Entscheidung im Bundestag noch im Herbst

Sterbehilfe in Deutschland am Ende?

BERLIN. (hpd) In den letzten Wochen ist es in den Medien ruhig geworden um das Thema einer assistierten Sterbehilfe. Die Sommerpause fordert ihren Tribut. Aber der Zeitpunkt der Entscheidung im Bundestag rückt unaufhaltsam näher.

Im Laufe des Herbstes, im November, wird die endgültige Entscheidung fallen – und die Zeichen stehen nicht gut für eine Sterbehilferegelung, die sich an Würde und Selbstbestimmung des einzelnen Menschen orientiert. Zu befürchten ist, dass sich in den wenigen verbliebenen Wochen bis zur abschließenden Lesung im Bundestag das politische Klima nicht mehr gegen eine allgemeine Kriminalisierung organisierter Sterbehilfe wenden lässt. Dem Initiator der Angelegenheit, Bundesgesundheitsminister Gröhe, scheint der Sieg sicher zu sein.

Erwartungen der Bevölkerung und Unklarheiten

Nach wie vor ist eine Unklarheit in der Bevölkerung darüber festzustellen, worum es bei der bevorstehenden Bundestagsentscheidung eigentlich geht. Von der übergroßen Bevölkerungsmehrheit (Religionszugehörigkeit hin oder her) wird eine liberale Regelung zugunsten einer selbstbestimmten Entscheidung über die Beendigung des eigenen Lebens, assistiert von ÄrztInnen oder Sterbehilfevereinigungen, und zwar nach vorangegangener umfassender Beratung befürwortet.

Nur ein Teil der Bevölkerung weiß hingegen, dass genau eine solche Regelung verboten werden soll – die Erwartung dagegen, das jetzt liberalisiert werden wird, ist groß. Verschleiert wird von interessierter Seite bekanntlich immer wieder, dass gegenwärtig eine assistierte Sterbehilfe überhaupt nicht verboten ist. Schon daraus folgt Verwirrung. Seitens der Selbstbestimmungsgegner sind dazu genügend Nebelkerzen geworfen worden, um den wahren Sachverhalt verborgen zu halten, bisweilen heißt es propagandistisch gar, angeblich müsse eine “aktive Sterbehilfe” verboten werden – wofür sich ohnehin kaum jemand ausspricht.

Diese (undurchsichtige) Situation mag Grund mit dafür sein, dass weitgehend Ruhe herrscht im Land zu diesem wichtigen ethischen Thema.

Großteil der Bundestagsabgeordneten bereits festgelegt

Vor der parlamentarischen Sommerpause hat im Bundestag die erste Lesung der vorliegenden vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe stattgefunden. Durch ihre Unterstützung dieser Gesetzentwürfe haben sich bereits 405 Abgeordnete festgelegt: fünfunddreißig für den Entwurf der CDU- Abgeordneten Sensburg und Dörfflinger, die ein strafbewehrtes Totalverbot jeglicher Sterbehilfe fordern, dreiundfünfzig für den Entwurf Künast/Sitte, der gewerbsmäßige Sterbehilfe ablehnt und für organisierte bzw. geschäftsmäßige Sterbehilfe Sorgfaltskriterien aufstellt, einhundertsieben Abgeordnete für den Entwurf Lauterbach/Hintze/Wöhrl, der in einem äußerst enggezogenen Rahmen schwerster Erkrankungen Sterbehilfe durch ÄrztInnen zulassen will – was im Zivilrecht geregelt werden soll - und zweihundertacht Abgeordnete für den Entwurf Brand/Giese, der die geschäftsmäßige und somit jegliche Form organisierter Sterbehilfe strafrechtlich verbieten und im Einzelfall lediglich Verwandte und enge Bekannte straffrei lassen will.

226 der insgesamt 631 Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben bislang noch keine nach außen dokumentierten Festlegungen getroffen. Da der allergrößte Teil dieser 226 Bundestagsabgeordneten jedoch der CDU angehört, ist nicht zu erwarten, dass aus diesem Kreis eine relevante Unterstützung des Entwurfs Künast/Sitte kommen wird, somit desjenigen Entwurfs. der als einziger klar und deutlich regeln will, dass organisierte Sterbehilfe (und zwar auch durch ÄrztInnen) auch künftig straffrei sein soll.

Wo sollen liberale Mehrheiten im Bundestag her kommen?

Die Fronten unter den Bundestagsabgeordneten sind im Wesentlichen festgelegt. Daran ändern werden vermutlich kaum noch etwas die aufklärerischen Aktivitäten des Bündnisses für Selbstbestimmung bis zum Lebensende und der in ihm vereinten Organisationen, die vor einigen Wochen veröffentlichten politisch wichtigen Erklärungen der renommiertesten StrafrechtslehrerInnen Deutschlands und von ÄrztInnen für einen selbstbestimmten assistierten Suizid. Zu stark ist der Druck aus den christlichen Kirchen, flankiert von den muslimischen Verbänden, seitens sogenannter Lebensschützer, von Hospizbetreibern, von Behindertenorganisationen, von “Antikapitalisten” (wie einigen Selbstbestimmungsgegnern aus den Reihen der LINKEN) und Paternalisten, eine Selbstbestimmung über das eigene Lebensende nicht zuzulassen.

Gängelung statt Selbstbestimmung: diese Auffassung ist Mehrheit in allen im Bundestag vertretenen Parteien, eine Allparteien-Koalition von rechts bis links. Meinungsumfragen in der Bevölkerung spielen für diese Kreise keine Rolle, werden weder ernst noch zum Anlass für einen breiten gesellschaftlichen Dialog genommen.

Zu stark zudem die Verlockung für die führenden CDU/CSU-Kreise, ihrem konservativen Klientel endlich einmal einen Erfolg zu präsentieren – wo doch Frau Merkel in vielen Angelegenheiten nicht konservativ genug agiert. Balsam für die Seelen der christlichen Konservativen und damit eine gelungene Positionierung für den nächsten Wahlkampf – diesen Gesichtspunkt zu unterschätzen, wäre töricht.

Es zeigt sich eine politische Klasse, die – aus unterschiedlichen Motiven -resistent ist gegen Vorstellungen aus dem “Volk”, selbst dann, wenn das zu entscheidende Thema eines ist, das im wirklichen Sinn des Wortes alle und jede/n angeht.

Kombination von Zivil- und Strafrechtsregelung möglich

Man muss wohl kein Hellseher sein, um festzustellen, dass die bislang meistunterstützten Entwürfe von Brand/Giese einerseits und von Lauterbach/Hintze/Wöhrl andererseits im Fokus der weiteren parlamentarischen Debatten stehen werden. Sie zielen auf verschiedene Ebenen: Brand/Giese wollen ein strafrechtliches Verbot der gewerbsmäßigen/organisierten Sterbehilfe mit (engen) Ausnahmen für Verwandte und nahe Bekannte (was schon durch die Aspekte des Einzelfalles und der Nichtwiederholung betont wird), Lauterbach/Hintze/Wöhrl wollen eine zivilrechtliche Regelung, die in einem äußerst restriktiven Rahmen ausschließlich ärztliche Hilfe beim Suizid zulässt. Ihnen geht es ausdrücklich nur um eine ärztliche Hilfe in der ultimativen Schlussphase des Lebens, dann, wenn eine unheilbare Erkrankung unumkehrbar in überschaubarer Zeit zum Tode führt; dann und nur dann soll (nur) zur “Abwendung eines krankheitsbedingten Leidens” Suizidhilfe durch Ärzte zulässig sein.

Lauterbach/Hintze-Entwurf: keine Selbstbestimmung im humanistischen Sinne

Das und nichts anderes ist der Regelungsgehalt ihres Entwurfes, keine Gedanke an generelle Selbstbestimmung am und über das eigene Lebensende. Erfasst werden lediglich – wenngleich immerhin! – Fälle schwerster Krebs- und ähnlicher Erkrankungen. Nicht ohne Grund erwähnen Lauterbach/Hintze/Wöhrl in ihrer Entwurfsbegründung eine “terminale Erkrankung”, damit machen sie deutlich, auf welch eingeschränkten Personenkreis ihre Vorschläge zielen. Es handelt sich um solche Fälle schwerster Erkrankung, bei der jeder anständige Mensch entsetzt und empört wäre, würde hier nicht ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden können, um die schreckliche Leidensphase zu beenden. Von humanistischen Sterbehilfevorstellungen etwa des Bündnisses Selbstbestimmung bis zum Lebensende, des Humanistischen Verbandes oder etwa eines Hans Küng sind diese Vorschläge freilich meilenweit entfernt

Was die Herbstabstimmung im Bundestag bringen könnte

Gleichwohl dürfte hier das Modell der (noch) zulässigen Sterbehilfe ab Herbst 2015 in Deutschland angelegt sein: Ein grundsätzliches Verbot geschäftsmäßiger/organisierter Sterbehilfe mit engen Ausnahmen für Verwandte und nahe Bekannte im Strafrecht plus einer zivilrechtlichen Ausnahmeregelung für ärztliche Suizidbeihilfe in einem äußerst engen Rahmen, bei dem es um für alle sichtbar um “Barmherzigkeit” geht – aber nicht um Selbstbestimmung! Im Bereich der beiden entsprechenden Gesetzesentwürfe sind noch Spielräume gerade auch für die Positionierung der noch nicht festgelegten Abgeordneten vorhanden. Wer für ärztliche Suizidbeihilfe im Sinne des Entwurfs von Lauterbach/Hintze/Wöhrl ist, kann sowohl dieser engen Erlaubnisregelung im Zivilrecht als auch einem ansonsten generellen strafrechtlichen Verbot zustimmen. Daran ändert auch nichts, das aus dem Kreis der UnterzeichnerInnen dieses Gesetzesentwurfs unterschiedliche Äußerungen gekommen sind, von denen manche betonten, dass keine strafrechtliche Regelung gewünscht sei, andere, etwa Hintze und im Sommer auch Frau Wöhrl, jedoch deutlich erklärt haben, dass ihre zivilrechtliche Regelung mit einer strafrechtlichen Regelung durchaus kompatibel sei. Wer den Entwurf von Lauterbach/Hintze/Wöhrl begrüßt, hat die Dimensionen des Ganzen nicht erfasst.

Betrachtet man die beiden meistunterzeichneten Entwürfe, ist diese Konstruktion (Strafrecht hier/ Zivilrecht dort) nicht nur rechtstechnisch möglich, sondern auch politisch denkbar, wenn nicht sogar sehr wahrscheinlich.

Bekanntlich ist Körperverletzung (auch von Kindern) im StGB allgemein verboten- hinsichtlich der Knabenbeschneidung im Zivilrecht jedoch (als Ausnahme) ausdrücklich Ende 2012 erlaubt worden. Diesem Modell folgend kann auch bei der Sterbehilfe durchaus eine entsprechende Regelung getroffen werden.

Schlechte Chancen für Würde und Selbstbestimmung

Die Chancen für eine an der Selbstbestimmung orientierte Regelung stehen somit im Deutschland des Jahres 2015 schlecht. Ob sich im liberalen Sinne noch etwas erreichen lässt, ist mit großer Skepsis zu bewerten. Da ein Koalitionspartner fehlt, der sich zum Gröhe-Vorhaben querstellt - wie seinerzeit die FDP -, könnte ein Scheitern der Strafrechtspläne nur noch durch Aktionen aus der Bevölkerung – auch auf der Straße – herbeigeführt werden. Danach aber sieht es – trotz der bekannten Umfragewerte – allerdings überhaupt nicht aus.


Die vorliegenden Gesetzesentwürfe im Wortlaut siehe hier: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw27_de_sterbebegleitung/379944