Gestern hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über den sogenannten Kreuzerlass entschieden, der 2018 vom Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder verkündet wurde. Es gebe keinen Anspruch auf Entfernung von Kreuzen in Dienstgebäuden des Freistaats Bayern, so das Gericht in einer Pressemitteilung. Geklagt hatten der Bund für Geistesfreiheit München und Bayern. Letzterer äußerte sich seinerseits in einer Pressemitteilung zum Urteil.
Der Freistaat Bayern beschäftigt 350.000 Menschen, die in über 8.000 Dienststellen arbeiten. In diesen Dienststellen hängt seit 2018 auf Anordnung der bayerischen Staatsregierung das Symbol der Christen: das Kreuz. Für Söder der "Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns", nach Wikipedia das wichtigste Symbol des Christentums, weil es an den Kreuztod Jesu und damit an das zentrale Element des christlichen Glaubens erinnert.
Nach einer Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig vom 19. Dezember hat sich das Gericht der Söder'schen Argumentation angeschlossen. Diesen Eindruck kann das BVerwG auch nicht dadurch beseitigen, dass es in seiner Pressemitteilung feststellt: "Nach dem Kontext und Zweck der Verwendung des Kreuzessymbols identifiziert sich der Freistaat Bayern durch die Aufhängung von Kreuzen nicht mit christlichen Glaubensgrundsätzen."
Das BVerwG übernimmt damit die Begründung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der in der Vorinstanz entschieden hatte, dass das Anbringen von Kreuzen im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen keine den christlichen Glauben fördernde Wirkung habe.
Enttäuschung beim säkularen Bund für Geistesfreiheit (bfg) Bayern: "Nachdem das Kreuz keinen Markenschutz hat, darf es offensichtlich verschieden interpretiert werden", kritisiert der zweite Vorsitzende des bfg Bayern Frank Riegler die Entscheidung. Für ihn ist das Kreuz seit über 1.500 Jahren unverändert das Symbol der Christen. "Die Corporate Identity der christlichen Kirchen."
Die Feststellung des BVerwG, dass sich die Regierung des Freistaates Bayern nicht mit christlichen Glaubensgrundsätzen identifiziere, bleibe aber bis zum Beweis des Gegenteils Wunschdenken.
Nach Artikel 4 des Grundgesetzes sind die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Gerade dieses Grundrecht aber sieht der bfg Bayern durch den Erlass verletzt. Nach seiner Auffassung darf der Staat nicht einseitig Position für eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft beziehen. Die Identifikation ist nach Auffassung des bfg auch deshalb aus der Zeit gefallen, weil sich immer mehr Menschen nicht mehr konfessionell binden beziehungsweise aus den Kirchen austreten.
Der Kreuzerlass stellt eine einseitige Bevorzugung des christlichen Glaubensbekenntnisses durch den Staat dar. Er macht damit Nichtchristen in den bayerischen Amtsstuben, Gerichten und Schulen zu Menschen zweiter Klasse. Und damit verstößt er eklatant gegen Artikel 4 GG.
Der bfg Bayern wird nun die Urteilsbegründung abwarten und dann entscheiden, ob ein Gang zum Bundesverfassungsgericht sinnvoll ist.
33 Kommentare
Kommentare
Petra Pausch am Permanenter Link
Dieses Urteil ist ein Skandal und einem modernen, säkularen Staat nicht angemessen. Es ist wie aus der Zeit gefallen: Vor 50 Jahren wäre es noch verständlich (nicht richtig, aber verständlich) gewesen.
Gerhard Lein am Permanenter Link
Ich wünsche den Freunden in München weiterhin viel Kraft, sich den religiösen Übergriffigkeiten der zweiten und dritten Gewalt in Bayern entgegenzustemmen. Gruß aus dem Norden.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Es geht ja nicht darum, dass das aufhängen von Kreuzen keine, dem christlichen Glauben fördernde Wirkung hat, sondern darum, dass dies eine Diskriminierung von anderen Religionen und Atheisten darstellt und das Christ
Bayern prädestiniert.
Der Verstoß gegen Artikel 4 im GG ist damit eindeutig gegeben, dass dies dem Verwaltungsgericht in Leipzig nicht eindeutig klar wurde, kann ich mir nicht erklären,
ausser mit enormen Einfluß der Kirchenlobby.
David Z am Permanenter Link
Ich bin Atheist und sehe mich eindeutig nicht als Mensch zweiter Klasse im Anblick eines Kreuzes in einer Amtsstube oder im Gerichtssaal.
Paul München am Permanenter Link
Ausdruck von Geschichte ... also ähnlich den Gleisen einer stillgelegten Eisenbahnstrecke, an denen man den Abbau des Andreaskreuzes vergessen hat?
David Z am Permanenter Link
ja, in gewisser Weise ist auch ein vergessenes Andreaskreuz Teil unserer Geschichte.
Christian Nentwig am Permanenter Link
Ein Super Kommentar. Kurz, knackig, richtig.
Herzlichen Dank für den Lacher am Morgen,
Schöne Feiertage und einen guten Rutsch in's neue Jahr
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
@ David Z: Kann Deutschland wirklich stolz sein auf seine Geschichte, Kultur, Tradition und damit auf seine Heimat??
David Z am Permanenter Link
Von "Stolz" hatte ich nicht gesprochen. Stolz ist immer so ein schwergewichtiges Wort.
Aber ja, ich wüsste nicht, warum D nicht ebenso "stolz" auch seine Kultur und Geschichte sein sollte, genau so, wie es auch andere Nationen handhaben.
Jo am Permanenter Link
Dieses Verständnis, das ja auch das Gericht zu teilen scheint, erscheint übergriffig den Christen gegenüber.
AZR am Permanenter Link
BVerwG, nicht BVerfG. Ich will nicht "päpstlicher sein, als der Papst", aber hier ist die Unterscheidung wichtig, weil das Bundesverfassungsgericht nach dem Willen der Kläger ja noch entscheiden soll.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Warnung: Der folgende Text kann Spuren von Sarkasmus enthalten !
"Nach dem Kontext und Zweck der Verwendung des Kreuzessymbols identifiziert sich der Freistaat Bayern durch die Aufhängung von Kreuzen nicht mit christlichen Glaubensgrundsätzen."
Da nun höchstrichterlich festgestellt wurde, dass dieses Kreuz jeder Heiligkeit entbehrt, dass es gewissermaßen gleichgestellt ist mit der traditionellen byerischen Dreifaltigkeit von Brezel, Bier und Weißwurst, schlage ich vor, das allzu nackerte Kreuz mit z.B. einem Gamsbart und/oder einem Edelweiß zu verzieren. Womit identifiziert sich der Freistaat Bayern denn nun mit der Aufhängung der Kreuze ? Mit den beliebten Traditionen von Fensterln, Bigotterie und katholischem Klüngel ?
„dass das Anbringen von Kreuzen im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen keine den christlichen Glauben fördernde Wirkung habe“ kann ich dagegen nachvollziehen. Das könnte im Gegenteil eine Art Gessler-Hut-Effekt haben. Es könnte den Besucher der Amtsstuben daran erinnern, endlich aus der Kirche auszutreten.
Paul München am Permanenter Link
Vielleicht sind wir bzw.
David Z am Permanenter Link
Bei den derzeitigen Pisa-Werten unserer Schüler ist das womöglich gar nicht so abwegig.
Herbert Georg am Permanenter Link
Großartig! Complimenti ! Die bayrische Dreifaltigkeit.
A.S. am Permanenter Link
In Deutschland geschieht, was die Kirchen wollen. Kirchenhörige Politiker beschließen es, kirchenhörige Richter segnen es ab. Der Wille des Volkes ist schnurz, wie zu feudalistischen Zeiten.
Besonders peinlich: Die Richter leugnen den Anker-Effekt (anchoring bias) und beweisen damit ein hohes Maß an Wissenschafts-Ignoranz. Die beeinflussende Wirkung von beiläufig aufgenommener Information ist sehr gut belegt. Die "gut sichtbar" aufgehangenen Kruzifixe haben sehr wohl einen indoktrinierenden Effekt.
Für die säkularen Organisationen sollte es ein Weckruf sein: Wir brauchen breit gestreute Aufklärung über den Anker-Effekt!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
A.S. vielen Dank für Ihren Kommentar, genau so beurteile ich unsere Judikative, Exekutive
und Legislative in unserem ach so freiem Rechtsstaat.
Jo am Permanenter Link
Das ist nicht so eindeutig: "Der Kreuzerlass gilt seit 2018. Gegen die Vorschrift, laut der das Kreuz in allen bayerischen Dienstgebäuden aufgehängt werden muss, gab es auch Kritik von den Kirchen.
Der Kreuzerlass scheint weniger Ausdruck von großer Kirchentreue zu sein als vielmehr ein Versuch zu zeigen, dass die Traditionalisten das Sagen haben. Für die Kirchen wäre es ein zweifelhafter Sieg bescheinigt zu bekommen, dass das Kreuz kein christliches Symbol mehr ist.
A.S. am Permanenter Link
Es stimmt schon, dass seitens der Kirchen die Aktion als Wahlkampfsmasche kritisiert wurde. Es stand nur kein Wahlkampf an.
Wahlkampftaktische Hintergedanken darf man bei jedem Politiker vermuten.
Jo am Permanenter Link
Mir scheint, dass eher eine bestimmte politische Haltung signalisiert wird, die weder an die offiziellen Kirchen noch an die dort aktiven Nicht-HauptamtlerInnen gerichtet ist, sondern an eher konservative Menschen, di
Alfred Lichtenberg am Permanenter Link
Das Kreuz in bayerischen Dienststellen hat tatsächlich einen schädlichen Charakter für die Demokratie: Wer sich nicht mit dem Christentum identifiziert, verliert damit auch den Respekt vor dem Staat und der Demokratie
Andreas Kielmann am Permanenter Link
Ich denke Söder ist nur Demokrat weil es die derzeitigen Regeln so vorschreiben und er wird das ändern, sobald er die Macht dazu hat, wie Putin. Den 1.
Klaus Weidenbach am Permanenter Link
Das Bundesverwaltungsgericht hat eine unglaublich hanebüchene Begründung für sein Urteil gegeben.
Holger Holland-... am Permanenter Link
Etwas Vergleichbares wie den „Kreuzerlass“ hatte es in der deutschen Geschichte zuletzt 1933 gegeben, als an jedem öffentlichen Gebäude zwangsweise die Hakenkreuzfahne anzubringen war.
Zur Vorgeschichte: 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht einen bayerischen Gesetzespassus verboten , der das Anbringen von Kreuzen in Klassenzimmern vorschrieb. Daraufhin erhob sich der christliche Volkszorn in Bayern in Form von Demonstrationen unter Beteiligung von Regierungsvertretern, das Abendland war in Gefahr. Man schuf also ein neues „Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen“ mit u.a. folgenden Passagen : „Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung“…“Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns wird in jedem Klassenraum ein Kreuz angebracht. Damit kommt der Wille zum Ausdruck, die obersten Bildungsziele der Verfassung auf der Grundlage christlicher und abendländischer Werte unter Wahrung der Glaubensfreiheit zu verwirklichen.“
Es gab auch eine Ausnahmeregelung bei Widerspruch von Eltern, da wurde dann zu einer Einigung geraten („unter Beachtung der Mehrheit“).
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Missachtung ihrer Entscheidung hingenommen. Somit konnte Herr Söder sich einbilden, die dortige Formulierung für seine Ausdehnung der Kreuzespflicht über die Grundschulen auf die staatliche Verwaltung sei rechtmäßig.
Einesteils hatte Söder behauptet aufgrund des Bekenntnisses zu den christliche Werten das Kreuz vorzuschreiben. Andererseits solle das Kreuz aber kein religiöses Symbol sein sondern „das Symbol für Menschenwürde, Nächstenliebe und Toleranz“. Was zumindest Menschenwürde und Toleranz betrifft, wird man dies wohl als Zynismus wahrnehmen.
Das Kreuz ist und bleibt hier gewaltsam aufgedrängtes Symbol für die beabsichtigte Hegemonie einer Weltanschauung, die längst abgewirtschaftet hat, auch wenn Herr Söder sich in seiner geistigen Beschränkung eine Wertegrundlage nur durch „christliche Werte“ vorstellen kann.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ganz nebenbei bemerkt, ist das Kreuz ein Folter und Tötungsinstrument!
Jo am Permanenter Link
Der Vergleich mit 1933 ist absurd, zumal Sie direkt danach auf 1995 verweisen - wieso dann "zuletzt 1933"?
A.S. am Permanenter Link
Kennen Sie den "Anker-Effekt" (anchoring) in der Psychologie? Um diesen Effekt geht es.
Bei den Kirchen, wenn sie die ganze Landschaft mit Kreuzen und Kapellchen zupflastern.
Bei den Kommunisten, wenn sie überall rote Flaggen hissen.
Und auch Söder zielt auf mit seiner Kruzifixerei auf den Anker-Effekt. Bei jenen, die in den Verwaltungen arbeiten und täglich mindestens zwei mal am Kruzifix vorbei laufen müssen.
Die wirkung auf das Publikum, welches nur selten öffentlich Gebäude besucht, wird die anchoring-Wirkung gering ausfallen.
Religion wird über Indoktrination verbreitet!
Jo am Permanenter Link
Haben Sie das eventuell unter den falschen Kommentar geantwortet? Es ist kein klarer Bezug zu erkennen. (Oder soll der Verweis auf den Ankereffekt etwa einen Vergleich mit dem Nationalsozialismus rechtfertigen?)
A.S. am Permanenter Link
@Jo: Mein Verweis auf den Anker-Effekt zielt auf die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts und der Vorinstanzen.
Eine vergleichbar indoktrinierende Wirkung hatten gut sichbar angebrachte Hakenkreuze.
Das Verbot nazionalsozialistischer Symbole hatte ja auch zum Ziel, die nazionalsozialistische Indoktrination zu unterbinden bzw. eine Beitrag zur Unterbindung zu leisten.
Letztlich verhönt das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil den Erkenntnisstand der wissenschaftlichen Psychologie.
Holger Holland-... am Permanenter Link
Es ging mir nicht um einen eventuellen Ankereffekt, also einem möglichen Vorprägen der Wahrnehmungseinstellung, es ging mir auch nicht um eine individuelle Belästigung, was angesichts der vielen Kreuze in Bayern (mit
Dass Kreuze in und auf Kirchen gehören als Zeichen der christlichen Religion ist selbstverständlich. Dass man in Gerichtsgebäuden in Bayern Kreuze anbringt, zeugt von einem Rechtsverständnis, dass nicht im Namen des Volkes, wie vorgegeben wird, Recht gesprochen wird, sondern eben in Gottes Namen (nicht das Volk hat demnach die Gesetze gemacht, sondern der Allmächtige).
Dass man in Grundschulen immer das Kreuz vor Augen haben muss, ist angesichts des vermeintlichen Erziehungsauftrags der Vermittlung der Ehrfurcht vor Gott und der christlicher Werte folgerichtig.
Aber welchen Sinn macht ein christliches Finanzamt oder eine christliche staatliche Rinderzuchtanstalt? Was soll dieser Unsinn?
Ich hatte das als Machtdemonstration einer Ideologie gesehen, als Ausdruck, dass überall das Christentum zu herrschen habe (was immer man in dieses hineininterpretieren mag). Offenbar hat man diesen Aspekt des Machtgehabes geflissentlich geleugnet, deshalb habe ich diesen drastischen Vergleich mit der Hakenkreuzpflicht von 1933 gewählt. Dies war naheliegend und ist nicht nur mir eingefallen. Damit soll Herrn Söder nicht eine Nähe zur faschistischen Ideologie unterstellt werden, wohl aber die Verwendung vergleichbarer verabscheuungswürdiger Machtmittel. Dies als absurd abzutun, weil man die Praxis eines demokratisch gewählten Regierungschefs nicht mit der von Nazis vergleichen soll, kann ich nicht akzeptieren.
foobar am Permanenter Link
Basierend auf dem, was bisher über das Urteil zu hören ist, würde ich sagen, dass wir in allen öffentlichen Gebäuden Hakenkreuze aufhängen sollten.
Der Nationalsozialismus ist offensichtlich ein wesentlicher und prägender Teil unserer Geschichte, das scheint ja wohl ein Argument dafür zu sein. Da das bloße Aufhängen eines Symbols im Eingangsbereich nicht bedeutet, dass der Staat sich mit der Ideologie dahinter identifiziert oder für diese wirbt, gibt es eigentlich auch keinen erkennbaren Grund dagegen.
Habe ich irgendetwas übersehen?
David Z am Permanenter Link
Ob Sie was übersehen haben, fragen Sie?
Ja, die sachliche Verhältnismässigkeit.
Bruder Spaghettus am Permanenter Link
Bitte haltet durch und geht weiter. Das macht allein schon deshalb Sinn, weil dadurch das Thema weiter in der Öffentlichkeit bleibt.
Es ist nur schwer zu verstehen, warum Herr Söder ausgerechnet ein Kreuz als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gewählt hat. Da gibt es doch viel bessere Symbole, die Weißwurst oder die Brezen zum Beispiel. Die hätte viel bessere Akzeptanz gefunden und garantiert nicht dazu geführt, dass sich Gerichte damit beschäftigen müssen.
Der Kreuzerlass ist eine Freistaatposse, die leider nicht zum Lachen animiert, sondern nur zum Kopfschütteln.