Religionsgemeinschaften bieten Seelsorge in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen an. Humanistische Organisationen diskutieren darüber, inwieweit analog zur religiösen Seelsorge in diesen Bereichen auch eine nicht-religiöse, humanistische Lebensberatung angeboten werden sollte – und wie man diese nennen soll. Thomas Heinrichs plädiert dafür, eine solche humanistische Lebensberatung keinesfalls "Seelsorge" zu nennen.
Eine soziale, von einem humanistischen Ethos getragene Tätigkeit ist ein wesentlicher Schwerpunkt des zivilgesellschaftlichen Engagements der humanistischen Verbände. Diese Tätigkeit entfalten die Verbände unter anderem im Bereich der Kindererziehung, der Jugendarbeit, der Alten- und Armenhilfe, der Konfliktberatung oder der Begleitung Kranker, Sterbender und Trauernder, um nur die wichtigsten Felder zu nennen. Die Verbände nutzen dabei zumeist ihre Stellung als den Religionen gleichgestellte profane Weltanschauungsgemeinschaften, um für diese sozialen Tätigkeiten, die auch von den Religionen ausgeübt werden, staatliche Fördergelder zu erhalten. Das ist sinnvoll.
Zu den Bereichen, in denen der Staat die Religionen fördert, gehört auch die sogenannte "Anstaltsseelsorge". Dabei handelt es sich um einen in Artikel 141 der Weimarer Reichsverfassung geregelten Bereich aufsuchender Seelsorge, der durch Artikel 140 GG ins Grundgesetz übernommen wurde. Inzwischen werden neben den christlichen Kirchen auch die Juden und Muslime hierbei berücksichtigt und finanziell gefördert.
Für die humanistischen Verbände stellt sich die Frage, ob sie auch hier tätig sein wollen und wenn man dies bejaht, wie man die eigene Tätigkeit in diesem Bereich benennt. Können humanistische Weltanschauungsverbände "Seelsorge" betreiben?
Artikel 141 WRV benennt die Seelsorge im Heer, in Krankenanstalten, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten (z. B. kasernierte Polizei). Da die Insassen solcher Anstalten diese nicht einfach so verlassen können, garantiert Artikel 141 WRV, dass die Religionsgemeinschaften ein Zugangsrecht haben, um dort ihre Mitglieder betreuen zu können. Dieses Recht haben über den allgemeinen Gleichstellungsgrundsatz aus Artikel 137, Absatz 7 WRV auch die Weltanschauungsgemeinschaften.
Dass die humanistischen Verbände eine solche Betreuungsmöglichkeit für konfessionsfreie humanistisch orientierte Bürger anbieten sollten, ist für Krankenhäuser und Strafanstalten unstrittig. Hinsichtlich der Betreuung von Soldaten ist strittig, in welcher Form dies geschehen sollte, ob man dazu wie im bestehenden System der Soldatenseelsorge angestellte Betreuer in der Bundeswehr möchte oder lieber eine externe Beratung durch eigene, nicht in die Bundeswehr integrierte Berater durchführt. Um diese Frage soll es hier jedoch nicht gehen (vgl. dazu den Artikel des Autors beim hpd: "Der HVD in der Bundeswehr?").
Im folgenden geht es um die Frage, wie man diese – einmal möglichst neutral formuliert – "humanistischen Lebensberater" und ihre Tätigkeit nennt. Hierzu wird von Einigen in den Verbänden die Position vertreten, diese humanistischen Lebensberater als "humanistische Seelsorger" zu bezeichnen und ihre Tätigkeit entsprechend als "humanistische Seelsorge".
Um beurteilen zu können, ob dies aus einer weltanschaulichen Perspektive ein sinnvoller Name für eine solche Tätigkeit sein kann, muss man klären, was der Begriff der "Seele" bedeutet, was heute die Tätigkeit der "Seelsorge" ist und generell muss man wissen, auf welchem sozialen Feld man sich mit einer solchen Tätigkeit heute bewegt.
Eine kurze Geschichte des Seelenbegriffs
"Seele" ist ein sehr alter Begriff. In unserem Kulturraum kommt er aus dem Griechischen. "Psychein" ist der Hauch. Die Seele ist der Hauch, der den Körper im Moment des Todes durch den Mund oder Wunden verlässt. Seele ist damit ein Begriff, der eine Wissenslücke füllt. Vor Entstehung der modernen Naturwissenschaften wussten die Menschen nicht, wie das Leben funktioniert. Offensichtlich besteht aber ein grundlegender Unterschied zwischen belebter und unbelebter Materie. Diesen Unterschied füllte man mit dem Konzept der Seele. Die Seele ist daher so etwas wie das Lebensprinzip, das, was aus unbelebter Materie belebte Materie macht und das, was verloren geht, wenn aus belebter Materie wieder unbelebte Materie wird. Leben ist beseelt. In dieser Bedeutung finden wir den Seelenbegriff in der Philosophie und in der christlichen Theologie bis in die Neuzeit. Schon im alten Testament steht: "Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen" (Genesis 2,7, Übersetzung Lutherbibel 2017).
Ob die Seele dabei materiell oder immateriell sei, ob sie sterblich oder unsterblich sei, an die Person gebunden oder nicht, darüber wurde in der Geschichte der Philosophie und Theologie vielfach gestritten. Selbst in der christlichen Theologie gab es Positionen, die von einer körperlichen und sterblichen Seele ausgingen. Darauf kommt es aber nicht an. Der Begriff der Seele war ein Platzhalter für das mangelnde Wissen über das Leben.
Damit hatte der Seelenbegriff die gleiche Funktion wie etwa die Begriffe des "Phlogiston" und des "Äthers". Auch diese Begriffe füllten eine Wissenslücke, die vor der Entstehung der Naturwissenschaften bestand. Das "Phlogiston" war der "Brennstoff", der nach damaliger Annahme bei jedem Verbrennungsvorgang den Substanzen hinzugefügt wurde, um den Verbrennungsprozess zu bewirken. Mit der Entwicklung der Chemie und der Kenntnisse der Oxidation gab es für diese Hilfskonstruktion keinen Bedarf mehr. Als die Kenntnisse über das Sonnensystem und den Weltraum zunahmen, konnte man sich nicht vorstellen, dass es einen leeren Raum geben könnte. Also nahm man an, zwischen den Sternen und Planeten befinde sich der "Äther", der den interstellaren Raum fülle. Auch diese Hilfsthese wurde mit der Weiterentwicklung der modernen Physik überflüssig.
Genau so ist es auch mit der Seele. Mit der Entwicklung der Biologie begann man ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu verstehen, wie Leben funktioniert. Für den Begriff der Seele gab es daher keinen Bedarf mehr. Er wurde daher auch in der Philosophie und den Wissenschaften aufgegeben. Seine Bedeutung begann sich zunächst hin zum "Ich", "Ich-Bewusstsein", "Willen" zu verschieben. Letztlich ersetzten diese Begriffe dann den Begriff der Seele.
An die Stelle der metaphysischen Seelenvorstellung trat ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die wissenschaftliche Psychologie. Albert Friedrich Lange forderte in seiner "Geschichte des Materialismus" (1866), in der er die philosophischen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Zeit darstellt, eine "Psychologie ohne Seele" (Kapitel: "Die naturwissenschaftliche Psychologie").
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist Seele damit nur noch ein religiöser Begriff. An die Stelle des Seelenbegriffes trat in der modernen Philosophie und Psychologie der Begriff des Ichs – auch der Person, des Selbst, des Bewusstseins, des Subjekts. Die "Psychologie wurde die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen" (Werner Stangl, 2022, Seele. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik; Abruf 03.07.22). In vielen psychologischen Lexika findet sich der Begriff Seele nicht.
Natürlich geht ein solcher Vorgang nicht geradlinig von statten. Neben modernen Begriffen und wissenschaftlichen Ansätzen findet man lange immer noch Reste vorwissenschaftlicher und religiöser Vorstellungen, insbesondere auch bei Freud. Mit ihm entsteht zum ersten Mal eine wissenschaftlich geprägte Praxis des therapeutischen Umgangs mit psychischen Problemen. Für seine theoretische Begrifflichkeit greift Freud aber teilweise noch auf das alte theologisch geprägte Seelenkonzept zurück: "An seinen Briefpartner Graddeck schrieb Freud: 'Es scheint mir ebenso mutwillig, die Natur durchwegs zu beseelen, wie sie radikal zu entgeistern. Lassen wir ihr jedoch ihre großartige Mannigfaltigkeit, die vom Unbelebten zum organischen Belebten, vom Körperlichlebenden zum Seelischen aufsteigt.'" – "In Freuds 'Modell der Seele' fließen spätromantische Traditionen ein, es finden sich Gedanken der 'romantischen Medizin', die er mit größter Selbstverständlichkeit mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verbindet" (Hartmann Hinterhuber, Freud und sein Seelenapparat, in: Die Seele. Springer, Wien, 2001, S. 141–145, hier S. 142; Abruf 03.07.22).
Heutige Verwendung nur noch im religiösen Bereich
In der Religion blieb der Seelenbegriff erhalten. Dies liegt daran, dass der Seelenbegriff in der Religion mit dem Gottesbegriff untrennbar verknüpft ist. Gott schuf nach dem religiösen Weltbild den Menschen und hauchte ihm seinen göttlichen Odem ein: die Seele. Zwar hat sich die christliche Religion im Prozess ihrer Säkularisierung vom göttlichen Schöpfungsmythos verabschiedet, weil auch diese Hilfskonstruktion nach der Entwicklung der Evolutionsbiologie nicht länger haltbar war, vom Seelenbegriff konnte und kann sich die christliche Theologie aber nicht verabschieden, da die Seele die Verknüpfung zwischen Gott und Mensch garantiert und damit das Unsterbliche am Menschen sein soll. "Die Unterscheidung v. Leib u. S." ist "theologisch unaufgebbar" (Gisbert Greshake, Stichwort Seele, VI Systematisch-theologisch, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg/Basel/Wien 2009, Bd. 9, Sp. 378f, hier Sp. 378). "Seele" ist daher seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ein religiöser Begriff geworden: "Dabei bildet die Annahme, mentale Zustände könnten über den Tod hinaus Bestand haben, das Zentrum des Seelenbegriffs" (Werner Stangl, 2022, Seele. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik; Abruf 03.07.22).
Wie immer im Prozess der Säkularisierung greifen die Religionen ab dem 19. Jahrhundert nun die modernen Entwicklungen auf und versuchen diese in ihre theologischen Konzepte zu integrieren, um anschlussfähig zu bleiben. Dies trifft auch auf den religiösen Seelenbegriff zu. Die christliche Theologie entwickelt einen neuen Seelenbegriff, der im Gegensatz zu der Tradition vor dem 20. Jahrhundert nun erstmals in Aufnahme der modernen säkularen Entwicklungen auf die "Sinnbezogenheit, Innerlichkeit u. Intentionalität der menschlichen Person" abstellt. Dieser Seelenbegriff wird im Kontext des "therapeut. Paradigma einer heilenden Seelsorge entwickelt" (Laurtentius Koch, Stichwort Seele, VII Praktisch-theologisch, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg/Basel/Wien 2009, Bd. 9, Sp. 379f, hier Sp. 379).
Der aktuelle theologische Seelenbegriff entwickelt sich im Kontext einer Reform des Seelsorgekonzepts, die ihren Ausgang in der Mitte des 20. Jahrhunderts hatte. Heute wird religiöse Seelsorge als "Gesprächsseelsorge" betrieben, bei der es um die zwischenmenschlichen Beziehungen geht, und als heilende, therapeutische Seelsorge, "die den einzelnen im Horizont der Liebe Gottes unter Einbeziehung psychol. Kompetenz zu vertiefter Selbstakzeptanz verhelfen u. seine Gemeinschaftsfähigkeit stärken möchte" (Phillip Müller, Stichwort Seelsorge, I Begriff und Formen, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg/Basel/Wien 2009, Bd. 9, Sp. 383f, hier Sp. 383). Ganz bewusst werden moderne psychologische und soziologische Kenntnisse und Praktiken einbezogen. Aktuelle Seelsorge ist zu einem erheblichen Teil eine religiös angereicherte Gesprächs- beziehungsweise Psychotherapie.
Diese Anreicherung führt jedoch zu einem Qualitätsverlust. Moderne Gesprächs- und Psychotherapien lassen sich nicht einfach mit religiösen Elementen verbinden. Zu Konzepten, die von der Autonomie des Menschen ausgehen, lässt sich die Abhängigkeit von einer nicht diesseitigen Instanz nicht reibungslos hinzufügen. Entweder muss ich mit mir und meinen Mitmenschen selber klarkommen oder ich muss mich gegenüber einer göttlichen Instanz positionieren. Beides ist jeweils ein anderes Konzept vom Menschsein. Je nachdem, von welchem Konzept ich ausgehe, habe ich einen grundsätzlich anderen Ansatz im Umgang mit sozialen und psychischen Problemen.
Dieser Qualitätsverlust gegenüber professionellen Therapie- und Beratungskonzepten zeigt sich auch an der Art der praktizierten religiösen Seelsorgeausbildung. Sie ist "learning by doing" (Karl Frielingsdorf, Stichwort Seelsorgeausbildung, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg/Basel/Wien 2009, Bd. 9, Sp. 388f, hier Sp. 388).
25 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Es kommt doch darauf an, wie man „Seele" definiert und was man ihr für Eigenschaften zuspricht. Für mich als Humanist ist die Seele die Summe aller meiner Empfindungen.
thomas heinrichs am Permanenter Link
Wenn Sie für sich meinen, dass Sie eine Seele haben, ist das völlig in Ordnung. Ob man das damit gemeinte für sich Seele, Person, Ich oder anders nennt, ist egal.
Roland Fakler am Permanenter Link
Ok, muss ich zustimmen, "Seelsorge" ist ein religiöser, sogar kirchlicher Begriff.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Lieber Roland, das Problem liegt m.E. darin, dass die Begriffe Seele, Seelsorge u.ä. eindeutig religiös konnotiert sind. Ich benötige so etwas nicht.
Stattdessen den Begriff Seelsorge undurchsichtig umzudefinieren und damit quasi zu übernehmen, erscheint mir etwas wie Trittbrettfahrerei, die ich mir nicht antun möchte. Ich habe diesen ganzen irrationalen religiösen Klumpatsch vor Jahren komplett über Bord geworfen.
Sry, ist vllt. etwas kurz.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Folglich sollte statt "Seelsorge" der Begriff Human-beistand angeboten werden, der Begriff "Seele" ist christlich besetzt und bezeichnet ein imaginäres Gefühl welches nicht rational
Echten Beistand kann nur Humanismus leisten, da er frei von geschäftsmäßigem handeln
ist sondern nur als Hilfsbereitschaft angeboten wird.
David Z am Permanenter Link
Interessante Gedanken.
Ich würde das Wort "Seele" nicht notwendigerweise religiös definieren, zumindest heutzutage hat es doch einen sehr weitläufigen Bedeutungsgehalt und drückt im weitesten Sinne (Wohl-) Befinden aus.
"Das tut der Seele gut"
"Einfach mal die Seele baumeln lassen"
Usw
Mit "Humanistischer Seelsorge" hätte ich folglich kein Problem. Ich kann aber verstehen, wenn man versucht, den religiösen Kontext, auch wenn er sich nur andeutet, zu vermeiden.
Sachlich wäre wahrscheinlich "Therapie" am naheliegensten. Aber das wiederum klingt iwie zu medizinisch.
Roland Fakler am Permanenter Link
Die Christen haben weitgehend die fantastischen Seelenvorstellungen Platons übernommen, nach denen die unsterblichen Seelen, göttlichen Ursprungs, im Äther bereits seit Ewigkeit vor der Geburt existieren, sich die Kör
Ludwig Lauer am Permanenter Link
"Was stärkt meine Seele? Psychologische Schmerzbewältigungsstrategien können hilfreich sein. " So lautet der Anfang eines Artikels in "Diabetes Ratgeber" ("Bezahlt von Ihrer Apotheke ").
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Seele ist wegen der christlichen "Seelsorger" (Seelen-be-sorger für ihre Kirchen) ein religiöser Begriff. Daher stimme ich dem Autor zu.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Bin ganz der Meinung, wie sie im Artikel formuliert ist. Der Begriff der Seele ist derart religiös kontaminiert, dass er auch in dem Wort „Seelsorge“ eine falsche Assoziation auslöst.
Ich möchte sogar überspitzt formulieren: Das Wort Seelsorge ist de facto nicht weit von Seelenklempnerei entfernt. Dies zeigt das Zitat aus immanuel.de.
z.B. „was seelisch in Patienten vorgeht“ das legt offen, wie man da im Ungefähren herumstochert. Das erinnert an Freud, dessen Lehren in der neuesten Ausgabe des „Skeptiker“ als Pseudowissenschaft entlarvt werden. Lässt man in dieser Aussage das „seelisch“ mal weg, hat man alles gesagt, was es zu sagen gibt.
„halten Schweres, Leidvolles, Unerträgliches mit aus“ das ist ein uneinlösbares Versprechen; und was sollte das bringen, so zu tun als ob man selbst auch Krebs hätte ? Das Leid(en) eines anderen nachzuäffen und das dann Mitleid(en) nennen ? Darauf kann ich verzichten, wenn ich krank bin.
Und dass die kultischen Handlungen in der Realität nichts bewirken zeigt sich in den aktuellen Krisen überdeutlich; sie können lediglich die in früher Kindheit eingeübte falsche Geborgenheit vermitteln. Dies aber eben nur bei immer noch religiösen Menschen, die sich nicht von ihrem Kuscheltier GOTT oder JESUS oder MARIA lösen können.
Fazit für mich: jemand, der mir bei den bürokratischen und organisatorischen Problemen hilft, die eine schwere Krankheit mit sich bringt, ist zehnmal mehr wert als ein Seelenklempner welcher Weltanschauung auch immer.
Ralf Osenberg am Permanenter Link
Ich tue mich ebenso schwer mit dem Begriff Seele und Seelsorge wie der Autor.
Trotzdem würde ich den Begriff Seelsorge allenfalls im Untertitel eines solchen humanistischen Angebots verwenden (vielleicht in Anführungszeichen?).
Eine genauso griffige Bezeichnung zu finden wird nicht leicht.
Von „...-therapie“ würde ich abraten. Da assoziiere ich Homöopathen die glauben Ärzte zu sein. Es geht doch eher um einen Dialog mit einem bedrängten Menschen. Vielleicht kommt man mit dem Begriff Empathie weiter.
Es wird nicht einfach.
Dr. Horst Groschopp am Permanenter Link
In dem dafür besonders geeigneten, dem HVD so überaus freundlich gesinnten Medium hpd, hat Thomas Heinrichs eine säkularistische Generalabrechnung mit den mehr als zwanzigjährigen konzeptionellen Bemühungen vorgelegt,
Selbstverständlich hat sich (wenn auch erst historisch spät) die Theologie des Begriffs bemächtigt und ihm eine eigene Erklärung gegeben, die Dank der Macht der Kirchen, auch in der sozialhelfenden Praxis, den Eindruck erweckt, er käme von da. Aber das wird doch fälschlicherweise für Vieles behauptet. Als Gegenkonzept wirken auf der anderen Seite noch immer freidenkerische Traditionen nach, in denen es, wenn es keine Seele gibt, auch keine Seelsorge geben kann. Philosophische Reinheit versus kulturelle Verständlichkeit einer humanitären Praxis. Wie soll das Kind nun heißen? Worin sollen Sterbende „beraten“ werden?
Dass mit Anfang des 20. Jahrhunderts Seele ein religiöser Begriff geworden sei, dem widerspreche ich entschieden, nicht nur wegen des letzten Vierteljahrhunderts und den „Aufweichungen“ innerhalb eines „Christentums light“. Es hat nämlich nach 1892 bis in die 1920er in den deutschsprachigen Ländern Europas, aus den USA kommend, eine ethische Kulturbewegung gegeben mit einer eigenen humanitären Praxis und dem Begriff der „weltlichen Seelsorge“ (Wilhelm Börner). Es ist das Problem des Autors und wohl der Praxisverantwortlichen in humanistischen Organisationen, dass ihnen dieses historische Erbe, die eigenen Anfänge, die damit verbundenen geistigen Anstrengungen sowie die damalige Berufung auf eine humanistische Ethik und das Beharren in dem Wunsch, ein „Leben ohne Kirche“ zu führen, bislang unbekannt geblieben sind.
Das hat nun wieder damit zu tun, dass Nationalsozialismus und Kirchen nach 1933 in Deutschland und dann in Österreich dieses Tun theoretisch, praktisch und vor allem personell „überwunden“ haben und diese konservative Tradition des Antihumanismus nach 1945 im Westen fortsetzten, vor allem auch, weil wesentliche Begründer dieser Praxis säkulare Juden waren, vor allem junge Jüdinnen, die „Zedaka“ humanistisch deuteten.
Aus dem Urlaub,
Horst Groschopp
Petra Pausch am Permanenter Link
Ach Herr Groschopp, weshalb der Seitenhieb im ersten Satz? Teil des hpd-Vereines ist auch der HVD BB - schon vergessen?
Aber um mal zur Sache zu kommen: Glauben Sie allen Ernstes, dass Ihre - sicherlich richtige - theoretische und geschichtliche Abhandlung irgendwen außerhalb einer kleinen, universitären Blase interessiert? Schauen Sie sich die Kommentare hier an: Für den Großteil der Menschen ist der Begriff „Seele“ nun einmal theologisch aufgeladen - ob das Theoretikern nun passt oder nicht.
Man macht keine Politik (oder bessert: sollte sie nicht machen) an den Menschen vorbei. Das führt zu Irritationen. Genau zu denen, die Heinrichs in seinem Artikel benennt. Im Elfenbeinturm der Soziologie läßt es sich trefflich streiten; im Gespräch mit den Menschen eher nicht. Die möchten humanistische Hilfsangebote haben.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Voll(st)e Zustimmung, Petra Pausch.
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Ach Frau Pausch, Sie leiten also aus den paar Kommentaren der hpd-Blase die semantische Bedeutung für den Großteil der Menschen (also aller Menschen und nicht nur jene, die sich der deutschen Sprache bedienen) ab.
Horst Groschopp wirbt doch gerade dafür, keine Politik an den Menschen und besonders den Politikerinnen und Politikern vorbeizumachen. Deswegen hat er in dem Punkte recht, dass sich der Begriff "Humanistische Seelsorge" etabliert hat und verstanden wird (z. B. aber nicht nur dort im Krankenhaus, im Gefängnis oder beim Militär). David Z hat dahingehend recht, dass der Begriff der Seele in seiner alltagssprachlichen Verwendung auch ohne theologische oder religiöse Bedeutung auskommt. Und schließlich, wo bedient sich denn die heutige (theologische) Seelsorge? Richtig in der Soziologie, Psychologie und bei der Sozialen Arbeit sowie der Sozialpädagogik.
Ich plädiere als Humanist dafür, die "Seel"sorge nicht den Kirchen zu überlassen.
Petra Pausch am Permanenter Link
Ach Herr Ramsel. Ich vermute mal ganz ungeniert, dass Sie innerhalb des HVD zum Kreise derer gehören, die - anders als Herr Heinrichs - mit dem Wort "Seele" kein Problem haben.
Verstehen Sie bitte meine Intention (versuchen Sie es wenigstens): Ich habe arge Bauchscherzen mit dem Begriff "Seele". Für mich ist das Wort religiös belastet (selbst wenn Horst Groschopp mir erzählt, dass es so nicht ist). Und alles in mir sträubt sich dagegen, humanistische "Seel"sorge zur Sozialarbeit des HVD zu sagen. Mag sein, dass der "Begriff der Seele in seiner alltagssprachlichen Verwendung auch ohne theologische oder religiöse Bedeutung auskommt" - das gilt nicht für mich (und offenbar auch andere Kommentatoren hier).
Anstatt mich hier persönlich anzugreifen und mir zu unterstellen, mich auf dünnem Eis zu bewegen reagieren Sie (und Herr Groschopp) doch bitte auf die Vorschläge zur Benennung, die andere hier in den Kommentaren machten. Das wäre sicher zielführender.
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Guten Abend, Frau Pausch,
Thomas Oppermann am Permanenter Link
Ja es läßt sich vortrefflich darum streiten, wie den ein unterstützendes, begleitendes, die Menschen ernstnehmendes Gesprächsangebot zu bezeichnen ist.
Ludwig Lauer am Permanenter Link
Zustimmung. Mein Kommentar geht auch in diese Richtung.
thomas heinrichs am Permanenter Link
Ja, dann soll der hvd nrw uns mitteilen, was sein Angebot ist. Ich freue mich darüber zu hören. Das kann aber nicht die Aufgabe eines einzelnen Mitglieds sein.
Klaus Bernd am Permanenter Link
„Kein Ding sei wo das Wort gebricht“ (G. Benn)
A.S. am Permanenter Link
vorschlag für Begrifflichkeiten:
Statt von "Seele" sollten Humanisten von "Psyche" reden. Leute, die sich um die Psyche anderer bemühen, könnte man als Psyche-Pfleger bezeichnen.
Inseljunge am Permanenter Link
Ja mit "Seelsorge" habe ich auch Probleme:
Erstens habe ich keine Seele im traditionellen Sinne und
zweitens möchte ich nicht, dass sich jemand um meine
und nicht an meinen Zielen/Werten orientiert. Nett wäre
eine möglichst ideologiefreie, empathische Hilfe zur Selbst-
hilfe. Warum es also nicht einfach halten und auf das ein-
fache Wort "Hilfe" zurückgreifen? Dazu noch eine Allite-
ration, das macht sich immer gut: "Humanistische Hilfe".
Nora Koch am Permanenter Link
Nennt es doch einfach Lebenshilfe. Viel weiter weg von christlich geht kaum.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Meine Rede; inkl. Sterbehilfe - ist dann auch noch weiter weg.