Interview

"Wir mussten über Wochen und Monate nächtlichen Telefonterror ertragen"

Seine Karikaturen finden sich auf Flugblättern und Webseiten, viele kirchenkritische Veranstaltungen und Kampagnen der letzten Jahrzehnte hat er "ins Bild gesetzt": der langjährige Hauskarikaturist der MIZ Rolf Heinrich. Nun ist sein Buch "Kreuzschmerzen adieu!" erschienen, das Karikaturen aus den vergangenen 35 Jahren präsentiert. Der hpd sprach mit dem Zeichner über 35 Jahre künstlerisch-politischen Engagements.

hpd:Wie oft hast du eigentlich die Frage gestellt bekommen, ob du als junger Mensch schlechte Erfahrungen mit einem Pfarrer gemacht hast?

Rolf Heinrich: Als Frage wurde mir das nie gestellt, sondern schon als Vermutung oder Feststellung geäußert. Oft im direkten Gespräch, aber auch öffentlich in der Zeitung als Antwort auf meine Leserbriefe, wenn sie sich zum Beispiel auf religiöse Beeinflussung in Kindergarten und Schule bezogen. Wobei man sich damals unter "schlechte Erfahrungen mit einem Pfarrer" noch etwas anderes vorstellte als heute.

Hast du schon immer gezeichnet und dann irgendwann begonnen, dich politisch zu engagieren, oder hast du im Zuge deines politischen Engagements gemerkt, dass mit Karikaturen mehr Leute erreicht werden können?

Ich habe schon als Kind gerne gezeichnet und später in der Grundschule war ich der, der in den Pausen die Anderen nach einigen Bleistiftstrichen raten ließ, was es werden soll. Kamen dann richtige Voraussagen, war ich so gemein, dass ich daraus etwas anderes zeichnete, damit niemand sagen konnte: "das hab ich vorher schon gewusst!". Später zeichnete ich beruflich technische Illustrationen für Bedienungsanleitungen und Ersatzteilkataloge, bevor ich mich der Werbegrafik zuwandte, aber das Zeichnen in der Freizeit aus Lust und Laune gab es nicht mehr.

Als ich begann, mich mit Kirchenkritik und der Trennung von Staat und Kirche zu beschäftigen, merkte ich, dass neben der politischen, sachlichen Arbeit das Provozieren und der Lächerlichkeit Preisgeben – hauptsächlich in Form von Karikaturen – große Wirkungen erzielte. Von den in den achtziger Jahren recht wenigen antiklerikalen Zeichnungen, die ich zu Gesicht bekam, hat mich eine ganz besonders beeindruckt: Der Priester mit dem "Göttchen" als Handpuppe – ich glaube, sie war von Erich Rauschenbach. Sie brachte ohne einen Text und mit einfachsten Mitteln die Aussage rüber, dass dieser Gott nur ein Werkzeug ist, mit dem Kleriker ihren "Schäfchen" etwas vorspielen.

Als ich dann für die MIZ arbeitete, hatte ich immer wieder Ideen zu Karikaturen und die Lust, diese umzusetzen. So kam es, dass ich wieder anfing zu zeichnen.

In der MIZ hattest du dann sehr schnell die Doppelrolle Chefredakteur und Hauskarikaturist. Ist diese Verknüpfung inhaltlicher und administrativer Aufgaben für die künstlerische Inspiration eher förderlich oder hinderlich?

Für die künstlerische Inspiration war es sehr förderlich, denn die Informationen wurden mir – in dieser Vor-Internet-Zeit – damit frei Haus geliefert. Die Ideen sind mir allerdings nicht einfach "zugeflogen". Vom ersten Gedankensplitter bis zur fertigen Zeichnung war doch eine nicht unerhebliche Arbeit nötig. Es galt, die Idee in eine einfache, für (hoffentlich) alle unmissverständliche Form zu bringen – von der inhaltlichen Aussage bis zur zeichnerischen Darstellung. Vom zeitlichen Mehraufwand neben meiner redaktionellen Arbeit war es eher hinderlich und ich bin oft an meine Grenzen gekommen, zumal ich auch jede Ausgabe der MIZ gestaltet und die Seitenmontagen erstellt habe. Das alles in der Freizeit neben Familie und "normalem" Beruf.

Ich spitze die Frage mal zu: Du wusstest ja, welchen Schwerpunkt das Heft haben sollte und was sonst noch so an Artikeln reingekommen war – hat das dazu geführt, dass sich der Karikaturist auf die Themen, die der Chefredakteur auf dem Tisch hatte, fokussiert hat und damit anderes aus dem Blick geriet?

Nein, keinesfalls. Erstens war das Spektrum der MIZ-Beiträge so groß, dass kaum ein Thema oder Ereignis ausgelassen wurde. Zweitens kamen mir oft bei allen möglichen Gelegenheiten durch Aussagen im Radio, Fernsehen oder der Tageszeitung Ideen, die ich schnell als Skizze festhielt und abheftete, um sie irgendwann auszuarbeiten.

Du hast lange Zeit schwarz-weiß gezeichnet – war das eine bewusste Stilentscheidung oder dem Umstand geschuldet, dass die MIZ keine Vierfarbseiten hat?

Für mich war das eine Notlösung, weil die MIZ aus Kostengründen nur einfarbig gedruckt wurde. Das bedeutete auch, dass ich deshalb die Zeichnungen sehr vereinfachen musste – auch weil sie relativ klein abgedruckt wurden. Jahre später habe ich fast alle meiner Zeichnungen in Farbe umgesetzt. Die schwarz-weißen Originale existieren selbstverständlich noch.

Drei Spiegelstriche – was macht für dich eine gute Karikatur aus?

– Wenig oder gar kein Text;

– sie muss auch in ihrer Absurdität logisch sein;

– sie soll zum (Nach)denken anregen.

Du gehörst nach meiner Einschätzung zu den Karikaturisten, die der Gegenseite auch mal richtig eins drübergeben. Wo liegen für dich die Grenzen?

Ich würde mich niemals auf das Niveau einer reinen Beschimpfung begeben. Begriffe wie zum Beispiel "Verbrecherverein" oder "Kinderfickersekte" kämen im Vokabular meiner gezeichneten Akteure nicht vor. Ich setze lieber auf den "Aha-Effekt".

Bist du jemals angefeindet oder sogar bedroht worden?

Ja, schon oft, obwohl das im Laufe der Jahre kontinuierlich abgenommen hat. In den 1990er Jahren bekam ich anonyme Briefe von "guten Christen", deren Inhalt ich hier nicht wiedergeben möchte. Auch nächtlichen Telefonterror mussten wir als Familie über Wochen und Monate ertragen. Später stellte sich heraus, dass der Anrufer ein pensionierter Rektor war. Einmal besuchte ich eine öffentliche Veranstaltung im Pfarrheim einer katholischen Kirchengemeinde zum Thema: "Die Finanzen der Kirche". Die Fragen, die ich in der anschließenden Diskussion stellte, konnte der Finanzexperte des Bistums angeblich nicht beantworten. Am Schluss kam der Gemeindepfarrer auf mich zu und wollte wissen, wer ich sei. Als er es erfuhr, sagte er: "Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich sie gleich am Anfang rausgeschmissen!" Er wurde dann so rabiat, dass ihn die Gemeindereferentin zurückhalten musste. Also nichts mit: "Liebet eure Feinde – segnet die euch fluchen!"

Wie hältst du denn generell den Kontakt zu deinem Publikum? Auf Karikaturen gibt es ja nur in den seltensten Fällen eine Entgegnung...

Das ist schwierig geworden. Eine eigene Webseite möchte ich nicht erstellen, denn wenn sie gut sein soll, muss sie regelmäßig aktualisiert werden und man muss auch zeitnah die Kommentare beantworten. Das würde mir zu sehr Druck machen. In den Sozialen Medien, wie zum Beispiel Facebook, kann man auch in verschiedenen Gruppen präsent sein. Ob eine Karikatur gut ankommt, kann ich aber lediglich an der Anzahl der "Likes" sehen – die Kommentare sind dagegen wenig hilfreich. Bewertungen der Karikatur werden so gut wie nie vorgenommen, aber viele nutzen die Möglichkeit der Kommentarfunktion, hier ihre eigenen "Kirchenthemen" zu diskutieren – die Karikatur und ihre Aussage hat dann keine Bedeutung mehr.

Karlheinz Deschner hat, als er älter war, immer mal wieder sein Bedauern darüber ausgedrückt, dass er zu viel Zeit seines Lebens in der Auseinandersetzung mit der Kirche verschwendet habe. Hängst du ähnlichen Gedanken nach?

Im Prinzip gebe ich ihm recht und ja, diese Gedanken hatte ich auch schon oft, aber eher in der Art, dass ich dachte, wie absurd es ist, sich über Jahrzehnte intensiv mit etwas zu beschäftigen, was man für Blödsinn hält und mit dem man gar nichts zu tun haben möchte. Aber Deschner war ein "Getriebener" – er konnte und wollte nicht aufhören. Ich dagegen habe in den letzten Jahren mehrere Gänge zurückgeschaltet und mich aus permanenter Arbeit komplett zurückgezogen. Aktiv werde ich nur, wenn's mir wieder mal "in den Fingern juckt", aber das kommt auch relativ oft vor.

Was sind deine nächsten künstlerischen Pläne?

Im März nächsten Jahres stelle ich meine Karikaturen innerhalb einer Kulturwoche in meiner hessischen Heimatstadt Schlüchtern aus. Ein Novum und bis vor kurzem von mir noch für undenkbar gehalten. Eine Ausstellung in München wurde mir in Aussicht gestellt und ich würde mich sehr freuen, wenn das realisiert werden könnte. Auch ein weiteres Buch liegt schon fast fertig in der viel zitierten Schublade. Wer weiß – vielleicht bleibt es aber auch dort…

Rolf Heinrich: Kreuzschmerzen adieu! Kirchenkritische Karikaturen und Texte. Mit einem Vorwort von Assunta Tammelleo. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2023. 128 Seiten, 16 Euro. ISBN 978-3-86569-386-0. Begleitet werden die Karikaturen von Texten bekannter kirchenkritischer Aktivisten wie u.a. Karlheinz Deschner, David Farago, Heiner Jestrabek, Rainer Ponitka, Gerhard Rampp, Michael Schmidt-Salomon, Wolf Steinberger, Jan Weber oder Rüdiger Weida.

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