Kommentar

Ein europäischer Islam als überzeugende Antwort auf die Mordanschläge von Paris

BERLIN. (hpd) Welche Strategien sind notwendig, um gegen den islamistischen Terror vorzugehen? Diese Frage stellt sich Jürgen Roth in seinem Kommentar. Es hilft jedenfalls nicht, darauf zu verweisen, dass die meisten Opfer islamistischer Anschläge selbst Muslime sind und dass Islam und Islamismus nichts miteinander zu tun haben. Es hilft aber auch nicht, "den" Islam als ideelles Gesamtopfer mit einem Schutzzaun zu umgeben.

Ausdruck gemeinsamer Betroffenheit nur ein erster Schritt

Es bedarf keiner prophetischen Gaben um vorherzusagen, dass die Anschlagsserie in Paris die Stimmungslage gegenüber den Flüchtlingen in Europa weiter verschärfen wird. Das gilt auch für Deutschland. Unabhängig von den konkreten Ermittlungsergebnissen der französischen Sicherheitsbehörden ist zu befürchten, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von Einwanderung gerade aus muslimisch geprägten Ländern abnehmen wird, während zugleich die Zustimmung zu Forderungen nach mehr Abgrenzung und Abschiebung wächst. "Macht die Grenzen dicht – wer nicht reinkommt, macht auch keinen Ärger!" Das ist knapp zusammengefasst die gefährliche und immer mehr um sich greifende Stimmungslage im Land. Das drückt sich – schon lange vor der Anschlagsserie – in den Umfrageergebnissen für die Parteien aus, aber auch bei gezielten Nachfragen zu Sachthemen. Dabei geben sich viele Befragte noch Mühe, im Rahmen der politischen Korrektheit zu antworten. Sogar die bisher hoch angesehene und beliebte Bundeskanzlerin steht unter einem steigenden Druck, ihren an den Geboten der Menschlichkeit orientierten Kurs zu verlassen. Sie hat bereits eine Reihe von Konzessionen gemacht.

Was ist zu tun?

Selbstverständlich sind demokratische Parteien und Verbände ebenso wie Private dazu aufgerufen, den Stimmen der Ausgrenzung offen zu widersprechen und ihnen die Hoheit über den Stammtischen zu verweigern. Das geschieht auch. Es wird aber nicht ausreichen, wenn Wohlmeinende – ich mag den Begriff der Gutmenschen nicht (klingt nach Gutshof) – durch die Talkshows ziehen und darauf verweisen, dass die meisten Opfer islamistischer Anschläge selbst Muslime sind und Islam und Islamismus nichts miteinander zu tun haben. Es bringt nichts, mit dem sprachlich wie gedanklich schiefen Begriff der "Islamphobie" den "Islam" als fingierte Opfergemeinschaft in eine schicksalhafte Besenkammergemeinschaft zusammenzusperren und zu glauben, ihn durch Wortakrobatik vor jeden – auch internen – kritischen Dialog zu schützen. Man kann nicht auf der einen Seite Kritikern des Islam (zu Recht!) vorwerfen, undifferenziert zu agieren, zugleich aber selbst "den" Islam letztlich doch als ideelles Gesamtopfer mit einem Schutzzaun zu umgeben.

Die Optimierung der Sicherheitsapparate ist ganz sicher unverzichtbar, wenngleich das Beispiel Frankreich auch hier die Grenzen dieser Strategie aufzeigt. Aber weder Auf- und Ausrüstung, noch allseitig gepflegte Distanzierungs- und Differenzierungsrituale zwischen Islam und Islamismus werden genügen, Entfremdung und Misstrauen in den Köpfen abzubauen. Das gilt letztlich auch für die Verdammung der IS durch viele Muslime in aller Welt.

Eine wirkungsvolle Strategie gegen IS und andere vergleichbare Gruppen muss sich zunächst einmal klar machen, dass diese Gruppierung auf den “Kampf der Kulturen” und ihre wechselseitigen Feindbilder angewiesen ist. Sie wollen die Kulturen gegeneinander aufzuhetzen und so den Nährboden für ihre militärisch-terroristischen Aktivitäten legen. Es ist kein Zufall, dass junge Menschen aus Europa in den Krieg ziehen – und/oder Anschläge begehen – deren Eingliederung in die westliche Gesellschaft nicht geklappt hat. Je isolierter und sozial abgehängter Muslime in Europa leben, umso leichter finden sich junge Menschen, die begeistert in den Heiligen Krieg ziehen. Je größer die kulturelle und soziale Diskrepanz, umso stärker wird der Terrorismus. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass deren Überwindung eine zentrale Voraussetzung ist, dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen

Kampf gegen Terror im Rahmen als interkulturelle Herausforderung

Viel zu kurz kommt in der aktuellen Diskussion der gesellschaftspolitische Aspekt: die gemeinsame interkulturelle Anstrengung zur Ächtung von Terror und Gewalt. In der Überwindung von Perspektivlosigkeit und fehlender Anerkennung auf der einen – und dem Abbau archaischer Männerbilder und rückständiger Familienstrukturen in der Tradition der Herkunftsländer liegt eine gewaltige innenpolitische Herausforderung. Wer glaubt, mit pauschaler Stigmatisierung "des Islam" oder umgekehrt mit der Verweigerung einer kritischen Debatte durch Präsentation eines allseits schutzbedürftigen Opferislam der Lösung der Probleme näher zu kommen, befindet sich auf Geisterfahrt.

Gerade aus der politischen Linken, aus Flüchtlingsinitiativen etc. kommen viele, durchaus vernünftige und richtige Beschreibungen der Anforderungen an die Bundesrepublik als Einwanderungsland. Schwer tun sich aber die gleichen politischen Kräfte, erforderliche Anstrengungen der islamischen Gemeinschaften mit der nötigen Klarheit zu beschreiben.

Wenn orthodoxe Islamfunktionäre hierzulande zwar die Anschläge auf Mohamed-Karikaturisten verurteilen, zugleich aber gegen Satire mit Strafanzeigen zu Felde ziehen, verliert ihre Distanz zum Terrorismus fühlbar an Glaubwürdigkeit. Wer die eigene Tochter daran hindert, auch Angehörige anderer Religionen oder Religionsfreie zu lieben und auch zu heiraten, muss sich fragen lassen, ob er wirklich in Mitteleuropa angekommen ist. So wächst Distanz, aber kein Vertrauen. Auch hier gilt es, die vielen "aufgeklärten" Menschen mit muslimischem Glauben zu ermutigen, sich energischer gegen jede Form von autoritärem Traditionalismus zur Wehr setzen.

Es ist keine Stigmatisierung des Islam, gemeinsam und über Glaubensgrenzen hinweg Mädchen zu schützen, die in der Schule angefeindet werden, weil sie kein Kopftuch tragen. Wer sich vorhandenen Fehlentwicklungen ob aus Unsicherheit oder einem verqueren Verständnis von politischer Korrektheit nicht energisch in den Weg stellt, verstärkt letztlich sogar die Distanz zwischen den Kulturen und spielt damit sogar – einfältig und ungewollt – das Spiel der Terroristen mit.