(hpd) Der Politikwissenschaftler Christoph Hoeft analysiert in seinem Buch "Narration in der Krise. Zum Wandel des sozialdemokratische Wohlfahrtsstaatsdiskurses in Schweden" dortige Politikerreden hinsichtlich der politischen Änderungen als Reaktion auf neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Dabei erweist sich der Autor als guter Kenner der Materie mit differenziertem Analysevermögen, überschätzt aber insgesamt ein wenig den Erkenntniswert von Diskursanalysen für die Erklärung politischer Prozesse.
Bei Bundestagswahlen wie Umfragen verharrt die SPD im Bereich von unter 30 Prozent. Damit steht die Partei nicht allein da, lässt sich eine ähnlich geringe Zustimmung doch auch in anderen Ländern ausmachen. Dies gilt selbst für Schweden, wo die dortigen Sozialdemokraten in der Nachkriegszeit eine hegemoniale Kraft bei allen Wahlen waren. Indessen hatte es bereits in den 1970er Jahren einen Einbruch dieser Dominanz gegeben, welcher mit dem Abschied von der Regierungsbeteiligung endete. Auch wenn die Partei heute wieder den Ministerpräsidenten stellt, so erfolgte dies auf der Basis stark geschrumpfter Wählerzustimmung. Wie die Schwedens Arbeiterpartei (SAP) die damit einhergehende Entwicklung verarbeitet hat, untersucht der Politikwissenschaftler Christoph Hoeft in seiner Studie "Narration in der Krise. Zum Wandel des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaatsdiskurses in Schweden". Darin fragt er entsprechend: "Wie verändert sich die sozialdemokratische Erzählung vom Wohlfahrtsstaat in Schweden mit der Zeit?" (S. 45).
Es geht dem Autor demnach um eine Diskursanalyse, was zunächst methodisch ausführlicher bezogen auf Narrationen erläutert wird. Er erhofft sich damit, die Genese neuer Sinnsysteme näher beleuchten zu können. Die Basis dafür liefern Reden führender SAP-Politiker auf den Parteitagen, welche in drei Phasen der Parteientwicklung gehalten wurden. Zunächst geht es um die Ära der Radikalisierung ab 1969 bis zum Regierungsverlust 1976, danach um die Neuorientierung ab 1976 bis zur Regierungsverantwortung 1982 und deren Ende 1991 und schließlich um die Zeit danach mit der erneuten Rückkehr an die Macht 1994 bis zur Niederlage bei den Wahlen 2006. Der Textkorpus für die Analyse besteht aus den erwähnten Reden von Olof Palme über Ingvar Carlsson bis zu Göran Persson, welche Bilder von der eigenen Partei, den politischen Gegnern, den ökonomischen Rahmenbedingungen und den sozialen Wertvorstellungen enthalten. Einschlägige Verschiebungen wirkten sich nach Hoeft "negativ auf die Faszination der sozialdemokratischen Erzählung" (S. 263) aus.
Der Autor erweist sich als guter Kenner der Materie, der anschaulich und differenziert die Änderungen im öffentlichen Diskurs der gemeinten Parteipolitiker beschreibt und einschätzt. Hierbei macht er hinsichtlich der Reichweite seiner Analyse deutlich, dass so keineswegs die inhaltliche Entwicklung und Wirkung der sozialdemokratischen Politik erklärt oder rekonstruiert werden könne. Hoeft zeigt indessen sehr wohl auf, "warum die SAP seit 2006 immer größere Schwierigkeiten bekommt, mit ihrer eigenen Erzählung zu punkten" (S. 259). Diese Einsicht kann man indessen auch für die davor liegende historisch-politische Phase nutzen, schienen doch ökonomische und soziale Änderungen inhaltliche Anpassungs- und Wandlungsprozesse auszulösen. Dies sei am Beispiel des Rekurses auf "Gerechtigkeit" veranschaulicht. Zwar behielt man den Begriff im Diskurs bei, aber mit einer geänderten Wertung: "Gerechtigkeit ist in späteren Episoden nicht mehr voraussetzungslos, sondern kann erst verfolgt werden, wenn es bestimmte Umstände zulassen" (S. 264).
Die allgemeinen Änderungen durch die Rahmen- und die spezifische Dilemmasituation für die Sozialdemokratie werden anschaulich und überzeugend auch und gerade im Wechselverhältnis erörtert. Kritisch kann man indessen einwenden, dass zwar die Hauptfragestellung zu Beginn, nicht aber die Kriterien für die Untersuchung systematisch herausgearbeitet wurden. Sie ergeben sich für den Leser aus den Fallstudien, aber genauere Erläuterungen fehlen dazu dann doch. Diese hätten der Analyse indessen noch mehr Systematik geben können. Außerdem stellt sich die Frage nach der Reichweite der Analyse: Die Deutung von Parteitagsreden macht zwar durchaus Änderungen und Verschiebungen im politischen Selbstverständnis der schwedischen Sozialdemokratie deutlich. Es stellt sich aber auch die Frage: Wäre nicht der Erkenntnisgewinn mit einer anderen Perspektive, etwa bezogen auf die allgemeine Dilemma-Situation des Spannungsverhältnisses von gesellschaftlichen Änderungen und politischen Wertvorstellungen, weitaus höher gewesen?
Christoph Hoeft, Narration in der Krise. Zum Wandel des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaatsdiskurses in Schweden, Stuttgart 2014 (Ibidem-Verlag), 295 S., 34,90 Euro