Glaube und Kirchenaustritt

Wer einmal raus ist, schafft den Absprung

An den Weihnachtstagen trifft man sich mit der Familie und mit Freunden, während die Kirchen leer bleiben. Nur eines von vielen Beispielen, dass religiöser Glaube in Deutschland zusehends an Einfluss verliert. Das gilt nicht nur für die großen Kirchen, sondern auch für andere Formen von Religion. Zu diesem Ergebnis kommt der vor kurzem veröffentlichte Auswertungsband der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU).

"Wie hältst du's mit der Kirche?", so der Titel des 695 Seiten starken Wälzers, herausgegeben vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (SI-EKD) und der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP). Grundlage ist eine Befragung von 5.228 Personen, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa zwischen Oktober und Dezember 2022 durchführte. Nachdem erste Ergebnisse bereits Ende 2023 publiziert wurden, liefert der neue Band eine ausführliche Analyse.

Zusammengenommen fügen sich die Beiträge zum Bild einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft. Schon jetzt bilden die Säkularen mit 56 Prozent die absolute Mehrheit in Deutschland. Von diesen gehören wiederum 36 Prozent zu den "Säkular-Geschlossenen". Diese würden sich laut Studie durch ein "naturalistisch-szientistisches Weltbild" auszeichnen, das Religion generell als überholt und schädlich ansehe. Verglichen mit allen anderen untersuchten Gruppen verfügen die Säkular-Geschlossenen über die höchste Schulbildung und engagieren sich öfter ehrenamtlich, zudem neigen sie am seltensten zu Autoritätsdenken. Weitere 14 Prozent der Säkularen sind "indifferent", das heißt, ihr weitgehend säkulares Weltbild zeigt Spuren anderer weltanschaulicher Orientierungen, 6 Prozent sind "säkular offen", also noch weiter aufgeschlossen für verschiedene Weltdeutungen.

Dem stehen nur 13 Prozent "hoch Religiöse" in Deutschland gegenüber. Sie sind fast alle Mitglied einer Kirche. Doch andererseits sind wiederum die meisten Kirchenmitglieder nicht religiös. Diese Mitgliedschaft ohne Glauben wird in der Studie auch "belonging without believing" genannt. Seltener sei ein "believing without belonging", also ein Festhalten am Glauben ohne kirchliche Einbindung, anzutreffen. Wer kein Kirchenmitglied ist, wird auch kaum in eine organisierte Glaubensgemeinschaft eintreten. Deshalb profitieren weder die Freikirchen noch andere Religionsgesellschaften vom Schwund bei den Großen. Wer aus der Kirche austritt, schafft in der Regel auch den Absprung in die Konfessionsfreiheit.

Über Konfessionsgrenzen hinweg steht vor allem die Kirchensteuer in der Kritik. 59 Prozent der Befragten stimmen zu, dass sich die Kirchen anderweitig finanzieren sollten, dagegen sind nur 12 Prozent mit der bestehenden Regelung zufrieden. Die stärkste Ablehnung fanden die Forscher – wenig überraschend – unter Ausgetretenen oder Personen, die nie Kirchenmitglied waren. Interessanterweise folgern sie daraus, dass eine Abschaffung der Kirchensteuer die gegenwärtige Austrittswelle nicht signifikant aufhalten würde.

Gleichwohl können auch wohlwollende Interpretationen nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine breite Mehrheit der Befragten bei den Kirchen dringenden Reformbedarf anmahnt. 96 Prozent der Katholiken und 80 Prozent der Protestanten attestieren der eigenen Kirche nur dann eine Zukunft, wenn sie sich grundlegend verändert, auch durch ein stärkeres Engagement für gesellschaftliche Ziele wie Klimaschutz und Antidiskriminierung.

Der Religionsunterricht an den Schulen sollte nach dem Willen Vieler ebenfalls neu überdacht werden. So spricht sich eine Mehrheit von 55 Prozent gegen eine Mitwirkung der Kirchen am Religionsunterricht aus. 84 Prozent der Befragten sind dafür, im Schulfach Religion Kinder unterschiedlicher Glaubensgruppen gemeinsam zu unterrichten.

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