Kommentar

Mouhanad Khorchide warnt vor Muslimbruderschaft

In der Rheinischen Post bezeichnete der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide die Muslimbruderschaft am Samstag als "Gefahr für die Demokratie". Dabei verwies er auch darauf, dass diese im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) vertreten sei und forderte das Ende "jeglicher Zusammenarbeit mit solchen Organisationen". "Damit hat er natürlich recht, nur hält er sich selber nicht daran", wundert sich Sigrid Herrmann-Marschall. Die Islamismus-Expertin kritisiert seit geraumer Zeit, dass es insbesondere in Nordrhein-Westfalen zur Normalität geworden ist, vor der Muslimbruderschaft zu warnen, aber gleichzeitig mit Personen aus diesem Milieu zu kooperieren. 

In seiner Kolumne in der Rheinischen Post bezeichnete der österreichische Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide die Muslimbruderschaft am Samstag als "Gefahr für die Demokratie". Indirekt forderte der in Münster lehrende Professor das Ende jeglicher Zusammenarbeit: "Die Muslimbruderschaft ist im Zentralrat der Muslime (ZMD) vertreten und somit Teil der islamischen Strukturen in Deutschland. Vielen Akteuren im Land fehlt die notwendige Sensibilität dafür zu erkennen, dass es sich hierbei um eine für das friedliche Zusammenleben gefährliche und in vielen islamischen Ländern als islamistisch eingestufte Organisation handelt, die überall anstrebt, einen Staat im Staat zu errichten. Es ist an der Zeit, jegliche Zusammenarbeit mit solchen Organisationen in Deutschland zu stoppen, denen die Demokratie lediglich als Mittel zum Zweck dient." 

"In der Sache hat Mouhanad Khorchide natürlich völlig recht. Nahezu alle, die sich in ernsthafter und seriöser Form mit Islamismus beschäftigen, allen voran die Verfassungsschützer, haben schon seit Jahren Konsens, dass man mit der Muslimbruderschaft nicht zusammenarbeiten darf. Und in diesem Kontext darf auch der ZMD nicht unerwähnt bleiben. Nur geht Herr Khorchide da selber mit einem eher schlechten Beispiel voran", wundert sich Sigrid Herrmann-Marschall. Dabei verweist die im Raum Düsseldorf ansässige Islamismus-Expertin auf den Verein Begegnen, in dessen Vorstand auch Khorchide sitzt.

Der Verein Begegnen  Für Toleranz in NRW wird laut eigenen Angaben von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gefördert. Wie eng der Verein mit dem Land Nordrhein-Westfalen verbunden ist, erkennt man auch daran, dass dessen Gründungsversammlung in der Staatskanzlei stattgefunden hat. Vereinsvorsitzender ist Walter Homolka von der Union progressiver Juden, Schriftführerin ist die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Als stellvertretende Vereinsvorsitzende fungieren Samir Bouaissa sowie Mouhanad Khorchide. Der CDU-Kommunalpolitiker Bouaissa ist auch Landesvorsitzender des ZMD sowie stellvertretender Vorsitzender der Islamischen Gemeinde Wuppertal, zu der die dortige Abu-Bakr-Moschee gehört. Die Moschee ist seit Jahren wegen Bezügen zur Muslimbruderschaft bekannt.

"Dort sind mehrfach hochrangige Gelehrte und Referenten mit Nähe zur Muslimbruderschaft aufgetreten. Und solche Leute gehen nicht in 'normale' Moscheen, womit solche Auftritte unter Fachleuten und Verfassungsschützern als verlässliche Hinweise auf die ideologische Ausrichtung der Moschee gelten. Hinzu kommt, dass bei einem Terror-Prozess in Düsseldorf im letzten Jahr der später verurteilte Angeklagte ausgesagt hat, er sei deswegen zum Beten in die Abu-Bakr-Moschee gegangen, weil dort auch andere tadschikische Islamisten verkehren würden", erläutert Herrmann-Marschall. "Damit passt das, was Mouhanad Khorchide zu Recht fordert, und das, was er selber tut, einfach nicht zusammen. Würde er seine eigene Forderung nach notwendiger Sensibilität ernst nehmen, dürfte er die muslimische Seite bei Begegnen nicht ausgerechnet zusammen mit Samir Bouaissa repräsentieren."   

Gleiches Ziel, andere Methoden

Die Muslimbruderschaft wird von den deutschen Sicherheitsbehörden dem sogenannten legalistischen Islamismus zugeordnet. Grund ist, dass die Muslimbruderschaft ihr Fernziel, die Errichtung eines islamischen Gottesstaates mit dem Recht der Scharia, im Gegensatz zu gewaltbereiten Salafisten und anderen Jihadisten mit legalen Mitteln zu verwirklichen versucht. Laut des Landesverfassungsschutzes praktiziert sie dabei eine Doppelstrategie, bei der sie an ihre eigene Anhängerschaft andere Botschaften richtet als an die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Insbesondere Politikern und kirchlichen Dialogpartnern gegenüber präsentieren sich Personen aus dem Netzwerk der Muslimbruderschaft in gänzlich anderer Form als gegenüber der muslimischen Community.

Die entsprechenden Warnungen des Verfassungsschutzes wurden von der Politik bislang jedoch nicht ernst genommen. Dies gilt auch dafür, dass sich Muslimbruderschaft und Jihadisten lediglich in ihren Methoden unterscheiden, nicht jedoch in ihrem Ziel.

Widersprüchliche Haltung insbesondere in NRW

Wie widersprüchlich der Umgang mit der Muslimbruderschaft in Deutschland inzwischen ist, zeigte sich in den letzten Jahren insbesondere in Nordrhein-Westfalen: Einerseits warnte Landesverfassungsschutz-Chef Burkhard Freier mehrfach eindringlich davor, dass die Muslimbruderschaft für die Demokratie gefährlicher sei als Salafisten. Andererseits machten Vertreter der Landesregierung, insbesondere das Integrationsministerium, immer wieder deutlich, in diese Richtung keinerlei Berührungsängste zu haben. Dies entzündete sich zuletzt mehrfach an den Auseinandersetzungen um das Projekt "Vielfalt zum Anfassen: Schüler*innen gegen Antisemitismus" der JuMu Deutschland gGmbH (Juden und Muslime).

Das vom ZMD initiierte Projekt wird seit 2018 vom Landesintegrationsministerium finanziell unterstützt. Derzeit wird das Projekt mit jährlich 136.630,63 Euro aus Landesmitteln gefördert. Recherchen von Sigrid Herrmann-Marschall offenbarten jedoch, dass einer der beiden muslimischen Gesellschafter von JuMu, der in Duisburg ansässige Freie Verband der Muslime (FVM), auch Ausrichter der "Islamischen Bildungsmesse" ist. Diese Messe wurde bislang auffällig stark von Akteuren und Organisationen aus dem Graubereich zwischen Muslimbruderschaft und Salafisten frequentiert, was sich auch in der Auswahl der Referenten zeigte.

Anfänglich bestritt das Landesintegrationsministerium entsprechende Bezüge von JuMu. Später räumte Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) jedoch ein, dass "einzelne Teilnehmer der Bildungsmesse für ihre langjährigen Beziehungen zur Muslimbruderschaft bekannt sind" sowie Mitwirkende des Projekts JuMu an der "Bildungsmesse" teilgenommen haben. Auf Nachfrage der AfD-Fraktion machte Stamp jedoch im Juli unmissverständlich deutlich, das Projekt trotz dieser Bezüge weiter fördern zu wollen.

Ursache liegt im Landtag

Die Ursache für den widersprüchlichen Umgang mit der Muslimbruderschaft in NRW sieht Sigrid Herrmann-Marschall im Düsseldorfer Landtag. "Dort war es bis 2017 so, dass CDU und FDP beim Thema Islamismus immer wieder kritisch nachgefragt haben, so, wie es sich auch für Oppositionsparteien gehört", erläutert die Islamismus-Expertin. "Seit 2017 aber bilden SPD, Grüne und AfD die Opposition. Und SPD und Grüne haben das Thema Islamismus seitdem faktisch kampflos der AfD überlassen. Das merke ich immer wieder an den Reaktionen auf meine Recherchen, über die ich natürlich jedes Mal die fachpolitischen Sprecher aller Landtagsfraktionen in Kenntnis setze: Von der SPD kommen manchmal sogar sehr freundliche Rückmeldungen. Aber gleichzeitig schrecken die Genossen davor zurück, solche Themen auch in den Landtag einzubringen. Die Grünen haben bislang gar nicht reagiert, auch nicht beim Thema Muslimbruderschaft. Damit kann die AfD das Thema in Kleinen Anfragen und im Innenausschuss faktisch für sich besetzen, was sie auch bislang konsequent genutzt hat."

"Das wiederum gibt der Landesregierung die Möglichkeit, kritische Nachfragen, wie etwa die zu JuMu, einfach auszusitzen. Diese parteipolitische Entwicklung halte ich für sehr beunruhigend. Nutznießer und Profiteure sind einschlägig bekannte Personen aus dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft, die alle neben dem von Mouhanad Khorchide erwähnten Bezug zum ZMD offenbar auch Ansprechpartner in der Staatskanzlei und vor allem im Integrationsministerium haben. Darüber bekommen sie finanzielle Förderung und leider auch gesellschaftliche Aufwertung, ohne dabei befürchten zu müssen, dass dies im Landtag oder in großen Medien kritisch thematisiert wird. Und dem Verfassungsschutz, der von all diesen Dingen natürlich weiß, aber in NRW dem Innenministerium untersteht, bleibt dabei nur noch die Rolle des hilflosen Zuschauers", so das Fazit der Expertin.

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