Zum Gesetzentwurf Brand/Griese, geschäftsmässige Suizidhilfe unter Strafe zu stellen

….denn sie wissen – nicht? – was sie tun

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MARBURG. (hpd) Warum Suizidhilfe, einmalig gewährt, erlaubt bleiben, aber im Wiederholungsfall (wenn also "geschäftsmäßig" gewährt) künftig bestraft werden soll, wird mit Argumenten "aus dem Bauch" begründet, denen mit purer Vernunft letztlich nicht beizukommen ist. Daher ist es wichtig, auf einer anderen Ebene dagegen zu argumentieren, nämlich einer rein juristischen.

Der Gesetzesvorschlag von Michael Brand und Kerstin Griese erhielt bei der Anhörung im Rechtsausschuss am 23.9.2015 Unterstützung seitens der ehemaligen Vorsitzenden Richterin am Bundesgerichtshof, Frau Prof. Rissing-van-Saan. In ihrem Vortrag (siehe Anlage) unterstellt sie für den Fall, dass geschäftsmäßige Suizidhilfe weiterhin erlaubt bliebe:

"Das Weiterleben-Wollen wäre begründungspflichtig. Das würde eine Pervertierung des individuellen Selbstbestimmungsrechts bedeuten und wäre ein Schritt in Richtung einer Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft."

sowie:

"Das von dem Entwurf mit § 217 StGB vorgeschlagene abstrakte Gefährdungsdelikt der 'Förderung der Selbsttötung' durch geschäftsmäßiges Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln von Gelegenheiten zur Selbsttötung hat nicht nur den Schutz des individuellen Lebens, sondern auch das Allgemeininteresse an einer Sicherung der Autonomie eines jeden Bürgers vor übereilten oder auch fremdbestimmten Sterbewünschen im Blick."

Die Gegenargumente sind bis zum Überdruss publiziert worden, beginnend mit der Tatsache, dass (laut einschlägiger Befragungen) eine große Mehrheit unserer Bürger legale Hilfe zum Sterben wünscht. Aber muss man deshalb auf weitere intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Brand-Griese-Entwurf verzichten? Nein, denn dieser Gesetzentwurf hat (wie auch andere) noch eine juristische Schwäche, die von den Befürwortern meines Wissens bisher nicht kommentiert wird: Die Bedeutung der Begriffs "Suizid" ist nicht so klar, wie man zunächst meinen könnte. Dies soll hier anhand zweier Konstellationen verdeutlicht werden.

Frau Rissing-van-Saan behauptet:

"Ein 'Behandlungsabbruch', bei dem nicht der Patient oder ein Dritter für ihn aktiv in den Lebensprozess eingreift, um diesen zu verkürzen, sondern bei dem der fortschreitende Krankheitsprozess, der nicht mehr durch gegensteuernde Behandlung aufgehalten wird, den Tod des Patienten herbeiführt, ist keine Beihilfe zum Suizid!"

Hier wird suggeriert, dies sei grundsätzlich nie der Fall. Tatsache ist jedoch, dass es eine breite Skala denkbarer Situationen und Entscheidungen beim Behandlungsabbruch gibt und etliche davon bei nüchterner Betrachtung als Suizide zu bewerten sind. Beispiel Herzschrittmacher: Wenn jemand schon Jahre lang auf einen Herzschrittmacher angewiesen ist und nun eines Tages sein Leben beenden möchte und daher einen Kardiologen bittet, den Schrittmacher abzustellen – dürfte der Arzt dies auch dann tun, wenn der Patient noch nicht aufgrund einer weiteren Erkrankung schon dem Tode nahe ist?

Oder: Ein Patient will aus dem Leben scheiden, indem er alle Medikamente, die er seit längerer Zeit benötigt, absetzt. Er fragt den Arzt, ob er Aussicht hat, dass die den Tod in naher Zukunft herbeiführt. Der Arzt bejaht dies und bietet an, dass er bei eventuellen Komplikationen dem Patienten beistehen werde.

Rechtlich wäre das ärztliche Verhalten in solchen Situationen wohl als Beihilfe zum Suizid zu bewerten, denn es geht hier um das Beenden von Behandlungen, auf die der Patient nicht eindeutig und akut für sein Weiter-Leben angewiesen ist (anders als z.B. bei vielen Fällen von künstlicher Beatmung). Vielmehr erhofft sich der Patient, durch das Beenden der Maßnahme in naher Zukunft eines "natürlichen" Todes sterben zu können. Hier liegt ein juristische Problem.

Allerdings sind die geschilderten Beispiele medizinisch gesehen weniger relevant, da nur in seltenen Ausnahmen die Erwartungen des Patienten an solch einen Behandlungsabbruch realistisch sind. Daher soll nun die vermutlich weit wichtigere Option des sog. Sterbefastens betrachtet werden, also das vorzeitige Beenden des eigenen Lebens durch einen freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF).

Dazu behauptete Frau Griese kürzlich dem Autor gegenüber:

"'Sterbefasten' fällt eindeutig nicht unter unsere Gesetzesformulierung: 'Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft', daher bedarf es keiner Klarstellung. Hierzu empfehle ich Ihnen die juristische Stellungnahme von Frau Prof. Dr. Rissing-van Saan, die ich beifüge."

In den Darlegungen von Rissing-van-Saan wird jedoch nirgends implizit oder explizit auf das Sterbefasten Bezug genommen. Im Folgenden wird ersichtlich, wieso die Aussage von Frau Griese unzutreffend und dazu angetan ist, andere in die Irre zu führen.

Es gibt nämlich eine gleitende Skala von Anlässen, aufgrund derer man sich zum Sterbefasten entscheiden kann – vom unmittelbar bevorstehenden qualvollen Tod bis hin zu einer sich zunächst nur abzeichnenden Perspektive auf ein schweres Leiden. Nur letzteres interessiert hier, weil nämlich jeder klar Denkende zustimmen wird, dass das Sterbefasten in solch einem Fall ein Suizid ist. Dazu ein Beispiel (darüber wurde übrigens in einem Artikel der Zeit berichtet): Jemand weiß, dass er im Begriff ist, dement zu werden, und will dem entgehen; er nimmt sich - mit ärztlichem Beistand - durch Sterbefasten das Leben. Eine derartige Entscheidung könnte auch z.B. aufgrund fortgeschrittener Polyarthrose oder Parkinson-Krankheit getroffen werden, also wenn jemand damit seit Jahren geplagt ist und sich irgendwann nur noch die “ewige Ruhe” wünscht und z.B. nicht noch ein weiteres künstliches Gelenk bekommen oder auf immer mehr schmerzlindernde Medikamente angewiesen sein will. Ob man das Leben dann durch Sterbefasten oder z.B. durch Einnahme von Tabletten beendet – es handelt sich rechtlich gesehen um Suizid.

Nicht jedermann ist klar, dass es im Grundsatz egal ist, ob man etwas tut oder unterläßt, um den eigenen Tod herbeizuführen. Man kann hier durch die Begriffe "aktiver" und "passiver Suizid" differenzieren. Sterbefasten und Absetzen der Tabletten sind zwei Beispiele für einen passiven Suizid.

Der Gesetzesvorschlag Brand-Griese trifft hierzu jedoch keine Unterscheidung. Man könnte, wenn man denn wollte, die Beihilfe zum passiven Suizid straffrei lassen. Da dies nicht vorgesehen ist, ergibt sich die zwingende Konsequenz, dass durch Beschluss des Griese-Brand-Entwurfes die Beihilfe zum Sterbefasten je nach Sachlage als Beihilfe zum Suizid kriminalisiert werden kann und nicht in jedem Falle als eine rechtlich unbedenkliche palliative Unterstützung bei einem schon beginnenden Sterbeprozess zu sehen ist. Denn dank dieses Gesetzes kommt es lediglich darauf an, ob jemand wiederholt etwas tut (nicht was genau er tut) "…in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern,…". Diese Absicht wird sich auch bei der Unterstützung von Sterbefasten oft, wenn nicht immer nachweisen lassen.

In der Stellungnahme von Herrn Prof. Hilgendorf (für die Anhörung vom 23.9.2015; siehe unten) wird u.a. auf Sterbefasten Bezug genommen. Dort wird juristisch konkretisiert, inwiefern die Unterstützung des Sterbewilligen als Beihilfe zum Suizid strafverfolgt werden könnte.

Abschließend muss betont werden, dass dieser Gesetzentwurf vor allem eine enorme Verunsicherung von Bürgern und Ärzten bewirken wird und wohl auch soll; denn es ist auch keineswegs klar, wo die "Hilfe zum Suizid" denn beginnt. Viele werden sich dann fragen: Ist dieses oder jenes nun überhaupt noch erlaubt? Was darf man wagen? Ja sogar: Was darf man noch sagen oder publizieren? Solch ein bedrückendes Klima wird das Ergebnis sein - mit der Folge, dass professionelle Suizidhilfe seltener in Anspruch genommen werden wird und eigentlich vermeidbare Verzweiflungs-Suizide mit schrecklichen Mitteln zunehmen werden.

Fazit: Gesetzentwürfe wie der von Brand-Griese sind nicht zu perfektionieren, sondern abzulehnen.

Christian Walther ist Ko-Autor des Buches "Ausweg am Lebensende" (Chabot – Walther, 4. Aufl. 2015)