ROSTOCK. (hpd/mogis) Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und MOGiS e.V. kommentieren den "Aktionstag gegen Geschlechterdiskriminierung" der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
BVKJ und MOGiS e.V. kritisieren zum heutigen "Aktionstag gegen Geschlechterdiskriminierung" die unterschiedliche Gesetzeslage zu medizinisch nicht indizierten Genitaloperationen an Kindern: Während bei Mädchen zu Recht jegliche Eingriffe unabhängig von Invasivität und Motivation der Eltern als Verstümmelung und schwere Straftat bewertet würden, seien Vorhautentfernungen an Jungen ausdrücklich erlaubt und sogar im Erziehungsrecht der Eltern verankert.
Dazu Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des BVKJ: "Die aus religiösen oder kulturellen Gründen erfolgende Entfernung der Vorhaut bei nicht entscheidungs- und einwilligungsfähigen Jungen ist unserer Ansicht nach ein Verstoß gegen das elementare Kindesrecht auf körperliche Unversehrtheit. Für Jungen sollte das gleiche Recht gelten wie für Mädchen, bei denen die Beschneidung als Straftat gilt. Bezüglich der körperlichen Unversehrtheit eines Jungen darf Elternrecht nicht höher gewertet werden als Kindesrecht."
Önder Özgeday ergänzt für den Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V.: "Der heutige Aktionstag verdeutlicht für Betroffene wie mich gleich eine doppelte Diskriminierung: zum einen als Junge bzw. heutiger Mann, der nicht den gleichen Schutz in elementaren Grundrechten erfuhr wie beispielsweise meine Schwestern. Zum anderen durch das häufig vorgebrachte Scheinargument, Menschen aus den entsprechenden Kulturen müssten selbst über die Frage von Vorhautamputationen an Jungen entscheiden. Sind meine Grundrechte also bestenfalls ein Zufallsprodukt, weil ich türkischer Herkunft bin? Sind sie den deutschen Staat und diese Gesellschaft nicht wert, für sie einzutreten? Ich erwarte, dass sich die Antidiskriminierungsstelle endlich diesen Fragen öffnet und sie im Sinne der Umsetzung von unteilbarem Kinderrecht offen diskutiert."
Pressemitteilung des "MOGiS e.V. - Eine Stimme für Betroffene" vom 15.09.2015
Siehe auch: Antidiskriminierungsstelle toleriert Geschlechterdiskriminierung
8 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Seit fast dreieinhalb Jahren haben wir eine Diskussion in Deutschland darüber, ob man kleinen Junge ohne deren Einwilligung ein Stück ihres Körpers abschneiden darf.
Seit dieser Zeit gab es jede Mange Sachinformationen, die über die Sinnlosigkeit hinaus (Ja, wir haben inzwischen Wasserversorgung [seit 1848 in Hamburg] und Seife [seit den Sumerern] erfunden!) die Schädlichkeit dieser Amputation belegen.
Ärzte, wie der unermüdliche Dr. Hartmann und Betroffene haben sich zu Wort gemeldet, vernünftige Politiker, wie Rolf Schwanitz oder Ulf Dunkel engagierten sich, selbst Stimmen aus den religiös-kulturellen Kreisen zeigten sich skeptisch über den angeblich "göttlichen" Auftrag zur Zwangsverstümmelung.
Was kam von den Ritustreuen zurück?
Ein Einsehen, dass die Vorhautamputation eine Jahrhunderte altes Unrecht ist?
Die Anerkennung, dass die Vorhaut ein Teil des männlichen Genitals ist?
Die Erkenntnis, dass es Risiken und Nebenwirkungen der OP gibt?
Oder gar die Einsicht, dass Religionsgemeinschaften selbst Alternativriten erfunden haben - wie Brit Shalom?
Wenigstens ein erkennbares Nachdenken? Einzelfälle vielleicht.
Fast möchte man Paulus danken, dass er die Beschneidung für das Christentum für obsolet erklärt hatte - wäre sein Motiv nicht sein beinharter Antisemitismus gewesen.
Nein, diese Diskussion ist festgefahren, obwohl sie inhaltlich doch längst geklärt ist. Aber diese Festgefahrenheit wird nicht von den Befürwortern gleicher Menschenrechte für alle Menschen - egal welchen Geschlechts - verantwortet, sondern ausschließlich von den Befürwortern eines barbarischen Ritus aus antiker Zeit. Ihre "Argumente" sind genauso unsachlich und mythisch verklärt wie der Ritus antik ist. Er stammt aus einer unaufgeklärten Zeit, in der Menschenrechte nicht die geringste Rolle spielten.
Dass sich Religionsgemeinschaften heute darauf berufen, dass unsere Menschenrechte direkt aus der Bibel stammen sollen, ist eine bodenlose Frechheit - gerade in Anbetracht der Beschneidung. Wäre dies so, wie die klerikale Führungsspitze (von Elite mag ich nicht sprechen) gebetsmühlenartig wiederholt, dann wäre die körperliche Unversehrtheit jeglicher Menschen längst sichergestellt. Denn diese ist ein universelles Menschenrecht.
Deshalb ist all das Gewäsch religiöser Kreise belanglos, weil die einzige Motivation dahinter nur ihr mangelndes Selbstvertrauen ist, ihren Gemeinden klarzumachen, dass mit Kindern ab heute in jedem Belang menschlich umgegangen werden muss.
Die Politik hält schützend ihre Hand über diesen Kindsopferritus, damit insgesamt der Rechtsfrieden gewahrt bleibt - sprich: damit sich die Muslime und Juden nicht fürchterlich aufregen und mit hochrotem Kopf nach dem Blut ihrer Kinder gieren.
Tut mir leid für meine harten Worte, aber nach fast dreieinhalb Jahren festgefahrener Debatte wird man auch mal an Verstand und Zielen der Beschneidungsbefürworter zweifeln dürfen. Von mir aus mag man mich für antisemitisch halten, weil ich jüdischen Kindern helfen will oder für islamophob, weil ich muslimischen Kindern helfen möchte. Das ficht mich nicht an. Ich habe ein reines Gewissen wegen meiner Motive. Ob die, die Blut und Haut von ihren Kindern fordern, auch ein reines Gewissen haben...?
Markus Schiele am Permanenter Link
Lieber Bernd Kammermeier, vielen Dank für diese klaren Worte. Wie fast immer - bei Ihren durchweg lesenswerten Kommentaren - bringen Sie die Sache genau auf den Punkt. :-)
Udo Endruscheit am Permanenter Link
In der Tat ist hier "unheiliger Zorn" höchst angebracht, wie ich ihn in Ihrem Beitrag spüre.
Auch in anderen Fällen ist diese Tendenz zu beobachten. Dabei brauche ich überhaupt keine unmittelbar religionskritische Position einzunehmen. Es reicht doch eine Abwägung zwischen den Werten, zu denen uns das Grundgesetz und die Menschenrechtserklärung verpflichten, und den Partikularinteressen, die nach staatlicher Legitimierung schreien.
Höchst bedauerlicherweise (ich drücke mich höflich aus) kommt es auf breiter Front nicht zu einer solchen Abwägung. Wohl weil es an einem einigemaßen geschlossenen, humanistisch und an unseren staatlichen Grundlagen orientierten Weltbild überhaupt fehlt.
Zurück zum Beschneidungsthema: Wie heisst der bekannte Chefspruch (den ich tatsächlich aus meiner Ausbildung noch kenne).
Kommen Sie mir nicht mit Sachargumenten!
David am Permanenter Link
Ich bin da ganz bei Ihnen.
Leider geht es in der Sache, zumindest in D, weder primär um die Kinder, noch um Religion, sondern allein um unsere Vergangenheit, was die Angelegenheit nicht weniger unerträglicher macht.
Die Menschenrechte mit Füßen treten weil man ansonsten die Kritik befürchten müßte, man würde die Menschenrechte mit Füßen treten (Rassismus! Antisemitismus! Ihr als Deutsche!). Was für ein Hohn.
Ich glaube, es war Broder, der mal sagte, dass mit uns Deutschen seit dem 2ten WK da oben echt was nicht stimmt. Dieses ständige vorauseilende Büßertum basierend auf dem Holocaust-Komplex vernebelt uns regelmäßig die vernuftgeleitete Entscheidungsfindung.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Das ist richtig und richtig kompliziert.
Leider haben Nazis damals die Beschneidung verboten, so dass es hier ein doppeltes "Argument" gibt, die Jungs weiterhin zu verstümmeln. Das zeigt aber nur die hochemotionale und unsachliche Debatten-Kultur, die uns die Religionsvertreter aufzwingen wollen. Dass sie sich selbst damit einen Bärendienst erweisen, geht den meisten nicht auf.
pavlovic am Permanenter Link
Was fehlt ist nun, dass in Deutschland endlich auch mal ein Machtwechsel in der Regierung wieder möglich ist . Der Mangel an wählbaren politischen Alternativen zeugt von der Krankheit unserer Demokratie.
Andrea Pirstinger am Permanenter Link
...und auch weiterhin:
WIR vergessen in diesen "rein deutschen" debatten nicht,
daß auch (weltweit/global) feminine Kinder von GENITALVERSTÜMMELUNG betroffen sind
don't forget
Elizabeth Hebert am Permanenter Link
Eltern müssen zuversichtlich sein, dass das Kind keiner Gefahr ausgesetzt wird. Das beste, was für diesen Zweck geeignet ist, sind ihre Handys zusammen mit anderen Smart-Geräten, die so beliebt unter Kleinen sind.
Heutige Welt bringt uns bedauerlicherweise nicht nur positive Momente in der Kinder-Erziehung, sondern auch müssen die Kinder 24/7 unter Kontrolle sein. Entscheidend ist in jedem Fall innere Einstellung von Eltern zu möglichen Risiken.