"Woche für das Leben", so heißt eine Traditionsveranstaltung der beiden Großkirchen, die in diesem Jahr zum 30. Mal stattfand. Der Schluss am 20. April markiert allerdings das endgültige Aus des Formats: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) steigt aus der "Woche für das Leben" aus. Beobachter sehen die Entscheidung als symptomatisch für einen Abschied von der Ökumene. Die tiefen Gräben zwischen katholischer und evangelischer Kirche zeigen sich vor allem in Fragen zu Abtreibung und Sterbehilfe.
Traditionell sind es brisante Themen der Bioethik, die bei der "Woche für das Leben" auf dem Programm stehen, etwa Selbstbestimmung am Lebensende und die geplante Reform des Abtreibungsrechts. Während sie innerhalb der Gesellschaft heftig diskutiert werden, sind sich auch die Kirchen in diesen Fragen uneins: Die Deutsche Bischofskonferenz lehnt die Abtreibung grundsätzlich ab, weil nach katholischer Lehre die Verschmelzung von Samen- und Eizelle als Beginn des schutzwürdigen Lebens gilt. Dagegen plädiert die evangelische Kirche für ein "abgestuftes Schutzkonzept", das letztlich auf eine Art Fristenlösung hinausläuft. Angesichts der aktuellen Vorschläge, den Schwangerschaftsabbruch zu liberalisieren und außerhalb des Strafrechts zu regeln, haben diese Differenzen zwischen den Großkirchen an Sprengkraft gewonnen.
Auch bei der Bewertung der Sterbehilfe zeigen sich zunehmend Unvereinbarkeiten. In den letzten Jahren habe das Konzept der Selbstbestimmung des Individuums in der evangelischen Theologie immer mehr an Bedeutung gewonnen, sagt dazu die evangelische Theologin Miriam Rose von der Universität Jena im Deutschlandradio. Diese Position reflektiert auch den stetigen wissenschaftlichen Fortschritt in der Biomedizin, wenn die Grenze zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe zusehends verwischt.
Dagegen bleibt die katholische Kirche weiterhin bei ihrer Prinzipien-Ethik; sogar der katholische Moraltheologe Peter Schallenberg (Theologische Fakultät Paderborn) attestiert ihr ein Festhalten an "Paternalismus" und "Fremdbestimmung" sowie eine "Abschwächung des individuellen Gewissensanspruchs".
Man kann den Ausstieg der EKD aus der "Woche für das Leben" gewiss als symptomatisch für die Probleme der Ökumene in Deutschland betrachten. Zudem dürfte die Entscheidung zu einer Schwächung christlicher Profile insgesamt führen, schätzt Christian Stoll, Leitender Direktor des katholischen Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik Paderborn und Lehrstuhlinhaber für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät Paderborn. Wenn es keine gemeinsame Positionierung der Großkirchen in lebensethischen Fragen mehr gebe, werde der gesellschaftliche Einfluss der Kirche weiter schwinden, befürchtet er.
Doch auch innerhalb der evangelischen Kirche gibt es Kritik. Gegen ein Aus der "Woche für das Leben" positioniert sich etwa der Württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl. Laut FAZ gebe es immer mehr Hinweise, dass die EKD bis zu den eventuellen Beratungen über die gesetzliche Neuregelung ihre Position noch einmal überarbeitet haben wird.
Hinweis der Redaktion: Prof. Dr. Peter Schallenberg ist Lehrstuhlinhaber an der Theologischen Fakultät Paderborn, nicht an der Uni Paderborn. Dies wurde am 06.05.2024 um 17:15 Uhr korrigiert. Die Position von Prof. Dr. Christian Stoll wurde präzisiert.
4 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Na das läuft doch daraus hinauf das die katholische Kirche als erste stirbt, während die evangelische sich noch eine zeitlang am Leben erhält, bis, laut Yuval Noah Harari, der
Andere Religionen werden noch viel Zeit benötigen um dahin zu kommen und es werden noch viele Menschen wegen der Dummheit der Religionen ihr Leben lassen müssen.
Meine Empfehlung dessen Buch zu lesen!
A.S. am Permanenter Link
Aberglaube, mit und ohne Lehrbuch, ist keine Grundlage für allgemeine Gesetzgebung.
Klaus Bernd am Permanenter Link
„die Verschmelzung von Samen- und Eizelle als Beginn des schutzwürdigen Lebens gilt“
das gilt ja nicht nur als Beginn des „schutzwürdigen“ Lebens sondern abstruser Weise auch als der Beginn des STRAFWÜRDIGEN Lebens, des mit UR- oder ERB-Sünde belasteten befruchteten Eis. Und es gibt keine definitve, lehramtliche Aussage, was mit einem befruchteten Ei im Falle des Absterbens geschieht; Himmel oder Hölle ? Man hat nur die, angeblich, sichere HOFFNUNG, dass sie und alle toten ungeborenen und ungetauften Kinder sich auf einem „Heilsweg“ befänden. Was immer das heißen mag. Diese irre Tatsache wird unglaublicher Weise auch nicht von den sogenannten Reformern thematisiert. Stattdessen feiert man immer noch den verstorbenen J. A. Ratzinger dafür, dass er diesen obskuren „Limbus“ - soll so ne Art Spezialhölle für ungetauft verstorbene Kinder gewesen sein – abgeschafft habe.
"Abschwächung des individuellen Gewissensanspruchs"
Der individuelle Gewissensanspruch ist laut KKK sowieso nicht viel Wert. Der gilt nur, solange das Gewissen mit dem Lehramt übereinstimmt.
Zwar wird es in den höchsten Tönen gefeiert:
„1795 Das Gewissen ist der verborgenste Kern und das Heiligtum des Menschen in dem er allein ist mit Gott dessen Stimme in seinem Innersten widerhallt" (GS 16).“
und
„1800 Der Mensch muß dem sicheren Urteil seines Gewissens stets folgen.“
Aber, wird relativiert:
„1801 Das Gewissen kann in Unkenntnis bleiben oder falsch urteilen. Solche Unkenntnis und Fehlurteile sind nicht immer frei von Schuld.“
und
„1783 Das Gewissen muß geformt und das sittliche Urteil erhellt werden. Ein gut gebildetes Gewissen urteilt richtig und wahrhaftig. Es folgt bei seinen Urteilen der Vernunft und richtet sich nach dem wahren Gut, das durch die Weisheit des Schöpfers gewollt ist. Für uns Menschen, die schlechten Einflüssen unterworfen und stets versucht sind, dem eigenen Urteil den Vorzug zu geben und die Lehren der kirchlichen Autorität zurückzuweisen, ist die Gewissenserziehung unerläßlich.“
Was nichts anderes heißt als dass das Gewissen dazu erzogen werden muss, die Lehren der kirchlichen Autorität nicht zurückzuweisen, denn nur ein derart gut gebildetes Gewissen urteilt richtig und wahrhaftig !
Wie das vernünftig mit 1795 zu vereinbaren sein soll, wird wohl das allerheiligste Geheimnis der Verfasser dieser Kapitel bleiben.
Klaus Weidenbach am Permanenter Link
Warum dürfen die beiden christlichen Großkirchen bei allen Gesetzesvorhaben mitreden und Entscheidungen beeinflussen? Schließlich vertreten sie nicht einmal mehr die Hälfte der deutschen Bevölkerung.