Schleswig-Holsteinische Pastoren waren überwiegend Nazis

"Rund 80 Prozent der Pastoren waren NS-konform", stellt Dr. Helge-Fabien Hertz in seiner Studie fest, die heute als Buch erscheint und am Mittwoch in Hamburg vorgestellt wird. Der Historiker, der an der Uni Kiel lehrt, hat alle 729 schleswig-holsteinischen Pastoren der NS-Zeit auf ihre Hitlertreue untersucht. Auf einem neuen Onlineportal kann man sie einsehen.

Über 1.700 Seiten verteilen sich auf drei Bände. Das ist das Ergebnis einer fünfjährigen Untersuchung von Dr. Helge-Fabien Hertz. Der Historiker von der Uni Kiel hat flächendeckend alle schleswig-holsteinschen Pastoren der evangelischen Kirche unter die Lupe genommen, die während des Dritten Reichs im Amt waren. "Im Ergebnis muss man feststellen", sagt Hertz, "dass rund 80 Prozent der Pastoren NS-konform waren." Gleichzeitig ist es ihm aber auch wichtig zu betonen, dass es Geistliche im gesamten Positionierungsspektrum gegeben hat. "Es gab alles: vom Widerstand bis hin zu massiver Kollaboration."

"Aufseiten der Kollaborateure", erklärt Hertz, "wäre beispielsweise Pastor Boye Gehrckens zu nennen. Gehrckens ist schon 1930 sowohl der NSDAP als auch der SA beigetreten." Dies wäre drei Jahre vor Hitlers Machtergreifung besonders aussagekräftig. "Außerdem sind für Gehrckens stark nationalsozialistisch geprägte Predigten nachweisbar. Das ist wichtig zu betonen, weil Pastoren durch ihr Amt einen Einfluss auf die Gemeinde hatten. Wenn ein Pastor dabei Hitler in eine Reihe mit Jesus und Luther stellt, dann hat das natürlich eine gewisse Wirkung."

"Aufseiten des Widerstands", führt Hertz weiter aus, "gibt es nur sehr wenige Beispiele." Diese Fälle wären aber besonders beeindruckend. "Ein Pastor, den ich hier am liebsten erwähne, ist Pastor Friedrich Wilhelm Slotty. Er war in St. Michaelisdonn tätig und hat sich für die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger eingesetzt. In seinen Predigten hat er Adolf Hitler kritisiert."

Hertz' gedruckte Buchausgabe in einer Vorabillustration. ISBN: 9783110760835, Foto: © RegionalDigital GbR
Hertz' gedruckte Buchausgabe in einer Vorabillustration. ISBN: 9783110760835, Foto: © RegionalDigital GbR

Dr. Hertz' dreibändige wissenschaftliche Buchausgabe trägt den Titel "Evangelische Kirchen im Nationalsozialismus – Kollektivbiografische Untersuchung der schleswig-holsteinischen Pastorenschaft". Das Werk ist bei De Gruyter Oldenbourg zum Preis von 299 Euro erschienen.

"Der Umfang der Bücher kann erst einmal erschlagen", räumt Hertz ein. Deshalb wurde für Interessierte, die um die Verhältnisse in ihrer Heimatgemeinde wissen wollen, das Rechercheportal pastorenverzeichnis.de eingerichtet. "Die Resonanz ist mit über 15.000 Besuchern im ersten Monat groß", erklärt Hertz.

Von Anfang an wurde Hertz' Forschungsvorhaben, aber auch das Pastorenverzeichnis, von der evangelischen Nordkirche unterstützt und auch mitfinanziert. Zur Wirkung der Studie gibt es bislang noch keine Aussagen. "Wir stehen noch am Anfang eines Diskurses", erklärt Hertz. "Was man jedoch sagen kann, ist, wie wohlwollend die Studie innerhalb der Leitungsebene der Nordkirche aufgenommen wurde." Auch aus den Kirchengemeinden habe es viel Lob gegeben. Vereinzelte Kritik käme einzig von den Nachfahren der untersuchten Pastoren, die insbesondere das Pastorenverzeichnis im Internet kritisch sähen.

Am kommenden Mittwoch um 19:00 Uhr stellt Hertz sein Buch in Hamburg vor. Die offene Veranstaltung findet im großen Gemeindesaal der Christus-Kirche in Hamburg-Wandsbek statt. Zu NS-Zeiten fanden sich hier Kreuz und Hakenkreuz auf gleicher Höhe rechts und links des Altars. Sie waren mit dem zentralen Satz "Unser Glaube ist der Sieg" überschrieben und wurden gemeinsam angebetet.

Neben Hertz als Hauptreferent wird unter anderem auch dessen Doktorvater Prof. Rainer Hering am 6. April in Wandsbek sprechen. Von dessen Arbeiten war Hertz einst zu seiner Untersuchung inspiriert worden. "Antisemitismus und Kirche passten für mich eigentlich nicht zusammen", erklärt Hertz, "doch während meines Studiums besuchte ich das Seminar von Prof. Rainer Hering. Da ging es um Antisemitismus in Norddeutschland und auch um die Rolle der Kirchen dabei. So bin ich auf das Thema gekommen."

Hertz betont, dass die Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit nicht nur die Kirche, sondern viele Einrichtungen und auch die Universitäten etwas angehe.

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