Digitale Veranstaltung wird kostenlos – zulasten der Steuerzahler

Öffentliche Hand bezahlt 52 Prozent des Ökumenischen Kirchentags

In den letzten Jahren war es – nicht zuletzt durch die Proteste der Aktionsgruppe "11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!" – üblich, dass die Finanzierung der Kirchen- und Katholikentage vor Veranstaltungsbeginn transparent gemacht wurde. Dies ist für den 3. Ökumenischen Kirchentag (ÖKT), der diese Woche in Frankfurt am Main beginnt, bisher noch nicht geschehen. Das Aktionsteam "11. Gebot" hat daher eigene Recherchen angestellt.

Die Corona-Pandemie wirbelt alles durcheinander – auch das Veranstaltungskonzept und die Finanzen des Ökumenischen Kirchentags. Aus Infektionsschutzgründen wird der Kirchentag keine Präsenzveranstaltung sein, sondern nur noch "digital und dezentral" stattfinden. Er wird keine Tickets verkaufen und erheblich weniger aus eigener Kraft bezahlen können. Im ungünstigsten Fall – und wir haben begründeten Verdacht, dass dieser eintritt – bezahlt die öffentliche Hand daher 10,4 Millionen Euro und damit mehr als die Kirche und der eigens gegründete Kirchentagsverein, welche zusammen geschätzt 9,6 Millionen Euro bezahlen. Der Anteil von Bund, Land Hessen und Stadt an den Gesamtkosten von rund 20 Millionen Euro wird daher 52 Prozent betragen. Im Folgenden werden wir schrittweise erläutern, wie wir zu unserem Ergebnis gekommen sind.

Land Hessen und Kirchen sind die größten Förderer

Die gastgebenden Kirchen, die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sowie das katholische Bistum Limburg, steuern insgesamt 9 Millionen Euro bei. Wie die beiden Kirchen die Summe unter sich aufteilen, konnten wir nicht ermitteln. Das Land Hessen hat 4 Millionen Euro zugesagt und hat trotz der Umstellung auf eine rein digitale Veranstaltung den Förderbetrag nicht gekürzt.

Stadt Frankfurt: 3,9 Millionen Euro – aber kaum noch Sachleistungen

Die Stadt Frankfurt hatte Anfang 2018 eine Förderung in Form von 3,9 Millionen Euro als Barzuschuss sowie eine weitere Million in Form von Sachleistungen zugesagt (der hpd berichtete). Im Juni 2020 hatte Oberbürgermeister Peter Feldmann eine Delegation des Kirchentags empfangen und die "umfassende Unterstützung der Stadt" zugesagt. Hierzu gehörte auch das zusätzliche Angebot, Räume im Rathaus Römer zu nutzen. Da der Kirchentag nur noch digital stattfindet, wird die Stadt aber kaum Sachleistungen erbringen.

Wir fragten den Kirchentag, ob die Sachleistungen zumindest auf 100.000 Euro geschätzt werden könnten. Dies sei laut Pressesprecher Mario Zeißig jedoch "deutlich zu hoch". Zwar befinde sich das ÖKT-Studio, aus dem gesendet werde, in der Messe Frankfurt. Der Kirchentag zahle für die Nutzung aber eine Miete, deren Höhe Bestandteil eines nicht öffentlichen Nutzungsvertrages sei. Eine valide Aussage könne erst nach der Veranstaltung gemacht werden.

Nach dieser Argumentation hätte die Stadt vor drei Jahren die Sachleistungen erst recht nicht auf eine Million schätzen können. Aber dies sei dahingestellt. Für die weitere Berechnung werden die Sachleistungen zur Vereinfachung mit null Euro angesetzt.

Zuschuss des Bundes steigt um zwei Drittel

Für einen Kirchen- oder Katholikentag gewährt der Bund üblicherweise einen Zuschuss über 500.000 Euro. Doch das Herz des Bundes schlug schon immer für die Ökumene und daher erhielten die beiden vorangegangenen Ökumenischen Kirchentage 2003 und 2010 jeweils sogar 1,5 Millionen Euro. Diese stolze Summe hat der Bund nun noch einmal um zwei Drittel erhöht, auf satte 2,5 Millionen Euro. Nach der Begründung gefragt, antwortete das Bundesinnenministerium:

"Die Anmeldung der Mittel für die Förderung des 3. Ökumenischen Kirchentages erfolgte mit der regulären Haushaltsaufstellung bereits Ende des Jahres 2019. Der Trägerverein hatte einen Bedarf in Höhe von 2,5 Mio. € damit begründet, dass unter anderem aufgrund gestiegener Ausgaben für Sicherheit und Gewährleistung der Barrierefreiheit höhere Kosten anfallen. Auch die allgemeine Preissteigerung seit dem letzten Ökumenischen Kirchentag im Jahr 2010 spielte eine Rolle."

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie spielten damals also noch gar keine Rolle. Fraglich ist eigentlich nur, was ärgerlicher ist: Dass der Kirchentag eine Erhöhung der Fördersumme so fadenscheinig begründet – oder dass die Bundesregierung dieser Forderung so einfach nachgegeben hat.

Sponsoring der Deutschen Bahn erhöht staatlichen Finanzierungsanteil

Der staatliche Anteil an der Finanzierung wird vermutlich sogar noch höher ausfallen, da Hauptsponsor des Kirchentags die Deutsche Bahn AG ist – welche sich zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes befindet. Eine genaue Berechnung ist nicht möglich, da die Fördersumme der Bahn nicht bekannt gegeben wird. Als Hauptsponsor werden es aber sicher mehrere zehntausend, wenn nicht gar hunderttausend Euro sein. Dass ausgerechnet die Bahn eine Veranstaltung sponsert, die nur digital stattfindet und zu der keine Gäste anreisen, ist eine Posse für sich. Jedenfalls werten wir das als eine indirekte Subventionierung durch den Bund.

Gesamtkosten immer noch sehr hoch

Auch wenige Tage vor Beginn konnte uns die Presseabteilung des Kirchentags nicht beantworten, wie hoch die Gesamtkosten genau ausfallen. Wiederholt wird lediglich die Aussage, dass die Kosten von ursprünglich angesetzten 25 Millionen Euro auf "unter 20 Millionen Euro" sinken. In einem Fragen-und-Antworten-Artikel auf domradio.de vom 15. April hat der Kirchentag dies so begründet:

"Für das völlig veränderte digitale Konzept des 3. ÖKT wurde ein neuer Haushalt aufgestellt, der geringere Ausgaben etwa für Reisekosten, Unterbringung, Veranstaltungslogistik und Mieten für Event-Locations als ursprünglich vorgesehen enthält. Dem gegenüber stehen Mehrausgaben für die digitale Infrastruktur, Programmieraufwand sowie für Videoproduktion und -schnitt. Die Gesamtkosten werden jedoch unter 20 Millionen Euro liegen."

Diese Aussagen überraschen in mehrfacher Hinsicht: Ein Kirchentag als Präsenzveranstaltung bedeutet einen immensen logistischen Aufwand. In der Regel gibt es rund 2.000 Veranstaltungen, mehrere Großbühnen mit Videoleinwänden, kleinere – aber dafür zahlreichere – Bühnen, mehrere Großzelte, hunderte kleinere Pavillons, zig angemietete Locations, an jedem Ort Beschallungsanlagen, Flaggen, Werbebanner. All diese Kosten fallen nun weg. Trotzdem soll der Kirchentag immer noch 20 Millionen Euro kosten. Wir hätten mit einer deutlich größeren Kostenreduktion gerechnet.

Für die Zwecke unserer Berechnung gehen wir trotzdem von 20 Millionen Euro Gesamtkosten aus. Dies erscheint uns aus mehreren Gründen gerechtfertigt: Zum einen wurde das Programm des Ökumenischen Kirchentags bereits Ende März präsentiert. Es müsste daher spätestens jetzt klar sein, welche Kosten es mit sich bringt. Dass die Kostenschätzung immer noch nicht angepasst wurde, deutet nicht auf eine weitere Kostenersparnis hin. Zum anderen passen die Zahlen gut zusammen: Addiert man alle Förderzusagen von Bund, Land Hessen, Stadt Frankfurt am Main sowie den beiden einladenden Kirchen, kommt man auf 19,4 Millionen Euro und damit ziemlich nah an die behaupteten Gesamtkosten von "unter 20 Millionen Euro". Die Differenz von 600.000 Euro müsste der Kirchentag als Eigenanteil tragen. Ob er das kann, ist nicht sicher.

Eigenanteil des Kirchentags weiterhin unklar

Für die Durchführung jedes Kirchentags wird stets ein eigener Verein gegründet. Dieser erwirtschaftet eigene Einnahmen, durch Ticketverkäufe, Sponsoring, Erlöse aus dem Kirchentags-Shop sowie Spenden und sonstige Fördermittel. Beim 1. Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin konnten so immerhin 50 Prozent der Gesamtkosten finanziert werden. Beim 2. Ökumenischen Kirchentag  2010 in München waren es schon nur noch 41 Prozent. Und dieses Jahr werden es vielleicht sogar nur noch 3 Prozent werden (600.000 Euro von 20 Millionen Euro Gesamtkosten), da der Veranstalter auf seine Haupteinnahmequelle verzichtet: Statt wie üblich bis zu 108 Euro teure Tickets zu verkaufen, wird diesmal alles kostenlos sein. Der Pressesprecher des ÖKT Mario Zeißig begründet dies so:

"Die Teilnahme an einem digitalen Event führt zu einem Nutzungsverhalten, das sich von der Teilnahme an einer Analogveranstaltung signifikant unterscheidet. Der Ökumenische Kirchentag nutzt die Chance der digitalen Reichweite und Niedrigschwelligkeit seiner Angebote, um möglichst viele Menschen unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit zu erreichen. Der Verzicht auf die Erhebung eines Teilnahmeentgeltes entspricht dem Wunsch nach Beteiligung einer möglichst breiten Öffentlichkeit am gesamtgesellschaftlichen Dialog des digitalen ÖKT."

Zugespitzt könnte man wohl sagen: Wenn man für den digitalen Kirchentag auch noch Eintritt bezahlen müsste, würden die Teilnehmerzahlen wohl ins Bodenlose sinken.

Auch die Höhe der restlichen Einnahmequellen konnte der Kirchentag aktuell noch nicht konkret beziffern. Das verwundert, denn:

  1. Die Sponsoren des Kirchentags werden schon längst auf dessen Website genannt. Veranstalter tun dies in der Regel erst, wenn sie den Sponsoring-Betrag erhalten haben.
     
  2. Wie viele Einnahmen durch den Verkauf von Merchandise-Produkten erzielt werden, steht auch bei einem "echten" (also nicht nur digitalen) Kirchentag erst am Ende fest. Trotzdem hat dies den Kirchentag bisher nicht davon abgehalten, bereits im Voraus seinen Eigenanteil wenigstens zu schätzen. Das diesjährige Verschweigen kann also auch nicht mit der lediglich digitalen Durchführung begründet werden.
     
  3. Auch die Einwerbung von Spenden und anderen Fördermitteln dürfte inzwischen längst abgeschlossen sein.

Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass die sonstigen Einnahmen bewusst nicht im Vorfeld der Veranstaltung genannt werden sollen, da sie vermutlich erheblich geringer ausfallen als sonst. Für eine rein digitale Veranstaltung öffnen eben nicht nur Teilnehmer, sondern auch Sponsoren, Spender und Merchandise-affine Menschen wesentlich seltener ihr Portemonnaie.

Ohne Ticketverkauf keine Drittelfinanzierung

Bei der Beantragung von öffentlichen Fördermitteln berufen sich Kirchentag und Katholikentag regelmäßig auf ein "Drei-Säulen-Modell" oder die Tradition der "Drittelfinanzierung": Danach werde die Veranstaltung zu jeweils einem Drittel von der öffentlichen Hand (Bund, Land, Stadt), der einladenden evangelischen Landeskirche beziehungsweise dem einladenden katholischen Bistum und vom Kirchen- beziehungsweise Katholikentag selbst finanziert. Das Aktionsteam vom "11. Gebot" weist natürlich regelmäßig darauf hin, dass es eine solche "Tradition" nicht gibt und sie auch nicht die im Grundgesetz verankerte Trennung von Staat und Kirche aushebeln kann, denn eine Trennung, die nicht auf der finanziellen Ebene gilt, ist keine richtige Trennung.

Interessanterweise trägt diesmal aber der Kirchentag selbst dazu bei, dass er diese "Tradition" bricht: Es kann davon ausgegangen werden, dass der Verkauf von Eintrittskarten die größte Einnahmequelle des Kirchentagsvereins ist. Indem der Kirchentag nun auf diese Einnahmequelle verzichtet, bricht nahezu die gesamte dritte Säule der Finanzierung des Kirchentags weg. Da der Kirchentag ursprünglich 25 Millionen Euro kosten sollte und alle Fördermittelgeber zusammen (Stadt, Land, Bund und Kirchen) insgesamt 19,4 Millionen Euro zugesagt haben, verbliebe für den Kirchentag ein Eigenanteil von 5,6 Millionen Euro. Statt der geschätzten 5,6 Millionen Euro wird der Veranstalter vermutlich nur 0,6 Millionen Euro selbst beitragen können – also genau 5 Millionen Euro weniger. Es liegt daher nahe, dass es kein Zufall ist, dass das Gesamtbudget des Kirchentags von 25 auf 20 Millionen Euro gesunken ist. Die Kosten sind also um den gleichen Betrag gesunken, die dem Kirchentag an Einnahmen entgehen.

Ohne Ticketverkauf steigt die Staatsquote auf 52 Prozent

Im Ergebnis bedeutet dies, dass der relative Anteil der öffentlichen Hand (erste Säule) und der einladenden Kirchen (zweite Säule) an der Finanzierung steigt: Statt einer Drittelfinanzierung dürfte es nun annähernd eine Hälfte-Hälfte-Finanzierung sein. Zwar betont der Kirchentag, dass er davon ausgeht, nicht alle zugesagten Fördergelder zu benötigen, da er mit Kosten "unter" 20 Millionen Euro rechnet. Wir halten das aber nicht für realistisch, da der Kirchentag selbst kaum Einnahmen hat und die Summe aller öffentlichen und kirchlichen Zuwendungen nur etwas über 19 Millionen Euro liegt. Sollten die Gesamtkosten also nicht deutlich unter 19 Millionen Euro liegen, wird der Kirchentag gezwungen sein, alle Fördermittel abzurufen. Die von Stadt, Land und Bund zusammen bewilligten 10,4 Millionen Euro entsprechen bei 20 Millionen Euro Gesamtkosten einem Anteil von 52 Prozent.

Ohne Besucher keine Umwegrendite

In den vergangenen Jahren mussten Kirchen- und Katholikentag vermehrt Anstrengungen unternehmen, den fast immer hoch verschuldeten Städten einen Zuschuss schmackhaft zu machen. Das Zauberwort hierfür lautete "Umwegrendite". Die Behauptung: Die Besucher eines Kirchentags würden so viel Geld ausgeben, dass sich die Millionenzuschüsse für die Stadt sogar finanziell lohnen würden. Das "11. Gebot" weist dies regelmäßig als Milchmädchenrechnung zurück, da Ausgaben "in" der Stadt nicht gleichzusetzen sind mit Einnahmen "an" die Stadt.

Außerdem werden in den von Kirchen- und Katholikentagen veröffentlichten "Marktforschungsberichten" regelmäßig Verdrängungseffekte ignoriert: Wenn die Stadt vor Kirchentagsteilnehmern überquillt, gehen weniger Einheimische shoppen oder in Restaurants. Die Stadt Leipzig hatte beispielsweise eine Million Euro "investiert" und kam hinterher zu dem Ergebnis, dass man geschätzt nur circa 180.000 Euro zusätzlich eingenommen hatte.

Der Politik ist vermutlich bewusst, dass das Märchen von der Umwegrendite auf wackeligen Füßen steht. Während den Mitgliedern der Kommunalparlamente in den Beschlussvorlagen regelmäßig von Umsatzrenditen in zweistelliger Millionenhöhe vorgeschwärmt wird, ist davon nichts mehr zu hören, sobald der Zuschuss einmal beschlossen wurde. Auch die Stadt Frankfurt begründete den damaligen Förderbeschluss in einer nicht mehr abrufbaren Pressemitteilung nicht mit der Umwegrendite, sondern mit den Schlagworten Internationalität, Weltoffenheit, Toleranz, Dialog, Ökumene, Zusammenhalt. Aus Sicht der Politiker muss man wohl sagen "zum Glück", denn zumindest dieses Jahr ist der Streit eindeutig entschieden: es wird keine Umwegrendite geben.

Ohne Besucher wird es keinen Umsatz und keine schönen Fotos von Menschenmengen in der Frankfurter Innenstadt und dementsprechend auch keine für die Stadt lohnenswerte Berichterstattung geben. Selbst wenn man die verfassungsrechtlichen Bedenken, die das "11. Gebot" seit 2014 unermüdlich vorträgt, außer Acht ließe, so müsste spätestens jetzt jeder Politiker sich die Frage stellen, ob die hohen öffentlichen Zuschüsse immer noch gerechtfertigt sind.

Keine Absage trotz Empfehlung der Stadt 

Der Kirchentag hat sich erst vor weniger als vier Monaten auf die Durchführung des Kirchentags als digitale Veranstaltung festgelegt. Dem vorausgegangen war eine ambivalente Haltung der Stadt, insbesondere des Bürgermeisters und Kirchendezernenten Uwe Becker.

In einer Meldung vom Juli 2020 ging die Verwaltung noch davon aus, dass der Kirchentag als Hybridveranstaltung durchgeführt werden könne, also einer Mischung aus digitalen Formaten und Präsenzveranstaltungen mit Abstand. Becker meinte damals vollmundig: "Die Stadt Frankfurt am Main steht zu ihrem Wort und wird den geplanten Kirchentag wie vereinbart tatkräftig unterstützen." Es kam ihm offenbar nicht in den Sinn, dass bundesweit sicher hunderte öffentlich subventionierte Veranstaltungen pandemiebedingt abgesagt werden mussten und dies keineswegs als "Wortbruch", sondern schlicht als Notwendigkeit verstanden wurde.

Mitte November 2020 spitze sich das Infektionsgeschehen in Deutschland so sehr zu, dass selbst Becker gegenüber der FAZ andeutete, dass an einer Absage wohl kein Weg vorbeiführen werde. Der Kirchendezernent wies darauf hin, dass die Organisation eines Kirchentages ein halbes Jahr Vorlauf benötige, deshalb könne die Entscheidung nicht weiter hinausgeschoben werden. Das sah der Kirchentag anders und nahm sich noch einmal zwei Monate Zeit. 

Als der Stadt Mitte Januar 2021 dann das neue Konzept eines "multimedialen Fests des Glaubens" präsentiert wurde, vergaß Becker seine noch im November vorgetragenen Bedenken und meinte jetzt:

"All jene Vorzüge, die unsere Stadt auch beim realen Zusammentreffen zehntausender Menschen als Gastgeber hätte zeigen können, die gesellschaftliche Buntheit und Vielfalt und das friedliche Miteinander von Religionen und Kulturen, können auch virtuell von Frankfurt aus ins Land ausstrahlen. […] Ich habe die größte Hochachtung vor der Entscheidung des ÖKT, in Pandemiezeiten den gesamtgesellschaftlichen Schutz und die Solidarität in den Vordergrund zu stellen und gleichzeitig die Kraft und Kreativität zu besitzen, digitale Formate zu entwickeln statt den scheinbar einfachsten Weg einer Absage zu gehen."

Umso weniger hoch schätzt Becker anscheinend die Steuerzahler und die Entscheidungshoheit der Stadtverordnetenversammlung ein. Blendet man den christlichen Charakter und den Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates aus, hatten die Abgeordneten einen Zuschuss für ein bombastisches Festival bewilligt – bekommen werden sie nur noch einen "Schrumpf-Kirchentag", wie ihn das ZDF in einem Programmhinweis nennt, der sich einreiht in die nicht enden wollende Flut an Videos auf YouTube, Zoom, Teams, Skype, etc. Der politische Anstand hätte geboten, die Abgeordneten erneut zu befragen, anstatt sich in Helmut-Kohl-Manier an sein Wort gebunden zu fühlen.

Oberbürgermeister Peter Feldmann war von dem digitalen Konzept ebenfalls ganz angetan: "Den Kirchentag wenige Monate vor dem geplanten Auftakt von Grund auf neu zu denken, ist eine mutige Entscheidung. Danke für dieses starke Signal in schwierigen Zeiten." Auch er hatte anscheinend nicht den Mut zu hinterfragen, ob der Steuerzahler immer noch eine gleichwertige Leistung für sein Geld erhält.

Programm ist zu 68 Prozent sehr religiös geprägt

Dies führt uns direkt hinein ins Programm des 3. Ökumenischen Kirchentags. Die Pandemie hat nicht nur dazu geführt, dass der Kirchentag digitalisiert, sondern dass er auch erheblich verkleinert wurde. Statt der ursprünglich geplanten mehr als 2.000 Veranstaltungen wird es nach unserer Zählung nur noch 99 geben. Der Kirchentag spricht sogar nur noch von rund 80 Programmpunkten.

Auch in Frankfurt wurde der Zuschuss damit begründet, dass der Kirchentag viele Menschen unterschiedlichen Alters, Herkunft und Religionen anspreche. Die Stadt ist der Ansicht, es gäbe "viele gute Gründe den Kirchentag trotz möglicher Einschränkungen und besonderer Herausforderungen durchzuführen. […] Bei Fragen des Glaubens als auch bei aktuell brennenden Themen wie Rassismus, Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Zukunft der Demokratie wird mit unterschiedlichen Formaten die Möglichkeit geboten, hinzuschauen und gemeinsam darüber zu diskutieren." Mit der Formulierung spielt die Stadt auf das Kirchentagsmotto an, das dieses Jahr lautet "schaut hin" (Mk 6,38). Wir haben daher einmal genau ins Programm geschaut:

67 der 99 Veranstaltungen sind eindeutig religiös geprägt und daher für Nicht-Christen tendenziell überhaupt nicht relevant. Dies entspricht 68 Prozent der Veranstaltungen. Dazu zählen zum Beispiel allein 26 Bibelarbeiten, zehn Gottestdienste beziehungsweise Gebete, die acht Einzelgespräche mit Kirchenfunktionären, aber auch der komplette Themenblock "Alles eine Frage des Glaubens und Vertrauens?".

Fünf Veranstaltungen haben wir als "gemischt" eingestuft, da ihr Thema zwar auch für Nicht-Religiöse interessant sein könnte, aber die Besetzung der Podien oder die Inhaltsbeschreibung dann doch recht religiös geprägt sind.

Lediglich 27 von 99 Veranstaltungen könnten auch für Nicht-Christen interessant sein. Und selbst diese Zählung ist wohlwollend, denn viele Themen werden nur durch die christliche Brille betrachtet. An der Podiumsdiskussion "Abschied in Würde. Verantwortung und Schutz am Lebensende" nimmt beispielsweise kein dezidierter Befürworter von Sterbehilfe teil. Die Diskussion wird also im eigenen Saft schmoren.

Üblicherweise vermeiden die öffentlichen Zuwendungsgeber daher Formulierungen, die zu sehr den religiösen Charakter der Veranstaltung betonen. Die Stadt Frankfurt macht in einer Meldung aber gar keinen Hehl mehr daraus und schreibt: "Die Botschaft 'Schaut hin' steht im Mittelpunkt beim Fest des Glaubens."

Bürgermeister und Kirchendezernent Becker bekräftigt: "Unsere internationale und weltoffene Stadt bietet den geeigneten Rahmen für den Dialog zwischen den christlichen Konfessionen wie auch zwischen den Religionen und der Vernetzung mit der Stadtgesellschaft." Anscheinend kennt der Kirchendezernent nicht das verfassungsrechtliche Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates. Man kann die wunderbare Formulierung nicht oft genug wiederholen: "Der Gedanke der Fürsorge des Staates in Glaubensangelegenheiten ist dem Grundgesetz fremd." (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 44, Seite 37 [52 f.]) Dies bedeutet auch, dass der Staat sich nicht um den "Dialog zwischen den Konfessionen" und erst recht nicht um die "Vernetzung" einer (zu über 63 Prozent nicht-christlichen) Stadtgesellschaft mit den christlichen Religionen zu bemühen hat. Ob die Bürger sich mit dem organisierten Christentum vernetzen wollen, haben sie selbst zu entscheiden. Dazu bedarf es keiner missionarischen Anschubfinanzierung durch die öffentliche Hand.

Verquickung mit der Politik

Zu guter Letzt wollen wir noch einen Blick werfen auf die enge Verflechtung von Politik und Kirchentag: Der hpd hatte bereits berichtet, dass nicht nur Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Kirchentag teilnimmt, sondern auch zahlreiche andere Spitzenpolitiker: Angela Merkel wird für eine "Dialogveranstaltung mit der Bundeskanzlerin" zur Verfügung stehen. An anderen Gesprächsrunden werden die Bundesminister Jens Spahn (CDU) und Heiko Maas (SPD), die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung Dorothee Bär (CSU) und die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Katrin Göring-Eckardt teilnehmen. Dazu kommen Bibelarbeiten mit dem Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil (SPD), dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow.

Unter dem Gesichtspunkt der weltanschaulichen Neutralität des Staates halten wir es auch für wenigstens problematisch, dass die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Bettina Limperg sich bereit erklärt hat, das Amt der Präsidentin des Ökumenischen Kirchentags zu übernehmen. In einem Gottesdienst betonte Limperg, der Kirchentag sei notwendig als Plattform für wichtige Diskussionen: "Wann je ist über Freiheit, über Verantwortung, über Gemeinschaft und Vereinzelung, über den Wert des Lebens und die damit zusammenhängenden Fragen auch an die Weltgemeinschaft so intensiv gesprochen und gestritten worden?" Der Kirchentag sei zwar "vielleicht nicht systemrelevant, aber lebensrelevant".

Funfact für die Freunde des Böckenförde-Diktums: Limperg arbeitete für den berühmten Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde. Erst als studentische Hilfskraft an seinem Lehrstuhl und später auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin in seinem Dezernat am Bundesverfassungsgericht. Dort beschäftigte sie sich mit Fragen des Asylrechts und des Weltanschauungsrechts (vulgo "Staatskirchenrecht"). Das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates muss sie dabei wohl übersehen haben. Auf Vorschlag des damaligen Bundesjustizministers Heiko Maas, der sich beim jetzigen Kirchentag auf einem der Hauptpodien in Szene setzen darf, wurde sie 2014 vom Richterwahlausschuss zur Bundesrichterin gewählt. Ungewöhnlich bei dieser Berufung war, dass Limperg zuvor nie einen Senat des Bundesgerichtshofs oder eines Oberlandesgerichts führte, wie es für solch eine Berufung bisher üblich war.

Gegenüber der FAZ sagte Limperg: "Für mich gibt es nichts Schlimmeres als eine vorgefertigte Meinung." Der Zweifel ist für sie eine "richterliche Tugend". Bleibt zu hoffen, dass sie irgendwann auch die öffentliche Subventionierung von Kirchentagen in Zweifel zieht.

Der Vorwurf, dass Kirchentag und Politik zu sehr miteinander verquickt sind, kommt übrigens nicht nur von säkularer Seite. In den Sozialen Medien und im persönlichen Gespräch mit Kirchentagsbesuchern kritisieren immer wieder auch gläubige Menschen, dass es "zu viel politische Einflussnahme in der Kirchenwelt" gebe. Der Ökumenische Kirchentag antwortete darauf jüngst per Twitter: "Der #oekt versteht sich als Plattform und ermöglicht den direkten und wichtigen Austausch zwischen Politik, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft – und zwar in einer vor der Bundestagswahl im September sicherlich einmaligen Konstellation und Dichte."

Wenn man sich vor Augen hält, dass Kirchenlobbyisten nicht einmal ins Lobbyregister eingetragen werden müssen und in den Parlamenten ein und aus gehen, dass es regelmäßige "Konsultationen", informelle Abende und "Spitzengespräche" mit Regierungsvertretern gibt (jüngst wieder in Hessen), dass die Kirchen der Politik sogar ganze Gesetzesentwürfe schreiben (siehe das Beispiel Sterbehilfe), dann fragt man sich, wie "dicht" der Austausch eigentlich noch werden soll. Dass die Corona-Pandemie zur Einhaltung eines Mindestabstands zwingt, ist da nur ein schwacher Trost.

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