweisen anderer Menschen zu blicken. Man sollte es sportlich nehmen, wenn die eigenen Annahmen über die Wirklichkeit von anderen Menschen nicht geteilt werden. Und man sollte immer die Mahnung von David Hume im Ohr haben: "Misstraue jeder Theorie, die deinen Neigungen entspricht."

Bitte fragen Sie sich: Wie stark ist die eigene Position, wenn man sich inhaltlich nicht mit gegenteiligen Positionen auseinandersetzen will? Glauben Sie wirklich, dass über den Evolutionsweg "alles gesagt" sei, bloß weil man behauptet, dessen Urheber seien "religionsfeindliche Atheisten"?

Seien Sie versichert: Wir und die Stiftung sind keineswegs "religionsfeindlich", wir äußern bloß dort Kritik gegenüber Religionen (und politischen Ideologien), wo diese gegen solide wissenschaftliche Erkenntnisse und/oder humanistische Grundwerte (im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) verstoßen.

Bitte seien Sie gerne auch kritisch gegenüber der Religionskritik! Beachten Sie aber bitte, dass diese Kritik an inhaltlichen Positionen nicht in eine Feindlichkeit gegenüber den Personen umschlägt, die diese Positionen vertreten!

Wir jedenfalls sehen Gläubige nicht als "Feinde" an – und würden uns freuen, wenn Sie Ungläubige in gleicher Weise behandeln würden.

Vielleicht kann dies eine Basis dafür sein, dass die Gräben in Ihrer Gemeinde wieder verschwinden. Wir hoffen das aufrichtig.

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