Gerichtsurteil:

Recht auf Suizidhilfe – aber kein Recht auf Kauf von Natrium-Pentobarbital

Schwerkranke haben auch laut aktuellem OVG-Urteil kein Anrecht darauf, das todbringende und bisher in Deutschland nicht verschreibungsfähige Suizidmedikament Natrium-Pentobarbital zu erwerben. Erst eine gesetzliche Änderung im Betäubungsmittelrecht könne Abhilfe schaffen.

Danach kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn nicht verpflichtet werden, schwerkranken Menschen, die den Entschluss zum Suizid gefasst haben, den rezeptfreien Kauf des in Deutschland nicht verschreibungsfähigen Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben.

Geklagt hatten zwei Männer aus Rheinland-Pfalz beziehungsweise Niedersachsen und eine Frau aus Baden-Württemberg, die jeweils an verschiedenen schwerwiegenden Erkrankungen leiden, wie Multiple Sklerose und Krebs. Verlangt haben sie vom BfArM, ihnen jeweils eine Erlaubnis zum Kauf von 15 Gramm Natrium-Pentobarbital in einer Apotheke zu erteilen, um mithilfe dieses Barbiturats ihr Leben zu beenden. Sie berufen sich auf das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Dieses entschied vor nunmehr bald fünf Jahren, dass der Staat in extremen Ausnahmefällen unheilbar kranken Patienten einen Anspruch auf Medikamente zur schmerzlosen Selbsttötung nicht verwehren darf. Mit "Staat" war hier das Bundesinstitut gemeint, welches dem Bundesgesundheitsministerium nachgeordnet ist. Der damals zuständige Jens Spahn intervenierte jedoch und sorgte dafür, dass alle entsprechenden Anträge abgelehnt wurden.

Der Versagungsgrund für die Erlaubnis zum Erwerb

Nun hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen gestern in Münster gegen die Kläger*innen entschieden und damit ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln bestätigt. Schon dieses hatte in erster Instanz ihre Klagen mit demselben sogenannten "gesetzlichen Versagungsgrund" abgewiesen. Dieser besagt: Der Erteilung der beantragten Erlaubnis stehe zwingend Paragraf 5 Absatz 1 Nummer 6 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) entgegen. Nach dieser Norm ist die Erlaubnis zu versagen, wenn ein beantragtes – womöglich giftiges oder extrem süchtig machendes – Mittel zu anderen Zwecken als denen des BtMG verwendet werden soll. Und diese Zweckbestimmung lautet, dass Arzneimittel nur zur "notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung" zu nutzen sind. Betäubungsmittel zur Selbsttötung dienten aber gerade nicht dazu, diese Versorgung sicherzustellen, so das OVG, da sie dann keine therapeutische Zielrichtung hätten, das heißt Krankheiten zu heilen oder Beschwerden zu lindern.

Natrium-Pentobarbital ist zur oralen Selbsttötung (also im Trinkbecher) nicht das einzige, aber am einfachsten und besten geeignete Arzneimittel. Ob sein prinzipieller Zugang durch Verschreibung ermöglicht werden soll, müsse in Zukunft der Bundestag in einem Suizidhilfegesetz entscheiden. Tatsächlich enthält jeder der drei zirkulierenden fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfe – ob restriktiv oder liberal – einen solchen Änderungspassus des BtMG. Denn ohne diesen könnte der Forderung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom Februar 2020 in der ärztlichen Umsetzung gar nicht entsprochen werden.

Klägeranwalt: Wir gehen bis in die letzte Instanz

Die Versagung einer Erwerbserlaubnis führe außerdem nicht dazu, führten die Münsteraner Richter*innen weiter aus, dass Suizidwillige nunmehr ihr Recht auf Selbsttötung nicht wahrnehmen könnten. Es gebe genug Alternativen, die nach aktueller Rechtslage (seit 2020) mittels freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe zugänglich wären. Soweit Mediziner*innen beziehungsweise Sterbehilfeorganisationen in Deutschland kein Natrium-Pentobarbital als Mittel zur Selbsttötung einsetzten, stünden andere verschreibungspflichtige und -fähige Arzneimittel zur Verfügung.

Oral einzunehmende Medikamentencocktails sind in der Regel auch wirksam erprobt, haben aber den Nachteil, dass ihre individuelle Dosierung quasi in Form von "Kochrezepten" weitergegeben wird, also keinen medizinisch akzeptablen Standards entspricht. Hingegen könnte bei einer sicher erlangten Todeswirkung von 15 Gramm Natrium-Pentobarbital die Rezeptierung von jedem Arzt ohne weiteres vorgenommen werden. In der Praxis ist von suizidhilfewilligen Palliativärzt*innen und auch von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) in Kooperation mit der Sterbehilfeorganisation Dignitas inzwischen das als Narkosemittel zugelassene Barbiturat Thiopental (Handelsname: Trapanal) als sehr geeignet "entdeckt" worden. Dies setzt allerdings eine ärztlich zu legende Infusion voraus, die dann vom Suizidenten selbst aufzudrehen ist.

Der Klägeranwalt im Prozess vor dem OVG NRW in Münster Robert Roßbruch, Präsident der DGHS, vertritt allerdings die Auffassung, es müsse "einem schwerkranken Suizidwilligen die Möglichkeit eröffnet werden, eine letale Dosis eines Betäubungsmittels legal in einer Apotheke erwerben zu können." Laut SWR hatte er im Vorfeld angegeben, mit einem Scheitern vor dem OVG zu rechnen und angekündigt, bis zur letzten Instanz gehen zu wollen. Denn er sehe für seine schwerkranken Mandanten keine andere Möglichkeit, als "vor den Verwaltungsgerichten letztinstanzlich zu obsiegen". Einig seien sich, wie der Spiegel berichtet, Gericht und Klägeranwalt allerdings darin, "dass das Bundesinstitut das Problem ohnehin nicht lösen könne", sondern dass statt eines staatlich erlaubten Apothekenverkaufs es in Zukunft Ärzt*innen erlaubt sein müsse, Natrium-Pentobarbital zu verschreiben. Laut Tagesspiegel will daran auch der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach festhalten und verweist auf die im Koalitionsvertrag beabsichtigte Gesamtregelung der Suizidhilfe.

Das Leiden der Kläger*innen

Insofern stellt sich die Frage, ob es für die Kläger*innen überhaupt zumutbar ist, weiter für einen vielleicht doch noch erfolgreichen Urteilsspruch gegen das BfArM zu kämpfen. Zu ihnen zählen:

  • Ein 51 Jahre alter Mann, der seit mehr als 20 Jahren an Multipler Sklerose leidet und als Bettlägeriger rund um die Uhr betreut werden muss. Er war auch im Gerichtssaal anwesend.
  • Eine 69-Jährige, die neben weiteren multiplen Erkrankungen seit zehn Jahren mit einem bösartigen Tumor im Bauch lebt und nach neun Operationen am Ende ihrer Kräfte ist, wie ihr Anwalt mitteilte.
  • Ein 77-Jähriger, der neben Krebs auch an einer Herzerkrankung leidet.

Laut SWR sprach Gudrun Dahme, Vorsitzende Richterin in dem Verfahren, zum Auftakt der mündlichen Verhandlung von ethisch schwierigen Fällen. "Allerdings nicht unbedingt rechtlich", sagte Dahme in Richtung des im Spezialrollstuhl sitzenden Klägers. "Wir müssen aber juristisch entscheiden", so die Richterin. Sie räumte dabei ein, dass es allerdings zweifelhaft sei, ob dieses im Betäubungsmittelgesetz enthaltene generelle Verbot mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Es sei nunmehr staatliche Aufgabe, dieses zu ändern.

Als 2019 immer noch kein einziger unheilbar Kranker die beantragte Erlaubnis erhalten hatte, Natrium-Pentobarbital über ein dem Bundesgesundheitsministerium nachgeordnetes Institut zu erwerben, war es verdienst- und überaus sinnvoll: Rechtsanwalt Robert Roßbruch vertrat die Antragsteller*innen dagegen im Namen der DGHS vor Gericht. Grundlage war der Urteilsspruch des Bundesverwaltungsgerichts vom März 2017, welcher eben eine Ausnahmeregelung für die Bereitstellung des Suizidmittels Natrium-Pentobarbital in Extremfällen vorsah. Denn damals war es durch den Paragrafen 217 StGB für Suizidwillige selbst bei schwerstem, nicht mehr zu linderndem Leiden völlig aussichtslos, offiziell medikamentöse Hilfe zum Freitod zu erhalten.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Februar 2020, welches den Suizidhilfeverbotsparagrafen 217 kippte und nunmehr auch für Nichtkranke das Recht auf Suizidhilfe vorsieht, stellt sich die Situation allerdings grundlegend anders dar: Heute könnte es quasi als Rückschritt gelten, wenn nur mit Bezug auf den extremen Ausnahmefall qualvollen Leidens das Suizidhilfemittel Natrium-Pentobarbital zu erhalten wäre. Zudem wies das Bundesverfassungsgericht dann schon im Dezember 2020 eine Beschwerde von suizidwilligen Patienten mit der Begründung der jetzigen Nichtigkeit des Paragrafen 217 StGB zurück: Es habe sich seitdem gezeigt, "dass ein Kreis medizinisch kundiger Personen existiert, der zu entsprechenden Verschreibungen … bereit und dazu … nunmehr auch befugt wäre" (AZ 1BvR 1837/19).

Sollte angesichts dessen überhaupt ein erneutes Revisionsverfahren für die schwerstkranken Kläger*innen gegen das BfArM angestrengt werden, was kaum Hoffnung auf eine schlagartige Verbesserung ihrer Lage mit sich bringt? Sollte ihnen nicht vielmehr sofort mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln und Methoden – auch ohne Natrium-Pentobarbital – ein selbstbestimmtes humanes Sterben ermöglicht werden? Man möchte meinen, sie haben wahrlich auch durch die unsäglich hinausgezögerten Antragsverfahren unter Gesundheitsminister Spahn mehr als genug Hoffnungsbangen ertragen müssen.

Unterstützen Sie uns bei Steady!