Verschwörungsideologien haben während der Corona-Pandemie Hochkonjunktur. Doch viele Verschwörungsmythen sind nicht neu, sondern weisen sowohl strukturell als auch inhaltlich deutliche Ähnlichkeiten mit bereits jahrzehntealten Verschwörungsideologien auf, so Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber im Interview mit hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.
hpd: Verschwörungstheorien scheinen derzeit Hochkonjunktur zu haben. Aber was genau ist eigentlich eine Verschwörungstheorie, Herr Prof. Pfahl-Traughber?
Pfahl-Traughber: Man muss hier die Begrifflichkeiten sehr genau unterscheiden. Eine Verschwörung als reales Ereignis meint eine geheime Übereinkunft zwischen zwei und mehr Personen, um ein bestimmtes gesellschaftlich relevantes Ziel zu erreichen. Eine Verschwörungshypothese vermutet für ein Ereignis eine Verschwörung, zeigt sich aber bei gegenteiligen Argumenten und Belegen als korrekturfähig. Eine Verschwörungsideologie unterstellt eine Konspiration mit Pseudoargumenten, zeigt sich aber nicht bei gegenteiligen Argumenten und Belegen als korrekturfähig. Ein Verschwörungsmythos unterstellt eine Konspiration, wobei ein Glaube daran als Grundlage dient und man entsprechend auch nicht für Kritik offen ist. Die Bezeichnung "Verschwörungstheorie" lehne ich ab, da der "Theorie"-Begriff das Gemeinte intellektuell zu sehr aufwertet. Ich denke, man sollte eher von "Verschwörungsideologien" sprechen.
Nun gibt es Verschwörungsideologien ja nicht erst seit gestern. Es gibt sogar einige Klassiker in diesem Genre. Was macht diese Verschwörungsideologien aus?
Klassische Verschwörungsideologien sind meist auf angebliche konspirative Akteure ausgerichtet, denen man eine verschwörerische Praxis unterstellt. So galten Juden als angebliche Verschwörer – wobei sich diese Auffassungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart ausmachen lassen. Auch der Freimaurerei wurde bereits vor der Französischen Revolution verschwörerisches Wirken zugeschrieben, sollte sie doch für derartige Umbrüche verantwortlich sein. Ähnlich verhält es sich mit den Illuminaten, die trotz ihrer Auflösung nach nur kurzer Existenz bis in die Gegenwart hinein als Verschwörer gelten. Es gab auch die Fiktion einer "kommunistischen Verschwörung", wobei man sagen muss, dass sich bei Kommunisten neben dieser Fiktion auch tatsächliche verschwörerische Aktivitäten feststellen ließen.
Wie unterscheiden sich neuere Verschwörungsideologien von ihren klassischen Verwandten?
Neuere Verschwörungsideologien sind weniger auf angebliche Akteure und mehr auf konkrete Ereignisse bezogen, wobei der "Hauptverschwörer" nicht immer klar ist. Ein Beispiel dafür ist die Behauptung, dass die Mondlandung von 1969 nicht stattgefunden habe, sondern in einem Hollywood-Studio inszeniert wurde. Weitere dieser neueren Verschwörungsideologien sind, dass die Anschläge vom 11. September 2001 nicht von Al-Qaida, sondern von der CIA, dem Mossad oder anderen Verantwortlichen durchgeführt worden seien, oder dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat, sondern ein illegitimes Konstrukt sei und das "Reich" noch fortbestehe. Sehr beliebt ist auch die Verschwörungsideologie, dass es den Plan eines "Großen Austausches" geben würde, wobei die eingeborene Bevölkerung durch Migranten ausgetauscht werden solle.
Warum sind diese und andere Verschwörungsideologien so beliebt und verbreitet?
Erklärt werden kann die Akzeptanz von Verschwörungsideologien dadurch, dass sie bestimmte Bedürfnisse erfüllen und dabei spezifische Funktionen zu erkennen geben. Dazu gehört die Identitätsfunktion, da sich die Anhänger gefühlsmäßig einer positiv besetzten Gruppe gegenüber einer negativ besetzten Gruppe angehörig fühlen. Bedeutsam ist auch eine Erkenntnisfunktion von Verschwörungsideologien, denn sie erklären scheinbar komplexe gesellschaftliche und politische Prozesse. Eine Aufwertungsfunktion macht die Anhänger von Verschwörungsideologien angeblich zu "wahrhaft Wissenden", welche allein hinter die "Kulissen" der Politik sehen. Aufgrund der Dynamik globaler Entwicklungen und ihren gesellschaftlichen Folgen steigt heute ein Bedürfnis nach einfachen Erklärungen, wozu Verschwörungsideologien immer gehörten. Und politische Akteure können verschwörungsideologische Inhalte dann über deren Legitimations- und Manipulationsfunktion in einem vielfältigen Sinne nutzen.
Apropos politische Akteure. Gibt es Ihrer Ansicht nach einen Bereich des politischen Spektrums, der besonders anfällig ist für Verschwörungsideologien?
Ein Denken im verschwörungsideologischen Sinne findet sich in vielen ideologischen Kontexten, aber insbesondere in der politischen Rechten bzw. beim Rechtsextremismus. Diese Besonderheit erklärt sich dadurch, dass man dort eher an individuellen Handlungsprozessen und weniger an gesellschaftlichen Strukturen orientiert ist. Tatsächlich gibt es verschwörungsideologische Kontinuitäten von der Völkischen Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts bis zu den Corona-Protesten. Die Völkische Bewegung bestand als Sammlungsströmung zwischen 1870 und 1933 und war von Antisemitismus, Imperialdenken, Rassismus und Sozialdarwinismus geprägt. Verschwörungsideologische Inhalte richteten sich insbesondere gegen die "Juden" und später dann gegen die "Freimaurer", aber auch gegen die "Bolschewisten", denen man unterstellte, sie wollten die nationalistische Ordnung durch eine internationalistische "Weltrepublik" ablösen. Da die NSDAP als Teilbereich der Völkischen Bewegung anzusehen ist, wurde die antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsideologie 1933 zu einer Staatsideologie. Im bundesdeutschen Rechtsextremismus kam es dann zu einer direkten Fortsetzung derartiger Verschwörungsvorstellungen, ergänzt um eine stärker antikommunistische Variante. Um strafrechtlichen Folgen zu entgehen, arbeitete man in der Propaganda allerdings eher mit Anspielungen und Insinuationen (zum Beispiel "Globalisierer", "Ostküste", aber auch "ZOG"). Gegenwärtig spielt, wie gesagt, die Rede vom "Großen Austausch" eine wichtige Rolle, die die Existenz einer Konspiration zum Bevölkerungsaustausch suggeriert. Und wie alle bedrohlichen neueren Entwicklung wird auch "Corona" verschwörungsideologisch gedeutet, etwa als Folge einer "Soros"-Verschwörung. Hinzu kommt, dass angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz von Verschwörungsideologien Rechtsextremisten viele Ereignisse gezielt in einem verschwörungsideologischen Sinne deuten.
Halten Sie Verschwörungsideologien für gefährlich?
Ohne jeden Zweifel. Der Glaube an Verschwörungsvorstellungen diskreditiert rationales Argumentieren und delegitimiert die Institutionen eines demokratischen Verfassungsstaates. Verschwörungsideologien mögen noch so sehr für monokausale und stereotype Deutungen stehen, sie sind aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung politisch wie sozial relevant.
11 Kommentare
Kommentare
E. Steinbrecher am Permanenter Link
Der Begriff Verschwörungstheorie ist, glaubt man den Erkenntnissen von Google, eine Inspiration der amerikanischen CIA.
Verdeibeln ist eine Sache, aber eine sehr einseitige. Würde mehr Transparenz in unsere Gesellschaft Einzug halten, in allen Bereichen, würden die Amtskirchen, u.a., auf den Platz gesetzt werden, den das Grundgesetz ihnen zuweist, würde mehr offengelegt werden, wäre es sicher schnell vorbei mit vielen Theorien und der Antisemitismus dürfte sich spürbar abbauen! Es könnte sich aber auch zeigen, das an mancher Theorie mehr dran ist und die sich als richtig erweiset. Ob wir wirklich arkane Gesellschaften brauchen die irgendwelchen rückwärtsgerichteten Ideen nachtrauern?
Ich fürchte, das ist wie die Frage zu sehen was zuerst war - Ei oder Henne -. Bevor diese Zeilen als verschwörerisch eingestuft werden: Ja, die Ambiguität ist gewollt :)
Christian Meißner am Permanenter Link
"Der Begriff Verschwörungstheorie ist, glaubt man den Erkenntnissen von Google, eine Inspiration der amerikanischen CIA."
Der Begriff "Verschwörungstheorie" wurde schon im Werk von Karl Popper: "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" verwendet. Das Buch wurde 1945 publiziert. Die Gründung der CIA datiert auf das Jahr 1947.
Facts are your friend!
Jaheira am Permanenter Link
Hat Popper den Begriff Verschwörungstheorie populär gemacht oder die CIA?
Christian Meißner am Permanenter Link
Die Antwort ist: Popper. Dieser referierte über die "conspiracy theory of society" am 26. Juli 1948 auf einer Gelehrtentagung in Oxford. Das war der Startschuss für die Karriere des Begriffes.
Angewandt wurde er unter anderem auf die NS-Propaganda der "jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung" auf Grundlage der gefälschten "Protokolle der Waisen von Zion". Notiz am Rande: Popper war Holocaust-Überlebender. Mit der CIA hat das alles nichts zu tun, denn diese existierte zu NS-Zeiten noch nicht.
Die Reichweite geheimdienstlicher Operationen ist zudem nicht unbegrenzt. Denn keine Organisation ist allwissend, so dass sie alle Folgen ihres Handelns von vornherein einkalkulieren könnte - mag sie auch noch so sehr nach umfassenden Wissen streben. Deswegen ist die Geschichte der Geheimdienste in Teilen auch eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen - und sie wird es auch in Zukunft sein.
Wer somit manipulativen Methoden von Geheimdiensten bezüglich der Beeinflussung von Diskursen mehr Macht zuschreibt, als Menschen, deren erkennbare Absicht es ist, einen rationalen Diskurs zu befördern, der diskreditiert den Diskurs selbst. Dies offenbar, weil er den irrationalen Glauben an "böse Mächte" noch nicht überwunden hat.
Die CIA ist nicht allmächtig, genau so, wie Psychologen keine Gedanken lesen können. Der Glaube an die menschliche Vernunft sollte stärker sein, als der projizierte verborgene Wunsch, aus Unsicherheit seine Umgebung kontrollieren zu wollen.
Christian Meißner am Permanenter Link
Nachtrag: Es handelt sich natürlich um die gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion", nicht um "Waisen".
Jaheira am Permanenter Link
Okay, jetzt habe mehr über den Ursprung des Begriffs conspiracy theory gelernt. Dass Geheimdienste keinen Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse nehmen würden, glaube ich allerdings nicht.
Christian Meißner am Permanenter Link
Mit dem, was Sie schreiben, mögen Sie Recht haben. Aber ändert das irgendetwas an der Güte eines - von wem auch immer geäußerten - Arguments?
Roland Weber am Permanenter Link
Oh, ihr gesegneten Besserwisser!
Wer zweifelte, dass Gott existiert, das Weltall unendlich ist oder dass die Erde eher eine Kugel als einer Scheibe ähnelt, war einst ein todeswürdiger "Verschwörungstheoretiker"! Giordano Bruno lässt herzlich grüßen! Seht euch heute und hier z.B. die Diskussion um Blasphemie an!
Wer bezweifelte, dass Vietnam den Krieg gegen die USA begonnen hatte, gehörte zu den ersten "Verschwörungstheoretikern" - bis man diese Lüge entlarvte. Wer glaubt, dass die SA den Reichstag angezündet oder bezweifelte, dass Polen als erste Land den Krieg eröffnet hätte, wäre vom „Stürmer“ gewiss als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt worden. Wenn die herrschenden Kreise Gefahr laufen, bei ihrer aktiven Interessenwahrnehmung enttarnt zu werden, greifen sie zu dieser Keule: Verschwörungstheorie! Nicht umsonst stammt der Begriff aus dem Vokabular der CIA. Dass mit dem 9/11 (s.o.) oder dem Kennedy-Mord einiges nicht stimmen kann, sind hinlänglich bekannte Beispiele für angebrachte und gar weit verbreitete Skepsis. Ohne Bedenken werden jedoch auch hier wiederum alle Zweifler als schwachsinnige Verschwörungstheoretiker diskreditiert und beleidigt. Aktuell: Wer glaubt, der in den letzten Tagen ermordete iranische Atom-Forscher sei nicht von Iranern ermordet worden, sondern von „außeriranischen Stellen“ ist "natürlich auch ein Verschwörungstheoretiker". Ergebnis noch offen.
Warum nimmt man eine Theorie nicht für das, was sie ist: Ein Versuch etwas Unverständliches mit mehr Wissen, Logik und Verstand zu erklären? Die Verleumdungskeule stets gegen Skeptiker offizieller Verlautbarungen zu schwingen, zeugt von Naivität bis hin zu Dummheit! Wenn eine Theorie blödsinnig ist, ist sie leicht zu widerlegen. Nicht einmal diese Mühe möchte man sich machen, weil bekanntlich auch jede Entgegnung neue Gefahren in sich birgt. Wenn etwas auf Schlampereien, Unachtsamkeit, Missverständnisse oder Überraschungen geschoben wird, sollte man so nebenbei auch über Interessen und Motive selbst nachdenken - und wenn man dazu in der Lage ist, auch zu argumentieren.
Mir machen die "Verschwörungstheoretiker", die in vielen Fällen Bücher mit ihren Argumenten veröffentlicht haben, jedenfalls weniger Angst als diejenigen, die immer schon wissen, dass das von der Politik und den Medien ausgesprochene begründungslose Verdammungsurteil: "Verschwörungstheoretiker" absolut zutreffend ist - ohne auch nur ein einziges Argument tatsächlich widerlegt zu haben.
Wer nicht an einen Gott oder die Kirchenlehre glaubt - ist auch heute noch ein Verschwörungstheoretiker. Auch wenn das keiner laut sagt bzw. diese es gar nicht bemerken, wie sie gesehen werden! Aber auch hier spricht ja die Wirklichkeit ein deutliches Wort und beweist ihre Überlegenheit. Andersdenkende kommen deshalb auch nie auf einen grünen Zweig, solange die Macht bei den Machthabern und ihren Interessen ist. Und vor allem dann, wenn die Zweifler mundtot gemacht werden.
Matthias Freyberg am Permanenter Link
Ich kann diese Ausführungen nur unterschreiben. Jeder Fall liegt anders und
muss argumentativ aufgeschlüsselt werden.
"Verschwörungstheorie" ist zu einem kontra-produktiven Totschlagsargument geworden
und trägt als solches zu einer beklagenswerten Diskussionskultur bei. Man sollte sich dieses Begriffes enthalten.
Hans Trutnau am Permanenter Link
>"Verschwörungstheorie" ist zu einem kontra-produktiven Totschlagsargument geworden
Allerdings! Es braucht ja in der ganzen Diskussion nur ein, Komma oder ein Buhcstabe falsch gesetzt oder ein Wrot vertippt zu sein - und schon ist man ein VT-ler...
Thomas R. am Permanenter Link
"Erklärt werden kann die Akzeptanz von Verschwörungsideologien dadurch, dass sie bestimmte Bedürfnisse erfüllen und dabei spezifische Funktionen zu erkennen geben."
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