Covid-19-Impfung: Impfskepsis im Medizinbetrieb ist fatal

Ausgerechnet die Profis!

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Endlich ist ein Impfstoff gegen Covid-19 da. Doch ausgerechnet einige Menschen, die in Medizin und Pflege arbeiten, wollen ihn nicht haben. Wie kann das nur sein? fragt sich die Ärztin Natalie Grams in ihrer Kolumne.

Es ist so weit: Die ersten heiß ersehnten Impfstoffe gegen Covid-19 können die entscheidende Wende in der Bekämpfung der Pandemie einleiten. Nun wird doch jeder der Erste sein, vom persönlichen Impfschutz profitieren und – im besten Fall – die Übertragung des Virus auf andere bremsen wollen? Die Impfbereitschaft muss enorm sein! Tja. Weit gefehlt.

Denn tatsächlich ist die Impfbereitschaft während der Coronakrise erst einmal von nahezu 80 auf etwa 55 Prozent zurückgegangen, zeigt das Covid-19 Snapshot Monitoring (COSMO).

Fast alle medizinischen Forschungskapazitäten weltweit wurden beinahe ein Jahr lang auf die Impfstoffentwicklung gegen das Virus Sars-CoV-2 konzentriert. Andere Forschungsgebiete von hoher Bedeutung mussten zurückstecken. Und nun ist die Impfbereitschaft offenbar zu gering.

Es ist schon viel darüber geschrieben worden, warum das so ist – unter anderem von mir. Die allermeisten sind nicht aus einer "Grundsatzopposition" heraus gegenüber der Impfung skeptisch, sondern haben reale Ängste und machen sich verständlicherweise Sorgen. Oft aber nur, weil sie nicht gut informiert sind, und das können sie nachholen. Sie müssen dafür Informationsangeboten auch vertrauen, um nicht ins Irrationale und in Selbstüberschätzung à la "eigenverantwortliche Impfentscheidung" abzugleiten. Und das Vertrauen muss nicht nur gefördert werden, sondern natürlich auch gerechtfertigt sein. Dann allerdings ist eine Entscheidung gegen das Impfen – Entschuldigung – rational wenig nachvollziehbar.

Warum lässt sich medizinisches Personal so selten impfen?

Und damit kommen wir zu einem Aspekt, der mich ehrlich gesagt ziemlich ratlos zurücklässt: die mangelnde Impfbereitschaft des medizinischen Personals, also der Leute vom Fach. Menschen, die den Tod und das Leid, das Sars-CoV-2 verursacht, aus der Nähe gesehen haben. Pflegende, die den schweren, tödlichen Verlauf begleiten mussten, der vor allem Alte getroffen hat; Ärztinnen und Ärzte. Weil die Profis an "vorderster Front" tätig sind, allen voran die in der Altenpflege in Heimen, hat die nationale Impfstrategie sie zu Recht privilegiert: Sie kommen sehr früh an die Reihe und können praktischerweise zudem in der Regel "vor Ort" in ihren Einrichtungen geimpft werden.

Und gerade sie sagen dann viel zu oft: Nee, wir wollen keine Impfung. Warum nur?

Einige Mediziner und Pflegende zitieren zudem gängige, in der Allgemeinbevölkerung kursierende Gründe, die wenig stichhaltig, schwach, abstrus oder längst widerlegt sind. Also etwa die Gefahren einer angeblich "zu schnellen" Impfstoffentwicklung oder die der vermeintlich im Dunklen liegenden Nebenwirkungsrisiken. Medizinprofis sollten es besser wissen. Schön wär's. Allerdings: Wir beobachten eine Tendenz zur Impfmüdigkeit nicht nur jetzt gerade, sondern schon seit Langem bei der Influenza-Schutzimpfung. Die Impfquoten vor allem bei Pflegepersonal sind traditionell schlecht.

Ist hier ein Defizit in wissenschaftsorientierter Ausbildung und im Wissenschaftsverständnis schuld? Oder liegt es an einer fatalen, bloß gefühlten Kompetenz, einer Selbstüberschätzung, die in Gesundheitsberufen zu sehr an das eigene "Expertentum" glauben lässt? Das wäre im Moment fataler (!) denn je. Denn diese Scheinkompetenz geht mitunter so weit, das eigene fragwürdige Bauchgefühl tatsächlicher Kompetenz entgegenzustellen: der Kompetenz von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, von Gremien, die fundierte Expertise in Public Health haben und deren Aufgabe die Prüfung und Zulassung von Impfstoffen und deren empfohlener Priorisierung ist.

Letztlich verstehe ich eine Entscheidung von Menschen in Gesundheitsberufen gegen das Impfen, im Speziellen gegen die Corona-Impfung, überhaupt nicht. Sicher dürfte hier auch ein Verquickung mit anderen Problemen eine Rolle spielen, die mit dem Impfen an sich nichts zu tun haben – etwa die aktuelle Überforderungssituation des Gesundheitswesens und ein nur zu verständlicher Frust über die chronisch unhaltbare Gesamtsituation in der Pflege und in den Kliniken generell. Aber Impfgegnerschaft aus Trotz, dazu noch in Gesundheitsberufen? Und das zudem öffentlich rundheraus erklärt? Das geht über eine falsche individuelle Entscheidung weit hinaus, weil es gravierenden Einfluss auf alle verunsicherten medizinischen Laien haben kann und sie womöglich auf die Seite der Verweigerer bringt.

Man muss es so platt sagen – das können wir uns schlicht und einfach nicht erlauben. Und deshalb appelliere ich heute einmal ganz ausdrücklich an alle, die in Gesundheitsberufen tätig sind: Tragt nicht mit öffentlich vorgetragener Impfskepsis oder -verweigerung zur Verunsicherung der Allgemeinheit bei! Tut das Gegenteil, beseitigt eure eigenen Zweifel durch Wissenserweiterung – und klärt auf. Kaum jemand hat mehr Möglichkeiten zur fachlich fundierten Information als ihr. Doch ebenso hat kaum jemand mehr Verantwortung dafür, dieses Wissen und diese Informationen auch weiterzugeben und Vertrauen zu bilden.

Impfverweigerung im Medizinbetrieb setzt ein fatales Signal

Aufklärung und Professionalität sind das Gebot der Stunde. Das ist die Aufgabe für die medizinisch und pflegerisch Berufenen und Ausgebildeten. Überlassen wir Desinformation und Unsinn den Querdenkenden. Mit einem zugelassenen Vakzin geimpft zu werden, macht einen zum Privilegierten, nicht zum "Versuchskaninchen" – das waren zehntausende Freiwillige vor der Zulassung. Helfen wir mit, das Impfvertrauen zu stärken und diese Pandemie zu bewältigen!

Das kann klappen, denn es gibt Grund zur Hoffnung – nicht nur auf weitere neue Covid-Impfstoffe, sondern auch auf die Bereitschaft, sie einzusetzen: Die neuesten Daten des oben zitierten COSMO-Monitorings deuten immerhin auf einen zwar erst kurzlebigen, aber doch klaren Aufschwung der Impfbereitschaft in allen Teilgruppen. Das hängt wohl mit dem tatsächlichen Beginn der Impfkampagne zusammen. Hoffen wir das Beste. Oder, besser als nur Hoffnung: Werden wir konkret, denken wir eine evidenzbasierte Impfberatung auch für Gesundheitsfachberufe an, quasi einen ganz neuen Beruf – und machen wir damit die Krise zur Chance.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von spektrum.de.

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