Europäischer Gerichtshof

Schächt-Verbot verstößt nicht gegen Religionsfreiheit

EU-Staaten dürfen rituelles Schächten ohne Betäubung der Tiere verbieten, dies urteilte gestern der Europäische Gerichtshof. Jüdische und muslimische Verbände hatten gegen ein flämisches Dekret geklagt, das die rituelle Schlachtung von Tieren ohne vorherige Betäubung verbietet.

Am 7. Juli 2017 hatte ein Dekret der Flämischen Region (Belgien) zur Änderung des Gesetzes über den Schutz und das Wohlbefinden der Tiere zum absoluten Verbot der betäubungslosen Schlachtung in Flamen geführt. Umgehend hatten daraufhin verschiedene jüdische und muslimische Vereinigungen Klagen auf vollständige oder teilweise Nichtigerklärung dieses Dekrets erhoben.

Strenggläubige Juden und Muslime sind der Auffassung, dass sie nur Fleisch von vollständig ausgebluteten Tieren essen dürfen, weil dies in religiösen Schriften des Judentums und des Islam geschrieben steht. Ein vollständiges Ausbluten des Tiers kann jedoch nur erreicht werden, wenn dem Tier ohne vorherige Betäubung und bei vollem Bewusstsein die Kehle mit den entsprechenden Blutgefäßen durchgeschnitten wird. Durch Schmerz und Angst schlägt das Herz des Tiers im Todeskampf schneller und befördert so mehr Blut aus dem Körper. Diese im Judentum und Islam verbreitete rituelle Schlachtungsmethode wird "Schächten" genannt.

Der mit den Klagen gegen das flämische Schächt-Verbot befasste Verfassungsgerichtshof von Belgien hatte die Angelegenheit dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. In seinem im September vorgelegten Schlussantrag hatte Generalanwalt Gerard Hogan dem Gerichtshof der Europäischen Union empfohlen, den Mitgliedsstaaten zu verbieten, eigene Vorschriften bezüglich eines Verbots der Schlachtung von Tieren ohne Betäubung zu erlassen, das auch für Schlachtungen im Rahmen eines religiösen Ritus gilt. Zwar würden die Vorschriften der Unionsverordnung über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung die Mitgliedsstaaten dazu verpflichten "den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung zu tragen" und in Artikel 4 Absatz 1 eindeutig vorgeben, dass "Tiere … nur nach einer Betäubung getötet [werden]", gleichzeitig sehe Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung jedoch eine Ausnahme von dieser Regel vor, "die der Notwendigkeit Rechnung trage, das Recht von Angehörigen bestimmter religiöser Glaubensrichtungen zu gewährleisten, wesentliche religiöse Riten zu bewahren und Fleisch von Tieren zu verzehren, die auf (…) religiös vorgeschriebene Weise geschlachtet würden".

Das Gericht folgte in seinem gestrigen Urteil jedoch nicht der rechtlichen Einschätzung des Generalanwalts, sondern stellte fest, dass das flämische Dekret zwar das Grundrecht der Religionsfreiheit einschränkt, jedoch auch, "dass dieser Eingriff einer von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung entspricht, nämlich der Förderung des Wohlergehens der Tiere". "Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Maßnahmen, die das Dekret umfasst, es ermöglichen, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Bedeutung, die dem Tierschutz beigemessen wird, und der Freiheit der jüdischen und muslimischen Gläubigen, ihre Religion zu bekennen, zu gewährleisten." Dies sei nicht zuletzt deshalb der Fall, weil "das Dekret das Inverkehrbringen von Erzeugnissen tierischen Ursprungs, die von rituell geschlachteten Tieren stammen, weder verbietet noch behindert, wenn diese Erzeugnisse aus einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat stammen".

Mit seinem Urteil hat der Europäische Gerichtshof kein grundsätzliches Schächt-Verbot für die gesamte Europäische Union ausgesprochen. Er hat klargestellt, "dass der Unionsgesetzgeber jedem Mitgliedstaat im Rahmen des Einklangs zwischen dem Schutz des Tierwohls bei der Tötung der Tiere und der Wahrung der Freiheit, seine Religion zu bekennen, einen weiten Wertungsspielraum einräumen wollte". Allerdings betonte das Gericht auch, dass "ein wissenschaftlicher Konsens darüber entstanden [sei], dass die vorherige Betäubung das beste Mittel ist, um das Leiden des Tieres zum Zeitpunkt seiner Tötung zu verringern". Deutlich erklärte der Europäische Gerichtshof hierbei, "dass sich der flämische Gesetzgeber auf wissenschaftliche Untersuchungen stützte und dem modernsten erlaubten Tötungsverfahren den Vorzug geben wollte" und "dass sich der flämische Gesetzgeber in einen sich entwickelnden gesellschaftlichen und normativen Kontext stellte, der durch eine zunehmende Sensibilisierung für die Problematik des Tierschutzes gekennzeichnet ist".

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