Debatte zum Modellprojekt der Stadt Köln mit der DITIB

Wenn der Muezzin ruft…

Die katholische Karl-Rahner-Akademie lud unter dem Titel "frank & frei: Wenn der Muezzin ruft... Freiheit der Religion oder falsch verstandene Toleranz?" auch den Sprecher des Zentralrates der Konfessionsfreien, Philipp Möller, zu einer Podiumsdiskussion ein. Über die Veranstaltung berichtet Ingo Eitelbach für den hpd.

Die Kölner Oberbürgermeisterin hat im Oktober im Rahmen eines zunächst zeitlich begrenzten sogenannten Modellprojektes Moscheegemeinden in Köln erlaubt, durch einen Muezzin öffentlich laut und deutlich zum Gottesdienst zu rufen.

Dafür hat es viel Kritik aus unterschiedlichen Quellen gegeben. Dass die Erlaubnis die Zentralmoschee betrifft, die dem DITIB-Dachverband zugeordnet ist, hat den Gegenwind nur noch stärker gemacht. Die Moschee wurde vom türkischen Präsidenten Erdogan persönlich eröffnet.

Der Politikwissenschaftler und Publizist Hamed Abdel-Samad schreibt dazu: "Der Muezzinruf in Köln ist verfassungswidrig".

Ein Thema also, dass eine lebhafte Diskussion versprach, zu der folgende Gäste geladen waren:

  • Prof. Dr. Katajun Amirpur, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität zu Köln
  • Dr. Werner Höbsch, früherer Referatsleiter Interreligiöser Dialog u. a. des Erzbistums Köln, Vorsitzender des Trägervereins der Karl-Rahner-Akademie
  • Lamya Kaddor, MdB Bündnis 90/Die Grünen, Islamwissenschaftlerin
  • Dr. Zekeriya Altug, DITIB (Diyanet İşleri Türk İslam Birliği)
  • Bettina Baum, künftige Leiterin des Amtes für Integration und Vielfalt der Stadt Köln (ab 15.12.)
  • Philipp Möller, Zentralrat der Konfessionsfreien

Die Gästeliste hatte eine religiöse Schlagseite, was angesichts der Akademie, die sich explizit als dem Katholizismus zugehörig bezeichnet (Karl Rahner war katholischer Theologe) und zu 25 Prozent direkt vom Bistum Köln finanziert wird, nicht verwundert. Unter frei und unabhängig (Selbstbeschreibung der Akademie) stellt man sich gemeinhin etwas anderes vor.

Es war also an Philipp Möller, die Fahne der Aufklärung hochzuhalten, was ihm gut gelang, wenn er denn zu Wort kam.

Überraschend war dann aber doch, dass Frau Bettina Baum als Vertreterin der Stadt Köln sich nahtlos in die Phalanx der Religionsvertreter einreihte und erkennen ließ, dass Belange von konfessionsfreien Menschen seitens der öffentlichen Verwaltung nicht berücksichtigt werden.

Sie erläuterte in ihrem Eingangsstatement, dass religiöse Organisationen unter der Pandemie schwer zu leiden hätten und deshalb die Moscheegemeinden auf die Stadt zugekommen seien, mit der Bitte, den Gebetsruf (60 Jahre seit Anwerbung von Muslimen als sogenannte Gastarbeiter) zu erlauben. Zurzeit lägen zwei Anträge vor, die sich in der Prüfung befänden. Die Prüfung beträfe insbesondere die Lautstärke und Lautsprecheranlage.

Dr. Altug als Vertreter der DITIB wiederum erklärte, dass die Initiative ursprünglich von den Kirchen ausging, die die Solidarität zwischen den unterschiedlichen Glaubensrichtungen während der Pandemie fördern wollten. Er sieht die Erlaubnis für den Ruf des Muezzins als Würdigung des muslimischen Lebens und als ein Zeichen von Pluralität und Vielfalt.

Lamya Kaddor, frisch gewählte Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, pflichtete Dr. Altug ausdrücklich bei und wies auf die, ihrer Meinung nach, bestehenden Probleme hinsichtlich Islamfeindlichkeit und Ressentiments gegenüber Muslimen in Deutschland hin, aus denen Rassismus entstehen würde. Ein guter Schritt sei auch die Einführung des islamischen Religionsunterrichts gewesen.

Für Philipp Möller hat die Erlaubnis für den Muezzinruf eine richtige und eine falsche Komponente. Auch wenn das Glockenläuten der christlichen Kirchen nicht gleichzusetzen sei mit dem Gebetsruf, kann man nicht das eine erlauben und das andere nicht. Falsch findet er, dass Religionsgemeinschaften, im Sinne der Gleichbehandlung aller, ihre Mitgliedsbeiträge vom Staat einziehen lassen können, Arbeitnehmer diskriminieren können und den Zugriff auf Kinderhirne erhalten.

Im Übrigen sei der Ruf des Muezzins als Aufruf zur Religionsausübung eben gerade nicht durch die Religionsfreiheit gedeckt. Es stellt sich doch nicht zuerst die Frage nach der Lautstärke, sondern danach, wie es mit der Verfassungstreue der Organisation steht. Wollen wir wirklich dem Erdoğan-Islam die Türen weiter aufmachen? Er kritisierte insbesondere die städtische Verwaltung dahingehend, dass die Entscheidung den Respekt vor konfessionsfreien Menschen, aber insbesondere auch vor Ex-Muslimen vermissen ließe. Offensichtlich kann man sich dort nicht vorstellen, welche traumatischen Erlebnisse, wie zum Beispiel Hinrichtungen, diese Menschen im Zusammenhang mit dem Ruf des Muezzins erlebt hätten. Religionsfreiheit sei ein Selbstbestimmungsrecht, kein Fremdbestimmungsrecht.

Screenshot
Screenshot, Philipp Möller (Zentralrat der Konfessionsfreien, rechts) war online zugeschaltet.

Die Islamwissenschaftlerin Amipur sprang Philipp Möller insofern bei, als dass auch sie dafür plädierte, die Kirchenprivilegien aufzuheben, sofern der Gebetsruf nicht erlaubt werde. Sie kritisierte, dass Muslimen bei uns ihre Religion erklärt bekämen, um gleichzeitig festzustellen (sie ist schließlich Wissenschaftlerin), dass der Ruf in Deutschland nicht notwendig für die Religionsausübung sei.

Der Ruf "Allahu akbar" bedeute "Gott ist der schlechthin Größte". Dieser Inhalt sei doch für eine monotheistische Religion nicht verwunderlich. Dass der türkische Präsident dies als politische Botschaft sieht, könne kein Grund sein, den Ruf zu verbieten.

In ein ähnliches Horn blies der Vertreter der katholischen Kirche Werner Höbsch, der erläuterte, dass der heilige Franziskus einst den Muezzin rufen hörte und dies so toll fand, dass er das Glockenläuten erfand und damit seine Wertschätzung gegenüber dem Islam zum Ausdruck bringen wollte. Die katholischen Bischöfe unterstützen die Initiative ausdrücklich.

Dr. Altug von der DITIB wies daraufhin, dass die Gesellschaft bereichert werden solle und dass seine Organisation sogar linksgerichtete Gläubige hätte. Die Basis machen aber AKP-Anhänger aus. Die Skandale seien Geschichte und hätten ohnehin nur auf unterer Funktionärseben stattgefunden. Er hält das Kriterium der Verfassungstreue für fatal, da dadurch und weil man das Grundrecht auf Religionsfreiheit unterbände Autokraten gestärkt würden. Fehlen durfte auch nicht eine kleine Anekdote aus dem schleswig-holsteinischen Schleswig, wo angeblich die Nachbarschaft einer Moschee darum bat, die Lautstärke zu erhöhen, weil der Ruf so schön klänge.

Wie es tatsächlich um die DITIB bestellt ist, kann man unter anderem in einem aktuellen Artikel der Welt lesen.

Bettina Baum verteidigte die Stadt Köln gegen die Kritik von konfessionsfreier Seite. So wolle sie nicht in einer Stadt leben, wo 10–12 Prozent Muslime mit Heimatgefühlen leben, aber in der Öffentlichkeit unsichtbar gemacht würden. Auch sei die Gesellschaft vielfältiger geworden, seitdem mit DITIB vereinbart worden ist, dass man vom türkischen Staat unabhängiger werden solle. Dieser Zeitpunkt sei nun da und man könne doch nunmehr noch einmal neu diskutieren. Die Verwaltung sieht sich nicht in der Position, die Verfassungstreue zu prüfen, dafür seien andere Stellen zuständig. Man schließe auch nicht Verträge mit Verbänden, sondern mit einzelnen Gemeinden.

Frau Kaddor pflichtet ihr bei und erklärt, dass der säkulare Rechtsstaat doch nicht abgeschafft werden könne und es benötige solche Angebote, da der Zulauf zu Religionen zunähme. Die tatsächliche Entwicklung sieht jedoch ganz anders aus, merkte Philipp Möller an.

Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass Dr. Höbsch daraufhin erklärte, dass die katholische Kirche die Erlaubnis auch dann unterstütze, wenn Erdoğan-Anhänger davon betroffen seien.

Die anschließenden Fragen innerhalb des anwesenden Publikums konzentrierten sich im Wesentlichen auf die Kritik an der Beteiligung der Bürger. Dieser Wunsch wurde recht brüsk seitens der städtischen Vertreterin mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass über die Religionsfreiheit nicht abgestimmt werden könne. Ergänzend teilte sie mit, dass der in Köln etablierte "Rat der Religionen" (Red.: im Gegensatz zu den Bürgern) sehr wohl hätte frühzeitiger beteiligt werden sollen, das werde nachgeholt.

In seinem Schlussstatement wies Philipp Möller nochmals eindringlich auf die Heimatgefühle von traumatisierten Flüchtlingen aus islamischen Ländern hin und forderte die Verwaltung auf, mit liberalen Muslimen zusammenzuarbeiten. Für ihn ist der Ruf des Mezzins nicht durch die Religionsfreiheit gedeckt. In Deutschland sind die Grenzen der Religionsfreiheit sehr weit gefasst, so dass es der Staat sogar zulässt, dass männlichen Kindern der empfindlichste Teil ihres Körpers im Rahmen der Beschneidung amputiert wird. Hier bestehe großer Diskussionsbedarf.

Zum Schluss fragt der Moderator nach den Prognosen für die Situation in zwei Jahren, wenn die Projektphase endet. Bettina Baum geht davon aus, dass der Ruf des Muezzins bis dahin in der Bevölkerung Akzeptanz findet.

Fazit:

Das Modellprojekt in Köln ist befristet und betrifft zurzeit lediglich zwei Moscheegemeinden. Jedoch ist diese Darstellung, die von den meisten Diskutanten vorgebracht wurde, eine Verharmlosung des Sachverhaltes.

Es geht um nichts anderes als um die Verteidigung des säkularen Rechtsstaates, der angesichts der bestehenden Privilegien der christlichen Kirchenkonzerne nunmehr auch von islamischer Seite unter Druck gerät. Die Offenheit der deutschen Gesellschaft und des Rechtssystems für Ideologien, die religiös etikettiert Grundrechte wie zum Beispiel die Gleichberechtigung der Geschlechter oder das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung von Homosexuellen aushebeln möchten, ist eine Gefahr für die Demokratie.

Hier sollte der Schneeball so früh wie möglich aufgehalten werden, bevor er sich zur Lawine entwickelt. Dafür ist der Zentralrat der Konfessionsfreien die richtige Organisation.

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