Interview

"Oft kann man Ängste durch Daten und Fakten entkräften"

In Folge seiner Verwicklung in einen Rechtsstreit gegen einen Impfgegner wurde der Arzt Dr. David Bardens zu einem der bekanntesten deutschen Kritiker der Impfgegner-Bewegung. Im Interview gibt er Antworten zur aktuellen Impfdebatte.

Florian Chefai: 2014 sind Sie mit einem spektakulären Gerichtsprozess in die Schlagzeilen geraten. Ein Impfgegner und Virenleugner hatte auf einer Internetseite 100.000 Euro für den Nachweis des Masernvirus ausgelobt. Sie haben ihm daraufhin mehrere Studien vorgelegt, die die Existenz des Virus belegen. Da die Auszahlung des Preisgeldes mehrfach verweigert wurde, haben Sie schließlich geklagt. Zu welchem Ergebnis kam das Verfahren?

Dr. David Bardens: Es handelte sich bei der Auslobung um eine Provokation. Der Impfgegner behauptete, keiner würde versuchen, sich das Preisgeld abzuholen, da es generell keine krankmachenden Viren und Bakterien gäbe. Ich ging darauf ein, wollte mir die 100.000 Euro abholen, um diese an Masernimpfungen in Entwicklungsländern zu spenden. Es kam zu einem langen und international beachteten Gerichtsverfahren. In erster Instanz wurde mir das Preisgeld zugesprochen, da ich laut einem Gutachten zweifelsfrei die Existenz des Masernvirus bewiesen hatte. In zweiter Instanz wurde entschieden, dass der Impfgegner sein Geld behalten durfte. Er hatte eine wissenschaftliche Publikation gefordert, in der die Existenz des Masernvirus bewiesen ist. Ich hatte ihm sechs aufeinander aufbauende Publikationen zugeschickt, die nur in der Zusammenschau den Beweis erbrachten. Damit hatte ich in der Sache recht, bin jedoch an einem Formfehler gescheitert.

Welche Reaktionen gab es auf das Verfahren? Was hat es für Sie persönlich bedeutet?

Das Thema Impfen polarisiert. Ich bekam viele positive Reaktionen, beispielsweise von Eltern, deren Kinder durch eine Masernerkrankung pflegebedürftig geworden waren. Gleichzeitig wurde ich von der Impfgegnerseite scharf angegriffen und bedroht. Es wurden bizarre Behauptungen über meine Person aufgestellt und mir wurde Gewalt angedroht. Das hat mich derart geprägt, dass ich auch heute noch Sicherheitsvorkehrungen treffe, um mich und mein Umfeld zu schützen.

Sollte man radikalen Impfgegnern überhaupt eine Plattform in der Öffentlichkeit bieten oder sollte man solche Absurditäten lieber ignorieren?

Es kommt darauf an. Prinzipiell ist jede Meinung es wert, gehört zu werden. Es gibt relativ wenige wirklich "radikale" Impfgegner, die keinen Argumenten zugänglich sind. Dahingegen gibt es viele Menschen, die skeptisch gegenüber Impfungen sind, oft aus Angst vor ernsthaften Nebenwirkungen. Solche Ängste sollte man ernst nehmen und den Dialog suchen. Oft kann man die Ängste durch Fakten und Daten entkräften. Dahingegen sollte man meiner Meinung nach überdenken, ob man Impfgegnern in Talkshows die gleiche Redezeit zugesteht wie Fachleuten.

Sie sind derzeit als Allgemeinmediziner in Schweden tätig. Welche Sorgen treiben Menschen derzeit bezüglich der Impfung gegen Covid-19 um?

Ich habe den Eindruck, dass die Schweden weniger Vorbehalte gegen Impfungen haben als die Deutschen. Berechtigterweise haben die Leute hier viel mehr Angst und Respekt vor der Erkrankung als vor der Impfung.

Dr. David Bardens absolvierte nach seinem Zivildienst eine Ausbildung zum Rettungsassistenten beim Arbeiter-Samariter-Bund in Mainz. Anschließend studierte er Humanmedizin in Homburg, wo er 2014 auch promovierte. Während des Studiums arbeitete er unter anderem als Lehrer an einer Hebammenschule und als Perfusionist bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Gegenwärtig praktiziert er als Allgemeinmediziner in Schweden.

Schweden verfolgte im Zuge der Pandemie lange Zeit eine verhältnismäßig lockere Coronastrategie. Vor kurzem traten jedoch auch dort härtere Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen und eine 1G-Regelung bei Großveranstaltungen in Kraft. Wie werden diese in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert?

Die schwedische Strategie in der Pandemie ist nicht nur ausgefallen, sondern auch sehr zweifelhaft. Am Anfang der Pandemie neigten die Behörden zur Verharmlosung und es dauerte lange, bis überhaupt Maßnahmen ergriffen wurden. Viele dachten, es sei wichtig, dass sich die Infektion unter jungen Menschen schnell verbreitet, um eine Art Herdenimmunität zu erreichen. Die Behörden behaupteten unter anderem, dass das Tragen von Mund-Nasen-Schutz keinen Effekt habe, dass man vor allem auf eine gute Handhygiene achten sollte und dass es unmöglich sei, sich an symptomfreien Personen anzustecken. Das führte zu einer massiven Welle mit hohen Todeszahlen. Beispielsweise starb innerhalb von zwei Wochen etwa die Hälfte der Einwohner eines früher von mir betreuten Seniorenheims. Bei den meisten Maßnahmen setzt man hier auch heute noch auf Freiwilligkeit und hofft auf die Vernunft der Bevölkerung. Das führt zwar dazu, dass wir hier keine ausgebreitete Querdenkerbewegung haben, hat jedoch den Nachteil, dass wir hier mehr Todesfälle auf die Einwohnerzahl gerechnet haben als in Deutschland – und das, obwohl die Bevölkerungsdichte etwa zehnmal niedriger ist. Man sollte Schweden also nicht zu sehr idealisieren.

Wie stehen Sie als Mediziner zur Frage nach einer Impfpflicht?

Das ist eine schwierige Frage. Einen Impfzwang, in dem Sinne, dass man jemandem etwas gegen den eigenen Willen injiziert, kann und wird es nicht geben. Das ist auch gut so. Das Sanktionieren von Ungeimpften muss dahingegen naturgemäß für jede Erkrankung einzeln abgewogen werden. Eine Impfpflicht wurde in Deutschland mit dem Masernschutzgesetz bereits verwirklicht. Im Falle der Masern halte ich dies für angemessen, da es sich bei den Masern um eine extrem ansteckende und gefährliche Erkrankung handelt, gegen die es eine effektive und nebenwirkungsarme Impfung gibt.

Zu Covid-19: Die derzeitige Pandemie dominiert derzeit unser Leben und ist mit großen Einschränkungen für alle verbunden. Deswegen ist es vollkommen gerechtfertigt, Ungeimpfte beispielsweise von Veranstaltungen oder bestimmten Berufen auszuschließen, wenn dies nötig ist, um Schaden von anderen Mitmenschen abzuwenden. Ich halte es mit dem Zitat, das fälschlicherweise oft Immanuel Kant untergejubelt wird: "Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt."

Welche Hindernisse bestehen derzeit aus Ihrer Sicht, um das Vertrauen in die evidenzbasierte Medizin in der Öffentlichkeit zu stärken? Welche Rolle spielen Anbieter alternativer Heilverfahren?

"Alternative Heilverfahren" oder "Alternativmedizin" gibt es in diesem Sinne nicht. Es gibt evidenzbasierte Verfahren, die erwiesenermaßen Erkrankungen heilen oder lindern und es gibt Verfahren, deren Wirksamkeit nicht erwiesen ist. In Deutschland gibt es eine merkwürdige Tradition, Letzteren einen besonderen gesetzlichen Schutz und eine staatliche Förderung zukommen zu lassen. Ein Beispiel ist die Homöopathie. Hierbei handelt es sich um eine absurde Pseudowissenschaft, deren Wirksamkeit trotz unzähliger Studien nicht erwiesen werden konnte und bei Kenntnis der Naturgesetze nicht erwiesen werden kann. Obwohl hochpotenzierte Homöopathika keinerlei Wirkstoff enthalten, werden sie in Deutschland als Arzneimittel klassifiziert, sind apothekenpflichtig und werden teilweise von Krankenkassen bezahlt. Ein anderes Beispiel ist, dass Heilpraktiker ohne gesetzlich geregelte medizinische Ausbildung unter anderem Kinder und psychische Erkrankungen behandeln dürfen. Solange man von staatlicher Seite die Grenzen zwischen Quacksalberei und evidenzbasierter Medizin verwischt, wird es Patienten schwer fallen, diese voneinander zu unterscheiden.

Das Interview führte Florian Chefai für das Hans-Albert-Institut.

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