Russland setzt unerwünschte Organisationen auf schwarze Liste

BERLIN. (hpd/ai) Die russischen Behörden haben zum ersten Mal Gebrauch von einem neuen drakonischen Gesetz gemacht und eine Organisation als "unerwünscht" eingestuft. Dabei handelt es sich um die US-amerikanische gemeinnützige Organisation "National Endowment for Democracy" (NED). Mit deren Verbot soll eine wichtige Geldquelle für NGOs in Russland gekappt werden, kritisiert Amnesty International.

Unter Berufung auf das Gesetz, das im Mai dieses Jahres in Kraft getreten ist, gab die Generalstaatsanwaltschaft bekannt, dass die Arbeit von NED in Russland nun verboten sei. Sie forderte das Justizministerium auf, die Stiftung auf die Liste der "unerwünschten Organisationen" aufzunehmen. "Sogenannte 'unerwünschte Organisationen' auf eine schwarze Liste zu setzen, ist ein verwerflicher Schritt. Er stellt einen weiteren Tiefpunkt im Vorgehen der russischen Behörden dar, die bereits seit einigen Jahren versuchen, die Zivilgesellschaft in Russland systematisch zu unterdrücken", so John Dalhuisen, Direktor des Programms für Europa und Zentralasien bei Amnesty International.

"Das neue Gesetz, das sich gegen ausländische Organisationen richtet, die in Russland arbeiten, wurde ausdrücklich zur Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit geschaffen. Die weitere Anwendung dieses Gesetzes wird verheerende Folgen für die Arbeit nationaler Organisationen haben, die die Menschenrechte der russischen Bürgerinnen und Bürger verteidigen und die Behörden im Auge behalten."

Die Generalstaatsanwaltschaft verkündete, dass die Arbeit von NED "eine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung der Russischen Föderation, die Verteidigungsfähigkeit sowie die Sicherheit des Landes" darstelle.

Amnesty International

Zu den angeblichen Verstößen von NED zählen Spenden an kommerzielle und gemeinnützige Organisationen, die unabhängig Wahlbeobachtung betreiben, sowie nicht näher definierte "politische Aktivitäten" und die "Diskreditierung des Wehrdienstes bei den [russischen] Streitkräften". NED hat über mehrere Jahre hinweg Tätigkeiten der russischen Zivilgesellschaft im Bereich der Menschenrechtsarbeit und in anderen Bereichen finanziell unterstützt.

Weitere internationale Organisationen mit Niederlassungen in Russland könnten in naher Zukunft auf die Liste der "unerwünschten" Organisationen aufgenommen werden.

Seit dem 21. Juli haben mindestens zwei der Organisationen, die derzeit im Fokus der Behörden stehen (die "Charles Stewart Mott Foundation" sowie die "MacArthur Foundation"), bekannt gegeben, dass sie ihre wohltätige Arbeit in Russland einstellen würden, um so zu verhindern, zum Ziel der Behörden zu werden.

"Leider hat bereits allein die Existenz dieses Gesetzes negative Auswirkungen. Allein die Möglichkeit, ins Visier genommen zu werden, hat eine stigmatisierende Wirkung auf Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger sowie auf NGOs und gemeinnützige Organisationen, die in Russland wichtige und legitime Arbeit leisten", so John Dalhuisen.

Das harte Vorgehen gegen ausländische Organisationen folgt auf die Verabschiedung eines anderen Gesetzes im Jahr 2012. Dieses zielt darauf ab, die Arbeit sogenannter "Organisationen, welche die Funktion ausländischer Agenten erfüllen", und russischer Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle Mittel aus dem Ausland erhalten und sich an nicht näher definierten "politischen Aktivitäten" beteiligen, an ihrer Arbeit zu hindern.

Laut diesem Gesetz müssen Nichtregierungsorganisationen, die als "ausländische Agenten" gelten, als solche registriert werden. Zugleich wird in den staatlichen Medien eine beispiellose Hetzkampagne gegen Nichtregierungsorganisationen geführt.

Insgesamt befinden sich 81 Nichtregierungsorganisationen auf der Liste "ausländischer Agenten" des Justizministeriums. Sieben von ihnen wurden später jedoch wieder von der Liste genommen. Im Juli 2015 wurden der Liste fünf weitere Nichtregierungsorganisationen hinzugefügt. Darunter befinden sich auch die Organisation "Golos-Ural", die Teil eines landesweiten Netzwerks zur Wahlbeobachtung ist, sowie zwei Menschenrechtsorganisationen.

Von den als "ausländische Agenten" eingestuften Organisationen haben in der Vergangenheit mindestens 24 Gelder von der NED erhalten.

"Das direkte Vorgehen gegen ausländische Geldgeber zielt darauf ab, die gemeinnützige Unterstützung für russische Nichtregierungsorganisationen, welche die Behörden als Gefahr ansehen, zu stoppen", so John Dalhuisen. "Die Behörden müssen die perfiden Gesetze über 'ausländische Agenten' und 'unerwünschte' ausländische Organisationen unverzüglich aufheben."

Viele Organisationen, die als "ausländische Agenten" eingestuft wurden, sind in langwierige Rechtsstreits mit den Behörden getreten. Andere haben sich hingegen dazu entschieden, ihre Arbeit in Russland einzustellen, als Ausdruck ihres Protests gegen die gegen sie und ihre Arbeit gerichteten Hetzkampagnen.

In der vergangenen Woche entschied sich auch das "Interregionale Komitee gegen Folter" zu diesem Schritt. Die mehrfach mit Preisen ausgezeichnete NGO wurde im Jahr 2000 von russischen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger gegründet, um Folter und andere Misshandlungen in Polizeigewahrsam und in Gefängnissen zu untersuchen und anzuprangern.

Die Nichtregierungsorganisation, der derzeit rund 200 Fälle zu Misshandlungsvorwürfen in Haft vorliegen, gab am 28. Juli auf einer Pressekonferenz in Moskau bekannt, dass sie ihre wichtige Arbeit unter einem neuen Namen fortsetzen würde: als "Komitee zur Verhinderung von Folter".


Pressemitteilung von Amnesty International