BERLIN. (hpd) Am Freitag wird der Bundestag darüber entscheiden, ob die seit 140 Jahren bestehenden Regelungen zur Suizidassistenz kriminalisiert werden sollen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (80 %) spricht sich für die Möglichkeit eines selbstbestimmten Sterbens aus - doch deren Stimmen wurden auch bei Plasberg nicht gehört. So wie es dem Großteil der Bundestagsabgeordneten scheinbar gleichgültig ist, was die Wähler wollen.
Das zeigte sich an den Einlassungen der SPD-Politikerin Kerstin Griese, die mit verbalen Nebelkerzen versuchte, in der Diskussion jegliche Fachkenntnisse zu verhindern. Das unterstütze auch die Redaktion der ARD-Sendung mit der Auswahl der Gäste. Wenn, dann kann man einzig den Moderator Jürgen Domian als Gesprächspartner bezeichnen, der für die Selbstbestimmung auch am Lebensende eintrat. Er war auch der einzige, der deutlich darauf hinwies, dass die politische Debatte an der Realität vorbeiläuft und warf den Politikern vor: "Sie missachten die Mehrheitsmeinung der Deutschen."
Es war interessant zu beobachten, dass es nach dem Einspieler über eine krebskranke Frau, die ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen möchte, nur einen kurzen Moment der Betroffenheit in der Diskussionsrunde gab – bis Frau Griese juristische Haarspalterei betrieb, die Palliativmedizinerin Dr. Susanne Rih auf den Segen der Palliativmedizin verwies und das Einzelschicksal der Frau dabei völlig aus den Augen verlor. Denn gerade in den Fällen, in denen Palliativmedizin nicht hilft oder abgelehnt wird, muss ein assistierter Suizid möglich sein. Doch darüber wollen die Gegner nicht reden.
Besonders augenfällig wird dies an der Person und den Auffassungen des ehemaligen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche Deutschlands, Nikolaus Schneider. Er lehnt weiterhin Hilfe zum Suizid ab; hätte aber "aus persönlichen Gründen" seine Frau Anne "in die Schweiz" begleitet, wenn diese aufgrund ihrer Krebserkrankung den Wunsch gehabt hätte, sich beim Sterben helfen lassen zu wollen. Was er für sich aus Menschlichkeit und Liebe als Selbstverständlichkeit betrachtet, möchte er anderen Menschen nur eingeschränkt zugestehen. Anne Schneider kam am Ende der Sendung ebenfalls zu Wort und stellte klar, dass sie für ärztliche Hilfe im Falle eines selbstbestimmten Sterbens einsteht. Von ihr kommt der Satz des Abends: an ihren Mann gerichtet sagte sie: "Du liebst mich. Aber ich erwarte doch nicht, dass Ärzte mich lieben." Und deshalb fordert sie, dass ihr ein Arzt das tödliche Medikament bereitstellen dürfen solle und sie beim Sterben – wie auch die Familie – begleite.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach konnte mit seinen ruhigen, vernünftigen Argumentationen kaum durchdringen. So gingen seine Argumente leider viel zu häufig unter. Vor allem seine Parteikollegin zeigte großes Können darin, darauf gar nicht erst einzugehen. Die beste Leistung des Abends war der Gesichtsausdruck Lauterbachs, als über den Chef der Bundesärztekammer, Montgomery, gesprochen wurde.
Am Tisch saß zudem Roger Kusch aus dem Vorstand des Vereins Sterbehilfe Deutschland. Er sollte vermutlich den anderen an der Diskussion Beteiligten nach Wunsch des Moderators als Projektionsfläche für ihre Ablehnung dienen. Eine Rechnung, die nicht ganz aufging. Kusch ließ sich nicht provozieren.
Moderator Frank Plasberg hat in der Diskussion viel zu häufig unkritisch kommentiert und geleitet. So sprach er tatsächlich von "Selbstmord" – eine Bezeichnung, die jeden zusammenzucken läßt, der sich im letzten Jahr ein wenig mit dem Thema befasst hat. Immer wieder ließ er zu, dass Frau Giese ihre Nebelkerzen zündete und über die Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung keine Änderung des Status Quo fordert ging er einfach hinweg.
Als Fazit kann man Domian nur zustimmen, der fragte, weshalb man im 21. Jahrhundert noch über eine Selbstverständlichkeit diskutieren müsse. Der Mensch hat eine verbriefte Würde und jedem Einzelnen steht allein zu, darüber zu befinden, ob er sein Leben lebenswert findet.
11 Kommentare
Kommentare
Hans Christian Cars am Permanenter Link
Eine gute Zusammenfassung einer in Grunde genommen armselige Debatte.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Die Aussage von Nikolaus Schneider macht mich richtiggehend wütend:
Wahrscheinlich hat er auch ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz, von dem er das bezahlen kann.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich sah die Sendung genauso.
Zu einem weiteren "Argument" in der Sendung, der Verein "Sterbehilfe Deutschland" würde horrende Summen für Sterbebegleitung verlangen (in der Spitze 7.000 Euro), kam mir eine Frage in den Sinn: "Wie viel Geld verdienen wohl Palliativmediziner für das möglichst lange hinausgezögerte Sterben eines ihrer Patienten?" Ich vermute, selbst mit 7.000 Euro kommt man da nicht weit.
Was mich auch noch irritiert hat, war die Diffamierung von Menschen, die schlicht und ergreifend lebensmüde sind. Ob ich als Person mein Leben für fortsetzungswürdig erachte, ist allein meine Entscheidung. Auch der Gesetzgeber hat den einstigen Straftatbestand der Selbsttötung beseitigt.
Warum ist es so schwer zu respektieren, dass Menschen aus völlig privaten Gründen, die auch jenseits aller medizinischen Diagnosen liegen können, nicht mehr leben wollen. Es gibt keine gesetzliche Lebenspflicht. Das einzige, was der Staat (verbesserungswürdig) anbieten muss, sind Hilfen für Menschen in psychischer Not. Vereinsamung kann ein Problem sein, dem durch Selbsthilfegruppen Abhilfe geleistet werden kann.
Doch letztlich - dies müssen auch Kirchenvertreter (die gnädiger Weise - und ohne neue Offenbarung durch Gott autorisiert worden zu sein - die Hölle für Selbsttöter abgeschafft haben) irgendwann respektieren, so wie wir ihren Geisterglauben respektieren sollen, dass jeder Mensch Herr seines eigenen Lebens ist. Es ist durch seine Eltern ermöglicht worden, aber kein Gott ist Besitzer einer fabulierten "ewigen Seele". Mit der Höllenstrafe hätte die hohe Geistlichkeit auch gleich das Jenseits abschaffen sollen. So hätten viele weniger Angst vor dem Sterben - ob aus Krankheitsgründen oder weil man des Lebens überdrüssig ist.
Sicher ist dies ein finaler Gang ohne Reset-Taste, ohne Rückwärtsgang oder Strg Z. Deshalb - wie gesagt - sollte der Staat (wenn keine Familie mehr da ist) Hilfen bereitstellen. Aber wenn jemand trotzdem begleitet in den Tod gehen möchte, dass sollte man ihn oder sie ohne juristische Hürden gehen lassen. So viel sollte den Moralhütern der Wille des Menschen wert sein.
Ulrike Ludy am Permanenter Link
Also wenn jemand dreimal sagt, dass er nicht mehr leben will darf der Herr Doktor ihm beim Selbstmord helfen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Deshalb bin ich ja der Meinung, dass die Hilfen des Staates - falls das soziale Umfeld der Person versagt - verbessert werden müssen.
Aber selbst danach bleibt ein gewisser Rest, der sein Leben nicht fortsetzen möchte. Die Trennlinie ist i.d.R. nicht schwer zu erkennen: Ist jemand körperlich gesund, dann werden sich Perspektiven finden lassen. Ist jemand psychisch krank, kann man u.U. medikamentös oder therapeutisch helfen. Doch wenn alles nicht fruchtet, dann muss es Wege geben - so unverständlich und bitter dies erschienen mag - auf denen jemand seinem Leben würdevoll ein Ende setzen kann, ohne Lokführer oder Passanten vor Hochhäusern zu traumatisieren.
Das ist ein Tabuthema, aber wer überzeugt ist, dass jeder Mensch Besitzer seines eigenen Lebens ist, kann nicht anders, als auch diese schwer zu verstehenden Selbsttötungen zuzulassen. Vielleicht mit einer Wartezeit ab Todeswunsch von mindestens einem Jahr, um sicherzustellen, dass es keine vergängliche Lebensphase ist. Und in dieser Zeit müssen Selbsthilfegruppen oder staatliche, therapeutische Hilfen greifen.
Ich könnte mir vorstellen, dass eine solche Möglichkeit Menschen eher von (stümperhaften) Selbsttötungsversuchen abhalten könnte, wenn sie sich einem verständnisvollen System anvertrauen dürfen, das im Extremfall auch die faktische, sichere und schmerzfreie Tötung zulässt. Wer will sich schon in einer verzweifelten Lebenslage einer Institution anvertrauen von der bekannt ist, dass sie unter allen Umständen die Selbsttötung verhindern will?
Und dieses aus-sich-Herausgehen kann schon der erste Schritt zu einer Rückkehr ins Leben sein. Es geht letztlich um Optionen, die ALLES abdecken - und zwar ohne Druck, schlechtes Gewissen oder moralische Zeigefinger.
Oskar Degen am Permanenter Link
Man tut, denke ich, der r.k.K. zu viel Ehre an, wenn man - zugegeben pragmatisch verkürzt - davon spricht, sie habe die Hölle für "Selbstmörder" abgeschafft.
"2283 Man darf die Hoffnung auf das ewige Heil der Menschen, die
sich das Leben genommen haben, nicht aufgeben. Auf Wegen, die
Gott allein kennt, kann er ihnen Gelegenheit zu heilsamer Reue
geben. Die Kirche betet für die Menschen, die sich das Leben
genommen haben."
Durchaus bemerkenswert, dass die vom heiligen Geist durchwehte Kirche keine genaueren Angaben machen kann. Dieses Wischi-Waschi kann man offensichtlich auf alle Sünder/n anwenden.
Wo ist nur das knackig klare "Anathema" geblieben ?
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Die Sendung war -wie in der Regel bei Plasberg- unsäglich.
Der Kritik an Nikolaus Schneider stimme ich voll zu. Ich habe ihn als Kirchenvertreter bei diesem Thema sowieso auf der Abhakliste. Es mag ihn ehren, dass er aus Liebe zu seiner Frau ihren gewollten Suizid unterstützen würde. Was ihn aber nicht ehrt, ist, daraus in der Öffentlichkeit eine große Sache zu machen und sich offenbar nicht darüber klar zu sein, wie diese Zwiespältigkeit öffentlichen und privaten Handelns ankommt.
Bernd Kammermeier hat einen aus meiner Sicht sehr wichtigen Aspekt noch einmal auf den Punkt gebracht: Es kann doch nicht immer nur um die final / terminal Kranken gehen (obwohl die natürlich die meiste Hilfe benötigen, wenn sie sich für einen Suizid entschieden haben). Außerhalb psychischer Krankheit, die im übrigen auch nach wie vor in unerträglicher Weise vorurteilsbehaftet ist, gibt es nach meiner Ansicht sehr wohl die freie, rationale Willensentscheidung, sein Leben nicht mehr für lebenswert zu halten. Das auch ohne Lebenskatastrophen besonderer Art. Aber so weit zu denken, erschüttert offenbar die Grundfesten unserer Berufsmoralisten.
Die Stoa als Weltbild fehlt mir nicht, aber manchmal fehlen mir die Stoiker.
Michael Fischer am Permanenter Link
Im Grunde lief die Konfrontation m.E. zwischen Lauterbach und Domian auf der einen und Griese/Rih auf der anderen Seite ab, während Kusch und Schneider mehr die Randfiguren abgaben.
Lauterbach wirkte absolut kompetent und Domian brachte die emotionale Komponente rein - und die beiden Damen damit doch ziemlich in Bedrängnis.
Dein Statement zur Griese: "diese Frau scheint mir intellektuell hier völlig überfordert" schoß mir gestern auch durch den Kopf! Wirkte bisweilen regelrecht begriffsstutzig (Und so jemand darf bei der Gesetzgebung mit Konsequenzen für 80 Millionen Bürger mitentscheiden! Ich fasse es nicht!).
Susanne Rih scheint dagegen eine Egozentrikerin in Reinkulur zu sein - völlig unfähig, sich auch nur ansatzweise in eine andere Sichtweise als ihre eigene hineinzuversetzen.
Thomas Friedrich am Permanenter Link
Mich hat auch schockiert, dass Plasberg das Wort "Selbstmord" benutzt. Machen aber auch Journalisten regelmäßig. Offenbar fehlt hier jede sprachliche Sensibilität.
Die Lobhudelei für Herrn Schneider kann ich auch nicht begreifen. Will seine Frau in die Schweiz begleiten und befürwortet ein Gesetz, das alle, denen das Kleingeld für diesen Trip fehlt, zu einem langsamen und oft qualvollen Tod verurteilt. Ich nenne das unmenschlich und hypokritisch.
Christian Walther am Permanenter Link
Genau, so schlimm war es!! Ich hatte Frau Griese bisher nur sachlich angegriffen, - hätte ich noch einmal zu schreiben, würde es mir sehr schwer fallen, sachlich zu bleiben.
C.W.
Dennis Riehle am Permanenter Link
Habe ich möglicherweise eine andere Sendung gesehen? Ich hatte den gegensätzlichen Eindruck von dem, was der Beitrag hier schildert.
Mich persönlich störte aber insbesondere, dass Domian die lautstärkste und nicht immer sachlichste Art der Diskussion wählte. Und auch von Kusch hörte ich viele deutliche Worte, die aber vielfach derart ungeschickt formuliert waren, dass sie seinem eigentlichen Anliegen widersprachen und die gegenüberliegende Seite in ihren Vorurteilen bestätigten.
Was die Moderation betrifft, war Plasberg dieses Mal überaus zurückhaltend in der Lenkung der Debatte. Allerdings hatte ich - im Gegensatz zu der Mehrheitsmeinung der Kommentare hier - viel eher das Gefühl, dass er den Befürwortern der Sterbehilfe mindestens genauso viel Raum gab wie der anderen Seite. So konnte (oder wollte) Plasberg den leider oftmals seine Mitdiskutanten unterbrechenden und nicht immer rational angehenden Domian kaum zügeln. Und die Provokationen, denen ich auch die Benutzung des Wortes "Selbstmord" zuschreibe, konnten beide "Parteien" nicht wirklich aus der Reserve locken.
Insgesamt fehlten neue Impulse, die alleinige Konzentration auf die Thematik "Selbstbestimmung" ist für eine solche Debatte unzureichend, um wirklich zum Nachdenken zu animieren...