Buch: "Abermals krähte der Hahn"

"Dieses Buch war die entscheidende Wende in meinem Leben"

OBERWESEL. (hpd) Karlheinz Deschners unverzichtbares Meisterwerk "Abermals krähte der Hahn" wurde vor Kurzem vom Alibri-Verlag neu herausgegeben. Der hpd sprach mit Herbert Steffen, Vorstandsvorsitzender der Giordano-Bruno-Stiftung, über das Buch und welche Rolle es in seinem Leben spielt.

hpd: Für viele Menschen zählt "Abermals krähte der Hahn" zu den wichtigsten religionskritischen Büchern. Wie bist du auf das Buch gestoßen?

Herbert Steffen: Im Jahr 1990 hat mir mein Schwager das Buch in die Hand gedrückt. Zuvor hatte ich noch nie etwas von Karlheinz Deschner gehört. Ich habe es mit auf eine Reise genommen und gelesen, als ich auf einer französischen Südseeinsel war. Gelesen ist falsch gesagt. Ich habe es verschlungen. Denn dort erfuhr ich zum ersten Mal in meinem Leben von den gewaltigen Verbrechen der Kirche, an die ich ja fast 40 Jahre bedingungslos geglaubt habe. Was ich da und in der Folge in seinen anderen Büchern las, bestärkte mich nicht nur in meiner früheren Entscheidung, sie öffneten mir erst die Augen für all das, was mir bis dahin noch weitgehend verborgen geblieben war.

Zeigten mir meine früheren Recherchen überwiegend, auf welchen Sand der Fels Petri gebaut war, so schilderte Karlheinz Deschner die schrecklichen Verbrechen der Kirche über Jahrhunderte, die Unterdrückung und Knechtung des Großteils ihrer Mitglieder, und die Verhinderung von echtem Fortschritt für die Menschen.

Ich musste erkennen, dass eine Organisation, die Liebe predigte, in der täglichen Praxis Millionen Menschen auf das schändlichste betrog, sie ihrer Lebensqualität beraubte und immer auf der Seite der Herrschenden und Sieger stand, nie aber auf der Seite der gebeutelten und gequälten Kreatur.
 

hpd: Gab es nicht schon vorher Zweifel an der Kirche und ihren Lehren?

Herbert Steffen: Ich bin erst 1977 aus der Kirche ausgetreten. Es hat lange gedauert, bis ich mich zu diesem Schritt entscheiden konnte. Danach war das Thema Kirche für mich intellektuell, aber nicht emotional erledigt. Denn meine Jugend war geprägt von einer katholischen, tief religiösen Erziehung – im Elternhaus, aber auch und vor allem in einer neun-jährigen Internatszeit.

Mit siebzehn schon war ich ein katholischer Fundamentalist. Ich weiß deshalb auch, wie Fundamentalisten ticken. Laue Christen waren mir ein Gräuel, getreu dem Bibelspruch: "Wärst du doch kalt oder heiß gewesen; da du aber lau warst, speie ich dich aus."

Ein mehrwöchiger Aufenthalt im sogenannten Heiligen Land, die Erfahrung mit der Verlogenheit christlicher Pilger, das Beobachten der handgreiflichen Kämpfe der verschiedenen christlichen Religionsgemeinschaften, vor allem aber das Kennenlernen der Qumranschriften und der erstmalige Kontakt mit dem Gilgamesch-Epos ließen mich aufhorschen.

Zu Hause angekommen, besorgte ich mir erste kirchenkritische Schriften. Bis dahin hatte ich alle Bücher, die auf dem Index standen, gescheut wie der Teufel das Weihwasser. In diese Zeit fiel auch mein aufkeimendes Interesse für Evolution und Kosmologie, die mein bisheriges Weltbild völlig veränderten. Was ich da las und was mir bisher in meiner schulischen Ausbildung vorenthalten worden war, öffneten mir mehr und mehr die Augen.  

Ich musste – und das war ein schmerzhafter Erkenntnisprozess – immer mehr und immer deutlicher erkennen, dass ich mein bisheriges Leben ausgerichtet hatte auf Richtlinien und Gesetze, die auf den Riten einer Hirtenreligion, vermischt mit Märchen und Mythen des vorderen Orients, aufgebaut waren. Der dadurch ausgelöste, unaufhaltsame Verlust meines bis dahinfest gefügten Glaubensgebäudes, war sehr, sehr schmerzhaft. So muss es wohl Menschen gehen, die jahrelang stark drogenabhängig waren und dann unvermittelt auf Entzug gesetzt werden.

Die Wut im Bauch gegen die Kirche hat mir aber erst "Abermals krähte der Hahn" gegeben. Das Buch war die entscheidende Wende in meinem Leben. Dadurch wurde mir klar: Gegen diesen Moloch, den wir überall um uns herum haben, muss man irgendetwas tun. Als ich das Buch fertig gelesen hatte, gab es für mich nur noch eines: Schnell nach Deutschland zurück und Karlheinz Deschner persönlich kennenlernen.
 

hpd: Wie war der erste Kontakt zu Deschner? 

Herbert Steffen: Der war sehr kurios. Ich hab lange nach Deschners Wohnort gesucht, bis mir schließlich jemand mitteilte, dass er in Haßfurth wohnt. Mehr wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich bin dann nach Haßfurth gefahren und habe dort nachgefragt. Dort kannte man natürlich einen Herrn Deschner. Ich bin dann in die Goethestraße 2 gefahren und habe an der Haustür geklingelt. Die Tür hat sich nur einen Spalt geöffnet. Deschner war zunächst sehr abweisend. 
Aber ich bin ein zäher Bursche und habe es dann doch geschafft einen halben Tag mit Karlheinz Deschner zu sprechen. 

Er erzählte mir, dass sein Mäzen in der Schweiz gestorben war. Daher könne er an der Kriminalgeschichte des Christentums nicht mehr weiter schreiben, sondern müsse wieder auf Lesereisen gehen. Dann habe ich ihn gefragt: "Herr Deschner, darf ich ihr Mäzen sein?" Da war er überrascht und sagte: "Aber sie kennen mich doch gar nicht!" Ich antwortete: "Doch. Ich habe Ihr Buch gelesen. Mehr brauche ich von Ihnen nicht zu kennen. Ich bin ab heute Ihr Mäzen."
 

hpd: Und so konnte er sich dann konzentriert seiner schriftstellerischen Arbeit widmen?

Herbert Steffen: In der Folgezeit habe ich ihn dann gebeten keine Lesereisen mehr zu machen. Er hatte dadurch 25 Jahre Zeit nur noch zu schreiben. Das war natürlich auch mit Nachteilen verbunden. Er kam nicht mehr unter Menschen. Er war praktisch in seinem Büroraum wie eingemauert. Aber er hat sein zehnbändiges Werk der Kriminalgeschichte des Christentums fertiggestellt und noch einige Bücher mehr. Das war der Lohn seiner Arbeit und meiner Unterstützung. Und es darf nicht vergessen werden: Ohne Karlheinz Deschner  gäbe es keine Giordano-Bruno-Stiftung.
 

hpd: Lieber Herbert, vielen Dank für das Interview!

Karlheinz Deschner

Abermals krähte der Hahn
Eine Demaskierung des Christentums von den Evangelisten bis zu den Faschisten

1019 Seiten, gebunden, Euro 44.-
ISBN 978-3-86569-188-0

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