In Hamburg stellte eine Referentin der Bertelsmann Stiftung erste Erkenntnisse aus dem aktuellen Religionsmonitor vor. Anschließend wurde auf dem Podium diskutiert. Mit dabei: Philipp Möller vom Zentralrat der Konfessionsfreien, Necla Kelek vom Verein Säkularer Islam Hamburg und Ali Ertan Toprak von der Alevitischen Gemeinde Deutschland.
Hamburger Bürgerinnen und Bürger, denen die Werte der freiheitlichen und demokratischen Geschichte ihrer Hansestadt am Herzen liegt, kennen die Einrichtung der "Patriotischen Gesellschaft von 1765". Als älteste zivilgesellschaftliche Organisation im deutschen Sprachraum setzt sie sich nach eigenem Bekunden seit ihrer Gründung im 18. Jahrhundert – noch vor der Französischen Revolution! – für Werte der Aufklärung ein: für weltanschauliche Unabhängigkeit und selbstbestimmtes Handeln. "Damals wie heute", heißt es in einer Selbstdarstellung, "sind Toleranz und Achtung vor dem Anderen die Leitlinien ihres Handelns". Heute ist die Patriotische Gesellschaft "als gemeinnütziger, mitgliedschaftlich organisierter Verein Anlaufstelle für Hamburgerinnen und Hamburger, die überkonfessionell und parteipolitisch unabhängig handeln und sich für das Gemeinwohl organisieren wollen".
Vergangene Woche rief der in ihren Reihen tätige "Arbeitskreis interkulturelles Leben" zu einem interessanten und gut besuchten Informations- und Diskussionsabend auf. Zu dem vielleicht etwas lässig formulierten Thema "Muss Pluralität gestaltet werden?" hatte der Arbeitskreis als Referentin Yasemin El-Menouar eingeladen. Sie ist bei der Gütersloher Bertelsmann Stiftung als Senior Expert verantwortlich für die Themen Religion, Werte und Gesellschaft sowie Demokratie und Zusammenhalt. Zum besseren Verständnis der "gesellschaftlichen Bedeutung von Religion" und der "Einstellungen von Menschen unter anderem zu kultureller Vielfalt", veröffentlicht die Stiftung seit 2009 den vielfach beachteten "Religionsmonitor".
Aktuell erhebt der "Religionsmonitor 2023" in Deutschland, mehreren europäischen Ländern und den USA in Umfragen die Einstellung der Befragten vor allem gegenüber religiösen Bevölkerungsgruppen wie Juden und Muslimen. "Der aktuelle Krieg im Nahen Osten infolge des Terrors der Hamas gegen Israel am 7. Oktober", heißt es in einer Zusammenfassung der Studie, "wirkt sich auch in Deutschland aus – und offenbart Risse in der Gesellschaft". Befragt wurden in Deutschland mehr als 4.300 Menschen über 16 Jahre. Besorgniserregend, stellt die Studie fest, "ist ein immer offener zutage tretender Antisemitismus". Gleichzeitig erführen indes auch Musliminnen und Muslime derzeit in hohem Maße Anfeindungen. "Wir erleben insgesamt ein Klima der Verrohung, in dem sich immer mehr Leute trauen, diskriminierende und hasserfüllte Positionen zu äußern, ob im Internet oder auf der Straße."
Wenig erstaunlich, dass diesen Feststellungen weder seitens der Gäste auf dem Podium noch aus dem Publikum widersprochen wurde. Bestätigen doch die politischen Meldungen in den Medien fast täglich den in der Studie festgestellten Trend.
Prominent besetztes Podium
Was aber der Informationsveranstaltung der Patriotischen Gesellschaft die besondere Würze verlieh, waren die zusätzlich zur Referentin El-Menouar geladenen Diskussionsteilnehmer:
- Die bekannte Begründerin des Vereins Säkularer Islam Hamburg, Necla Kelek
- Ali Ertan Toprak von der Alevitischen Gemeinde Deutschland
- Mehdi Aroui von der Al Manar Stiftung Hamburg
- Hassan Bashloughi von der Vereinigung MTO Islamischer Sufismus
- Evgin Can für die Altorientalischen Orthodoxen Kirchen
- Friedrich Degenhardt, AG Christlicher Kirchen in Hamburg
Arnold Alscher vom "Arbeitskreis Interkulturelles Leben" moderierte behutsam, indem er zunächst allen geladenen Podiumsgästen die Gelegenheit gab, sich vorzustellen und Stellung zu nehmen. Der kluge Beitrag von Necla Kelek stach hier durch besondere Klarheit der Argumente für eine säkulare Gesellschaft hervor.
Der Clou jedoch und – aus Sicht der Säkularen – Gewinn des Abends: Auf Empfehlung des Säkularen Forums Hamburg hatten die Veranstalter einen besonderen Diskutanten geladen und unmittelbar nach dem Bericht der Bertelsmann-Referentin zu Wort kommen lassen: Philipp Möller, den Vorsitzenden des Zentralrats der Konfessionsfreien. Kurz und knackig legte er dar, woran eigentlich allen aufgeklärten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen gelegen sein müsste: Demokratie und Rechtstaat können in einer pluralen Gesellschaft nur gelingen, wenn Politik das Verfassungsgebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates achtet – sowohl gegenüber christlichen als auch islamischen Gemeinschaften. In einer Gesellschaft wie der unsrigen, hob Möller hervor, gehe es nicht vorrangig um die Kritik an den Inhalten von Religion – es sei denn, religiöse Eiferer verfolgten Andersgläubige als Todfeinde. Aber Kirche und Moschee dürften der Politik nicht vorschreiben, was gut oder falsch sei. Das bestimme allein die demokratische Verfassung, die auf den Allgemeinen Menschenrechten beruhe. Der Staat dürfe den Religionsgesellschaften keine Sonderrechte, Privilegien und Geldgeschenke zukommen lassen. Entgegen einer Behauptung seiner Vorrednerin sagte Möller: "Der Säkularismus will Religion nicht aus dem Alltag verdrängen, sondern aus dem Bundestag und den Landtagen."
Am Religionsmonitor kritisierte Möller eine isolierte Betrachtung: "Natürlich wird die Gruppe der Religiösen immer vielfältiger, aber sie wird vor allem immer kleiner." Aus den Ergebnissen der Untersuchung dürfe man nicht schließen, Religion gewinne an Bedeutung. Das genaue Gegenteil sei der Fall, sagte Möller mit Bezug auf die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD. "Für mehr als 80 Prozent der Deutschen spielt Religion keine oder kaum eine Rolle." Da einige Religionsgemeinschaften inkompatibel mit den Grundlagen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seien, schlussfolgerte Möller: "Für die Zukunft der Offenen Gesellschaft ist der Säkularismus alternativlos."
Für seine bestechenden und keineswegs "emotional" vorgetragenen Argumente (wie der Moderator behauptete) erhielt Philipp Möller ordentlich Beifall aus dem Publikum. Besonders als er zum Beleg für den allgemeinen Trend zur Säkularisierung in der deutschen Bevölkerung neueste Umfrage-Ergebnisse der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland nachschob. Demnach gab es Ende 2023 in Deutschland "erstmals ebenso viele konfessionsfreie Menschen (46 Prozent) wie römisch-katholische und evangelische Kirchenmitglieder zusammengenommen (24 bzw. 22 Prozent). Religiös aktiv sind nur noch rund 5 Prozent der Bevölkerung". Heißt: Immer weniger unserer Mitmenschen besuchen sonntags gläubig Kirche und Altar.
Und was sicherlich so manches Vorurteil auf der anderen Seite aufzuheben hilft: Auch immer weniger muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger – Umfragen sagen, nur noch circa 8 Prozent – werfen sich in der Moschee Allah zu Füßen.
Das wird besonders islamistische Radikale ärgern, wie sie neulich in Hamburg demonstrierten und skandierten: "Kalifat ist die Lösung!"
Wer an den genaueren Umfrage-Ergebnissen der im Text genannten Studie interessiert ist, kann sie bei der Bertelsmann Stiftung anfordern.
25 Kommentare
Kommentare
Claudia Leitner am Permanenter Link
was soll das inhaltslose Gerede von "Offener Gesellschaft"? Ist das hier eine "Werbebroschüre"?
Tom Brandenburg am Permanenter Link
Liebe Claudia Leitner, worauf, bitte, bezieht sich der Einwurf vom "inhaltslosen Gerede von 'offener Gesellschaft'"?
Claudia Leitner am Permanenter Link
...
Tom Brandenburg am Permanenter Link
Hatte die etwas spitzfindig geäußerte Frage nicht ganz verstanden. Bei Veranstaltungen wie der in Hamburg lässt sich eben nicht immer alles durchdeklinieren.
Claudia Leitner am Permanenter Link
@ Tom Brandenburg: "Aber klar, in gewisser Weise muss sogar der Säkularismus für seine rationalen Standpunkte werben. Warum nicht?"
Sicher kann und sollte der Säkularismus erklären, warum wir ihn überhaupt brauchen, das könnte man als "Werbung" für den Säkularismus bezeichnen. "Ist das hier eine "Werbebroschüre"?" meint aber etwas anderes – mir gefällt dazu der Kommentar von "SG aus E", ich kopiere ihn hier einfach noch einmal, SG aus E am 4. September 2024 - 20:19:
"(...) Es wäre tatsächlich interessant zu erfahren, was Möller unter 'Offener Gesellschaft' versteht und welche Religionsgemeinschaften er meint, wenn er behauptet, "einige" seien mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung inkompatibel.
'Einige' Kommentatoren des 'hpd' halten den Islam als solchen für mit der FDGO unvereinbar und 'einige' der Autoren des 'hpd' scheinen sämtliche Islamverbände für islamistisch – und damit als gegen die Offene Gesellschaft gerichtet – zu halten. Im Gegenzug könnte man fragen, ob der Säkularismus, wenn man ihn im Sinne der säkularistischen Szene durchdekliniert, noch mit der Offenen Gesellschaft kompatibel ist.
Insofern gebe ich Claudia Leitner Recht, wenn sie anmahnt, häufig gebrauchte Schlagwörter sollten auch mit ausreichend Inhalt gefüllt werden. Sonst bewegt man sich eben doch auf dem Niveau von "Werbebroschüren"."
–––––––––––––
Das ist natürlich eine spannende Frage von "SG aus E": "Im Gegenzug könnte man fragen, ob der Säkularismus, wenn man ihn im Sinne der säkularistischen Szene durchdekliniert, noch mit der Offenen Gesellschaft kompatibel ist."
SG aus E am Permanenter Link
Der ganze Satz im Artikel lautet:
"Da einige Religionsgemeinschaften inkompatibel mit den Grundlagen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seien, schlussfolgerte Möller: 'Für die Zukunft der Offenen Gesellschaft ist der Säkularismus alternativlos.'"
Es wäre tatsächlich interessant zu erfahren, was Möller unter 'Offener Gesellschaft' versteht und welche Religionsgemeinschaften er meint, wenn er behauptet, "einige" seien mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung inkompatibel.
'Einige' Kommentatoren des 'hpd' halten den Islam als solchen für mit der FDGO unvereinbar und 'einige' der Autoren des 'hpd' scheinen sämtliche Islamverbände für islamistisch – und damit als gegen die Offene Gesellschaft gerichtet – zu halten. Im Gegenzug könnte man fragen, ob der Säkularismus, wenn man ihn im Sinne der säkularistischen Szene durchdekliniert, noch mit der Offenen Gesellschaft kompatibel ist.
Insofern gebe ich Claudia Leitner Recht, wenn sie anmahnt, häufig gebrauchte Schlagwörter sollten auch mit ausreichend Inhalt gefüllt werden. Sonst bewegt man sich eben doch auf dem Niveau von "Werbebroschüren".
Evil Ernie am Permanenter Link
Aber ja, an dem Punkt "einige seien mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung inkompatibel..." würde ich das "einige" streichen.
Im Gegenzug könnte man das sicher fragen, macht aber wenig Sinn. Und sollte die Frage ernst gemeint sein, lautet die Antwort "Ja".
Oder was verstehen Sie unter einer "offenen Gesellschaft"?
SG aus E am Permanenter Link
"... Oder was verstehen Sie unter einer 'offenen Gesellschaft#?"
Um es in einem Bild darzustellen: Die einen verstehen unter Offener Gesellschaft eine Gesellschaft, in der die Menschen ihr Haar offen tragen, die anderen verstehen unter Offener Gesellschaft eine Gesellschaft, in der Menschen ihr Haar tragen können, wie sie wollen.
Evil Ernie am Permanenter Link
Liegt doch schon beides nahe beeinander, die eine Variante inkludiert sogar die Andere.
Evil Ernie am Permanenter Link
Liebe Claudia,
für mich ist die Schlussfolgerung von Phlipp Möller durchaus inhaltsvoll und nachvollziehbar.
Claudia Leitner am Permanenter Link
@ Evil Ernie "SG aus E" hat mich verstanden – Sie nicht? Warum nicht?
Evil Ernie am Permanenter Link
Wer weiß, vielleicht sind Sie selbst SG aus E und haben nur versehentlich unter diesem Namen geantwortet. Oder Sie beide sind in der selben Kirche, oder Geschwister?
Könnte ja sein. ;)
Claudia Leitner am Permanenter Link
@ Evil Ernie "Nicht ist unmöglich – Toyota." Versuchen Sie doch einfach mal eine vernünftige Antwort, statt Verschwörungstheorien zum Besten zu geben.
Evil Ernie am Permanenter Link
(...)
Claudia Leitner am Permanenter Link
@ Evil Ernie Sehr "charmante" Antwort. Ich denke, wir sollten es dabei belassen.
Evil Ernie am Permanenter Link
@ Claudia Leitner, ja gerne, belassen Sie es doch dabei.
Claudia Leitner am Permanenter Link
@ Evil Ernie Smiley oder nicht Smiley, das ist hier die Frage: da: https://hpd.de/comment/90596#comment-90596 ist kein Smiley: ist das trotzdem ein "Spaß"?
Evil Ernie am Permanenter Link
Smiley hier, Smiley dort... Aber nein, das ist ganz und gar nicht die Frage.
"... Oder Sie beide sind in der selben Kirche, oder Geschwister? Könnte ja sein. ;)"
Tom Brandenburg am Permanenter Link
Hallo, Frau Leitner, wohin Ihre Fragen steuern, weiß ich nicht. Bitte entschuldigen Sie mich, wenn ich versuche zu antworten mit Worten, die ich – an andere gerichtet – schon einmal von mir gegeben habe.
https://gbs-hh.de/cms/2024/07/12/klein-aber-fein-unser-gespraechskreis-hamburg-weltlich/
Mit besten Grüßen, tom Brandenburg, Hamburg
Claudia Leitner am Permanenter Link
@ Tom Brandenburg Antworten Sie doch einfach "SG aus E" – ich habe einen Kommentar ja bewusst noch einmal herausgestellt.
Claudia Leitner am Permanenter Link
@ Tom Brandenburg "Alles klar?" Eben nicht: Ich habe gerade Ihren Hinweis gelesen: https://gbs-hh.de/cms/2024/07/12/klein-aber-fein-unser-gespraechskreis-hamburg-weltlich/ Zitat daraus: "...
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Wenn Ihnen das Gerede von einer offenen Gesellschaft zu inhaltslos erscheint, möchte ich Ihnen empfehlen, Popper selbst zu lesen oder einem Interview von ihm zu lauschen (Karl Popper - Das Prinzip Kritik in der Offene
Stefan Dewald am Permanenter Link
Der Religionsmonitor ist doch diese Umfrage, die ich mal mit Informationen aus dem Handbuch meines Toasters beantwortet habe. Demnach ist mein Toaster schwer katholisch. Tja nun.
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Hat Ihnen Ihr Toaster auch Hinweise auf eine sachbezogene Kritik gegeben? Wenn Sie hier mit Klarnamen schreiben, deutet nichts daraufhin, dass Sie über die notwendige Expertise verfügen.
SG aus E am Permanenter Link
"Aufbau und strukturierende Prinzipien des Religionsmonitors" erklärt Stefan Huber, Universität Bern, hier:
Ich hoffe, der Link funktioniert und Stefan Dewalds Toaster hat die nötige Geduld, elf Seiten Text zu lesen.