Bundesverdienstkreuz an Kardinal Marx: Verleihung trotz Protest

Nur wenige Wochen nach der Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an zwei prominente Aufklärer des sexuellen Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche wird dieser nun an den Münchner Erzbischof vergeben, den Opferverbände für sein Verhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen kritisieren. Der Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln protestiert in einem Offenen Brief, das Bundespräsidialamt will jedoch an der Ehrung festhalten.

Vergangene Woche wurde bekannt, dass Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising sowie ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Ende dieser Woche für seinen Einsatz für "Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft" das "Große Verdienstkreuz mit Stern" erhalten soll, einer Stufe des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland – nur drei Wochen nachdem Matthias Katsch, Geschäftsführer der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch, und der Jesuitenpater und frühere Leiter des Berliner Canisius-Kollegs Klaus Mertes von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das "Verdienstkreuz am Bande" erhalten hatten, wegen ihres Engagements in der Aufarbeitung des katholischen Missbrauchsskandals.

Die geplante Verleihung an Marx stieß bei Missbrauchsbetroffenen auf Unverständnis. Sie stelle "alles in Frage, wofür wir kämpfen und arbeiten" und führe "die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Pater Mertes und Matthias Katsch (…) ad absurdum", zitierte katholisch.de aus einem Offenen Brief des Betroffenenbeirats des Erzbistums Köln an den Bundespräsidenten. Die Mitglieder baten ihn darin, dem Münchner Kardinal die hohe Ehrung nicht zukommen zu lassen. Ihre Forderung begründeten die Betroffenen damit, dass Marx nach wie vor in der Kritik stehe, "Fällen sexualisierter Gewalt in seinem früheren Bistum Trier nicht konsequent nachgegangen zu sein". In diesem Zusammenhang werde ihm Vertuschung vorgeworfen. Ein Gutachten über Missbrauchsfälle in seinem derzeitigen Erzbistum halte er seit 2010 zurück. Er habe es "nach dem Vorzeigen sang- und klanglos im Tresor verschwinden lassen".

Unbeeindruckt von diesen öffentlich geäußerten Bedenken über die Eignung des Münchner Oberhirten für eine solche Würdigung, die nur wenigen Menschen zuteil wird, hält das Bundespräsidialamt an seinem Vorhaben fest. Eine Sprecherin sagte gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), Marx habe mit seinem Einsatz für die Aufnahme von Geflüchteten, seinem Entgegentreten gegenüber Populismus und Hetze sowie dem Aufruf zur Hilfe für Bedürftige in Deutschland und der Welt in einer Zeit zunehmender Polarisierung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Vermittlung zwischen Kirche und Gesellschaft beigetragen, berichtete domradio.de über die Begründung. Steinmeier habe seine Erwartungen zur Aufklärung des massenhaften sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche in seiner Rede anlässlich der Auszeichnung der beiden Aufarbeitungsaktivisten klar formuliert.

Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland: Großes Verdienstkreuz mit Stern
So sieht das Große Verdienstkreuz mit Stern aus (Bild: Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Sollte das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik an der Verleihung festhalten, "sollten alle, die für ihre Verdienste um die Opfer sexualisierter Gewalt bereits das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen haben, dieses zurückgeben, da es seinen eigentlichen Wert, die Ehrung einer verdienstvollen Tätigkeit, mit der Verleihung an Kardinal Marx verlieren wird", heißt es im Offenen Brief weiter. Matthias Katsch erklärte auf Nachfrage gegenüber dem hpd, dies jedoch nicht so handhaben zu wollen:

"Ohne Zweifel muss das Verhalten von Kardinal Marx in seiner Zeit als Trierer Bischof und wegen des nur teilweise veröffentlichten Gutachtens von 2010 kritisch betrachtet werden – wie das Verhalten (fast) aller Bischöfe im Umgang mit dem 'System aus Missbrauch und Vertuschung' in der Kirche. Das tue ich, wie andere Betroffene, regelmäßig und seit Jahren. Ich fände es fatal, wenn jetzt der Eindruck entstünde, es gäbe da eine Äquidistanz, als ob der Staat gleichen Abstand zu Opfern und der Organisation der Täter und Täterinnen halten würde. Aber: In seiner starken Rede bei der Verleihung des Verdienstordens an Pater Mertes und mich hat der Bundespräsident sehr deutlich gemacht, dass die Gesellschaft sich auf die Seite der Opfer stellt. Und dass die Aufarbeitung keine interne Angelegenheit der Kirche ist und sein kann. Ich bin sicher, dass er diese Haltung auch bei der Würdigung der Verdienste von Kardinal Marx zum Ausdruck bringen wird. Ich bin dem Bundespräsidenten für die Auszeichnung selbst und den von ihm dafür gewählten Rahmen sehr dankbar. Ich habe das ebenso als persönliche Anerkennung wie als Wertschätzung des Einsatzes von Betroffenen wahrgenommen. Deshalb gibt es für mich keinen Grund, den mir verliehenen Verdienstorden zurückzugeben."

Peter Bringmann-Henselder, der den Offenen Brief für den Betroffenenbeirat unterschrieben hat, will dem eigenen Aufruf allerdings nachkommen: Er hat bereits angekündigt, im Falle der Verleihung an Marx sein Bundesverdienstkreuz zu retournieren.


Hinweis der Redaktion: Am späten Nachmittag erklärte Kardinal Marx auf der Website des Erzbistums München und Freising mit Verweis auf einen Brief an den Bundespräsidenten seinen Verzicht auf das Bundesverdienstkreuz: "Ich bin überzeugt, dass das mit Rücksicht auf diejenigen, die offensichtlich an der Auszeichnung Anstoß nehmen, und insbesondere mit Rücksicht auf die Betroffenen, der richtige Schritt ist", kann man dort lesen. (27.04.2021, 17:53 Uhr)

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