David Hume über Religion

Nichts als Krankheitsfantasien?

David Hume gilt gemeinhin als einer der größten Philosophen, die je gelebt hatten, und bei vielen Gelehrten als authentischste Stimme der Aufklärung. So war es Hume, der beispielsweise Immanuel Kant – wie dieser selbst bezeugt – aus dem "dogmatischen Schlummer" geweckt und dessen Untersuchungen "im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung" gegeben hatte.

In der Epoche der Aufklärung wurden die traditionellen Werte, Konventionen und Institutionen hinsichtlich ihrer Legitimation radikal infrage gestellt und – als Alternative zu Unbegründetem – die meisten Fundamente der Moderne gelegt. Vor allem Humes Kritik an religiösen Dogmen machte ihn schon zu Lebzeiten bekannt und berüchtigt; und auch heute noch ist seine Religionskritik für viele Bekräftigung oder Herausforderung.

Hume wurde im Mai des Jahres 1711 in Edinburgh geboren und als Kind gewissenhaft in den Lehren des Calvinismus, jener extremen Form des Protestantismus, unterrichtet. Mit etwa achtzehn Jahren befreite er sich von der geistlichen Umklammerung und wandte sich dem philosophischen Stoizismus zu. Nach den vergeblichen Versuchen, ein Leben in Einklang mit den Maximen des Calvinismus zu führen, wollte sich Hume gegen die Schattenseiten des Lebens mit dem stoischen Ideal der Unerschütterlichkeit wappnen.

Aber beide Versuche, sich an Denkgebäude zu klammern, die im Grunde lebensfeindlich waren, erwiesen sich als katastrophal. Denn fast ein halbes Jahrzehnt litt Hume unter schweren psychosomatischen Störungen. Aber als Dreiundzwanzigjähriger löste er sich endgültig von diesen Fesseln dank der Erkenntnis, dass die Probleme gar nicht bei ihm lagen. Vielmehr seien die calvinistische Doktrin von der völligen Verderbtheit der Menschennatur sowie die stoische Forderung nach ständiger Beherrschung der Affekte nichts als Lehren, die der menschlichen Natur Gewalt antun.

In dem 1742 veröffentlichten Essay "Der Epikureer", der deutlich autobiographisch gefärbt ist, macht sich der antike Philosoph lustig über die Versuche gestrenger Denker, "ein künstliches Glück" schaffen und Menschen durch strikte Regeln in einen Zustand des Wohlbefindens versetzen zu wollen.

Gegen diese Lehren verteidigt sich der Epikureer unter Berufung auf die "Weisheit der Natur". Warum, so fragt er sich, "sollte ich jene Triebfedern und Grundkräfte, die die Natur mir eingepflanzt hat", zu unterdrücken suchen? Sollte dies "der Weg zum Glück sein? Aber Glück heißt doch Behaglichkeit, Zufriedenheit, Ruhe und Lust – und nicht ängstliche Achtsamkeit, Besorgnis und Strapaze."

Aufgrund seiner Religionskritik scheiterten Humes Bewerbungen um einen Lehrstuhl an einer Universität. Hauptgrund für den klerikalen Widerstand war die Tatsache, dass Hume im dritten Buch seines Jugendwerkes, des Traktats über die menschliche Natur, eine rein diesseitsorientierte Ethik entworfen hatte. Göttliche Gebote oder jenseitige Belohnungen und Bestrafungen als Motive moralischen Handelns spielen keine Rolle. Hume zufolge bedarf es dieser höchst problematischen metaphysischen Annahmen auch gar nicht. Denn vernünftige Menschen sind motiviert, ohne Hoffnung auf ein Paradies und ohne Furcht vor der Hölle ein tugendhaftes Leben zu führen. Denn ein solches trägt seinen Lohn, und zwar besondere Glücksgefühle als unbeabsichtigte Folge moralischen Handelns, in sich.

Kritik an Offenbarungsreligionen

Im Jahr 1748 veröffentlichte Hume die "Untersuchung über den menschlichen Verstand". Der zehnte Abschnitt, betitelt "Über Wunder", enthält jene Überlegungen, die von allen Ideen Humes wohl die meisten Resonanzen auslösten. Dieses enorme Interesse ist durchaus verständlich, denn die Wunderanalyse ist eine fundamentale Kritik aller Offenbarungsreligionen.

Hume behauptet nämlich, dass der Glaube an ein von anderen bezeugtes Wunder niemals gut begründet sein könne und entwickelt folgendes Vernunftprinzip: "Der Glaube an die Existenz eines der traditionellen Wunder ist vernünftig genau dann, wenn die Glaubwürdigkeit der Zeugen größer als die Wahrscheinlichkeit des bezeugten Ereignisses ist."

Nun widerspricht das angebliche Wunderereignis – wie ja auch von Gläubigen betont – einer bekannten Gesetzmäßigkeit. Die Behauptung etwa, dass vor 2000 Jahren ein jüdischer Wanderprediger von den Toten wiederauferstand, ist nur deshalb ein wunderbares Ereignis, weil alle Menschen sterblich sind.

Cover

Cover der Biographie

Aber da das Wunderereignis, von dem berichtet wird, einer Gesetzmäßigkeit widerspricht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es wahr ist, äußerst gering. Somit muss die Glaubwürdigkeit der Zeugen extrem wahrscheinlich, also selbst eine Gesetzmäßigkeit sein, soll der Glaube an das Wunder dennoch vernünftig sein.

Aber Zeugen lügen manchmal, wollen also andere täuschen, gelegentlich irren sie, sind also selbst Opfer kognitiver Fehlschlüsse oder des Betrugs anderer. Mitunter sind es schlichtweg Eitelkeit und Machtwille, die Menschen motivieren, ein Wunder zu verkünden: "Welche größere Versuchung ... gibt es, als für einen Beauftragten, einen Propheten und Sendboten des Himmels gehalten zu werden?"

Da die Glaubwürdigkeit von Zeugen somit keine Gesetzmäßigkeit ist, ist der Glaube an eines der traditionellen Wunder – und alle Offenbarungsreligionen basieren auf solchen – unvernünftig. Der religiöse Glaube basiert auf keinen rationalen Argumenten, sondern auf nicht-rationalen Beweggründen. So ist der Affekt "der Überraschung und des Staunens, den ein Wunder hervorruft", eine "angenehme Gemütserregung".

Dreizehn Jahre nach der Veröffentlichung der Wunderanalyse kamen alle Arbeiten Humes auf den katholischen Index der verbotenen Bücher. Wenn heutzutage die Religionen Wunderberichte eher schützen müssen als dass diese die Religionen stützen könnten, so ist dies vornehmlich Humes Einfluss geschuldet.

Kritik an der natürlichen Religion

Seit den 1750er Jahren hatte sich Hume neben der Kritik an Offenbarungsreligionen auch mit der natürlichen Religion beschäftigt, der Religion vieler Aufklärer. Ohne Offenbarung, sondern allein mithilfe unserer natürlichen Fähigkeiten – Sinneserfahrung und Verstand – sollen Menschen imstande sein zu erkennen, dass die Ordnung des Universums das Ergebnis des Plans einer gütigen und weisen Gottheit ist.

Seit Newtons Naturphilosophie fand dieser Gottesbeweis große Beachtung. So waren alle aufgeklärten schottischen Freunde Humes, allen voran Adam Smith, Anhänger dieses design argument.

Aber Hume blieb skeptisch und schrieb die "Dialoge über natürliche Religion", vielleicht das Meisterwerk der Aufklärung. Zumindest an zwei zentralen Punkten hinterfragt Philo, der Philosoph, die theistische Behauptung einer geplanten Schöpfung durch einen gütigen Gott.

Zum einen könnte die Ordnung, so Philo, auch ganz anders entstanden sein, nämlich durch Anpassung von Materie. Jahrzehnte vor Charles Darwin fragt er seine Gesprächspartner: Finden wir nicht, dass ein Lebewesen "sogleich stirbt, wenn diese Anpassung aufhört" und dass die auseinanderfallende Materie "irgendeine neue Form erprobt? ... Und kann man nicht auf diese Weise den Anschein von Weisheit und Planung ... erklären?"

Zum anderen ist es das Problem der Theodizee, das die Annahme der Existenz eines gütigen Schöpfergottes als äußerst unwahrscheinlich erscheinen lässt. Die seitenlange Darstellung der Übel dieser Welt in Abschnitt 10 ist so detailliert und anschaulich, dass die Vermutung naheliegt, der Autor fühlte sich von der Fülle an Negativem zutiefst betroffen. Hume empfand diese Quantität an Leid und Schmerz offenbar nicht als ein zu ertragendes Schicksal, sondern – wie alle Aufklärer – als einen Skandal und als Zumutung, die es zu lindern gilt.

Hume lässt die Lesenden schmerzhaft lange durch den Guckkasten des Unerträglichen schauen, und diese sehen Kummer, Trübsinn, Krieg, Not, Hunger, Entbehrung, Furcht, Naturkatastrophen, Angst und Schrecken. Der Geburtsvorgang ist qualvoll, Ohnmacht und Schmerz begleiten jeden Abschnitt des Lebens, das im Todeskampf endet. Verachtung, Schmach, Gewaltanwendung, Aufruhr, Verleumdung, Verrat, Betrug – alles das ist Teil des Daseins.

Zwar kann der Mensch "durch Zusammenschluss alle seine wirklichen Feinde überwinden ... Aber baut er sich nicht alsbald eingebildete Feinde auf, Dämonen seiner Phantasie, die ihm abergläubischen Schrecken einjagen und jede Freude am Leben zerstören? Was ihm Vergnügen bereitet, so bildet er sich ein, wird in ihren Augen zum Verbrechen."

Schließlich überlegt sich Philo, was die meisten Menschen auf die Frage, ob sie ihr Leben nochmals durchleben möchten, antworteten. Die meisten, so meint er, wollten die letzten zwanzig Jahre nicht nochmals erleben. Aber die kommenden zwanzig, so ihre Hoffnung, werden besser werden, wird es also mehr Freude und Wohlergehen geben.

Aus der Fülle an Negativem im angeblichen Werk Gottes folgert Philo, dass die behaupteten moralischen Eigenschaften des Schöpfers, seine Güte, Barmherzigkeit und Rechtschaffenheit, mit den Weltübeln nicht vereinbar sind. Somit halten auch Vertreter der natürlichen Religion Unvernünftiges für wahr.

"Aber Gottes Wege sind eben unerforschlich", werden viele Gläubige auf Humes Kritik sogleich zu erwidern geneigt sein. Diese Gebetsmühle plaudert allerdings nur die Wahrheit aus, dass der angeblich Allgütige und Gerechte Dinge schafft oder zulässt, die moralische Menschen niemals schaffen oder zulassen würden.

Resümee

Zu der Unbegründetheit des Glaubens an Wunder und der Unbegründetheit des Glaubens an die Existenz eines lieben Gottes gesellt sich noch das Problem, dass viele Formen von Religiosität eine Gefahr für Moralität darstellen. Ein Grund lautet, dass bereits "die ständige Rücksichtnahme auf ein derart wichtiges Interesse wie das des ewigen Seelenheils" geeignet ist, "die wohlwollenden Gefühlsregungen zu ersticken und einen engherzigen, beschränkten Egoismus zu erzeugen." Religiöse Jenseitsorientierung vermag Menschen, auch wenn sie von Natur aus mit Mitgefühl begabt sind, selbstsüchtig und selbstzentriert zu machen.

Aus allen diesen Gründen fällt Hume im Schlusskapitel der 1757 veröffentlichten Naturgeschichte der Religion ein vernichtendes Urteil: Wenn man "die religiösen Prinzipien untersucht, die tatsächlich in der Welt geherrscht haben, so wird man kaum zu der Überzeugung gelangen, dass sie etwas anderes als die Träume kranker Menschen sind."

Im August 1776 starb Hume ohne die angeblichen Tröstungen der Religion den Tod eines Philosophen. Als der Sarg aus dem Haus getragen wurde, schrie einer: "Er war ein Atheist!", woraufhin ein anderer erwiderte: "Macht nichts. Er war ein guter Mensch." Humes letzten Weg begleiteten viele Bewohner der Stadt. Eine Woche lang bewachten Freunde nachts das frische Grab, da sie vom christlichen Mob eine Schändung des Leichnams befürchteten.

Gerhard Streminger: David Hume. Der Philosoph und sein Zeitalter. München: C.H.Beck 2024, dritte Auflage, 34,00 Euro

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