Kommentar

"Integrationsarbeit sollte nicht religiösen Verbänden überlassen werden"

BERLIN. (hpd) Am 10. November fand der Lenkungsausschuss der Deutschen Islamkonferenz (DIK) statt, an dem auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig teilnahm. Auf Facebook zog sie folgendes integrationspolitische Resümee zur Veranstaltung: "Moscheegemeinden und muslimische Verbände leisten einen wertvollen Beitrag zur Integration. Insbesondere Flüchtlinge profitieren davon, wenn andere Musliminnen und Muslime sie in Deutschland willkommen heißen und unsere gemeinsamen Werte vermitteln."

In dieser Aussage wird eine Unterscheidung eröffnet, die besser unterbliebe. An der Stelle, an der man differenzieren sollte, wird dies nicht getan. 

Die Aussage der Ministerin über Geflüchtete und die Islamverbände offenbart einen integrationspolitisch überholten Blick auf die Migranten, der ihnen unzulässig Gruppenidentitäten zuschreibt. Ganz offensichtlich wird es als selbstverständlich angenommen, dass jeder der Geflüchteten aus einem islamisch geprägten Land automatisch religiös sein müsse, oder sich erst einmal einer muslimischen Gruppe zuordnen möchte, bevor er mit der Gesamtgesellschaft in Kontakt kommt. Die Zuordnung zu Islamverbänden, die sich um deren Integration kümmern sollen, ist ein Stempel, der dem Einzelnen von außen unreflektiert aufgedrückt wird. Denn Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht die einer partiellen Gruppe.

Eine solche Herangehensweise ist zudem übergriffig. So auch das Verhalten von den Machern eines Videos, das Geflüchteten "Deutschland" erklären soll. Dort erklären die Protagonistinnen den Geflüchteten, dass sie "normale" Gummibärchen eigentlich nicht essen dürften, weil da Schweinegelatine enthalten sei

Eine kurze persönliche Geschichte, die daran anknüpft: Kürzlich fragte mich ein arabisch aussehender Junge – schätzungsweise 12 Jahre alt – im Bahnhofskiosk, in dem ich neben dem Studium arbeite, nach Bonbons für einen Freund. Ich zeigte ihm welche. Ein anwesender muslimischer Bahnangestellter sagte dann sorgenvoll und im durchaus auffordernden Ton: "Aber da ist Gelatine drin!".

Oft kaufen bei mir Menschen aus arabischen Ländern und mit muslimischen Hintergrund Alkohol ein. Hochprozentiges als auch Bier. Hätte der besorgte Mann dem ihm völlig fremden Menschen auch erklärt, dass Alkohol im Bier ist und er es deshalb nicht trinken darf? Wie wirkt so etwas? Es geht nicht um Gelatine oder um Alkohol. Auch nicht darum, dass ein Migrant mit muslimischen Glauben erst akzeptabel sei, wenn er "assimiliert" ist. Es geht darum, den Einzelnen als individuellen Bürger zu betrachten. 

Die Geflüchteten, die hierher kommen, müssen lernen Bürgerinnen und Bürger dieses Staates zu werden. Dies kann in einem engen und weiten Sinne verstanden werden. Im engen Sinne: Alle Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit sind Bürger. Im weiten Sinne: Alle Menschen mit Wohnsitz in Deutschland, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und Ethnie. Mithin gehören auch Geflüchtete und Einwanderungswillige zu den Bürgern des Staates.

Der Staat betrachtet – von der Verfassung aus – seine Bürger nicht in Kollektiven, sondern richtet seinen Blick auf das einzelne Individuum. Er respektiert anschließend ihre freie Wahl eines Lebensentwurfes oder Zusammenschlusses. Die Deutschen sind vor dem Hintergrund der Verfassung eine staatliche Gemeinschaft freier Bürger – nicht freier Katholiken, Juden, Protestanten oder Muslime. Die Freiheit, die das Grundgesetz meint und schützt, ist nicht nur bloße Willkür vor dem Staat, sondern die Fähigkeit, auf der Grundlage eines Selbstentwurfs, eigene Entscheidungen treffen zu können. 

Gemeinsame Werte

Manuela Schwesig meint, dass die muslimischen Verbände wie DITIB, Zentralrat der Muslime, Islamrat und Verband der Islamischen Kulturzentren, den Geflüchteten "unsere gemeinsamen Werte vermitteln" können. Ist das wirklich so?

Religiöse Gemeinschaften, Vereinigungen und Verbände haben naturgemäß eigene 'Leitbilder' und 'Identitätsanforderungen', die sie im Rahmen der Religionsausübungsfreiheit haben dürfen, solange sie nicht in ihrem Tun und Handeln gegen Gesetze verstoßen. Dass diese also bestens geeignet wären, säkulare gesellschaftliche Werte zu vermitteln, die sich von religiösen Traditionen, Moral- und Wertevorstellungen nicht selten unterscheiden, darf und muss bezweifelt werden. Würde sich diese Ambivalenz auflösen, wären solche Gemeinschaften – selbst wenn es um Wohlfahrt geht – nicht mehr das, was sie ihrem eigenen Selbstverständnis nach sind: religiöse Dienstleister.

Die Integrationsarbeit sollte nicht religiösen Verbänden überlassen werden. Es ist notwendig, dass die Neuankömmlinge unmittelbar Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft knüpfen. Sie müssen lernen können, wie das Land funktioniert. Sie müssen sein Bildungs- und Arbeitssystem kennenlernen und ungeflitert an die Grundwerte Deutschlands herangeführt werden. Dafür sind oben genannte Verbände nicht der erste Ansprechpartner.