BERLIN. (hpd) Zwei Stunden auf dem Alexanderplatz. Zwei Stunden, in denen gerungen wurde: Um den guten Umgang miteinander, um Entscheidungsfindung, und um Prozesse der Entscheidungsfindung, um ein Haltung gegenüber der Polizei, um das Überleben des Camps, um den Respekt gegenüber jeden einzelnen Menschen, sei er nun Student, arbeitslos, Banker oder Emo.
Zwei Schülerinnen der 12. Klasse, die sich jeden Morgen aus dem Schlafsack mitten auf dem Alex winden, um zur Schule zu gehen – einer der Anti-Atom-Bewegung, der sich wundert, dass es niemand hier gibt, der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist – eine Frau, die wütend bei einer Diskussion aufspringt: “Wenn ich hier nicht ausreden darf, mache ich nicht mehr mit” – ein Moderator der Diskussion, der sich bei Ihr entschuldigt, er habe einen Fehler gemacht – Eine Diskussion, sitzend im Kreis, über Wirtschaft: was ist Geld, Spekulation, wer hat sich das mit dem Wirtschaftswachstum ausgedacht? – ein Mann, der das Bilanzierungssystem ändern möchte, damit Manager nicht mehr dazu gezwungen werden, unmenschliche Konzernpolitik zu betreiben – ein Plenum, um herauszufinden, wie weit man sich von der Polizei schikanieren lassen muss und wann man seine Angst überwinden sollte “Wir spielen nicht, die spielen mit uns!” – Der Polizist der sagt: “Was ich tue, hängt davon ab, ob ich gute Laune habe oder schlechte.” – Das Ringen um die Kultur der Basisdemokratie, die Formen: sprechen, wenn der Moderator das Wort erteilt, aussprechen lassen, Handzeichen, um Missvergnügen, Zustimmung oder Langeweile auszudrücken, reden bis der Konsens gefunden wurde, gibt es keinen: abwarten, weiterreden – die Frau, die immer wieder ihren Platz wechselt, damit sie häufiger zu Wort kommt – Der junge Mann, der sich beleidigt fühlt und sagt: “vielleicht habe ich nicht die richtige Form gewählt, um Dir meine Gedanken verständlich zu machen” – der Parteiangehörige, der wieder gehen will, wenn er nicht sein Logo zeigen darf – der Weißbärtige in Mönchskutte, der einen Streit zu schlichten versucht – die Jugendlichen, die seit Jahren am Alex für das Leben ihrer Subkultur kämpfen und durch das Polizeiaufgebot verängstigt sind – der Junge, der ihnen sagt: Meine Welt hat keine Grenzen, hat Deine welche?
Das Camp der Empörten auf dem Alex existiert seit Samstagnacht, seitdem ist es permanent besetzt mit 20 bis 100 Leuten. Mehrmals schon stand es vor dem Aus, denn es wird alles polizeilich verboten, was dieses Camp, das die Bewegung 15M in Spanien zum Vorbild hat, ausmacht: Keine Zelte dürfen aufgestellt werden, obwohl das die Symbole der weltweiten Protestbewegung sind – nun denn, dann schläft man eben unter freiem Himmel. Keine Transparente dürfen gezeigt werden – nun ja, dann bemalt man eben das Pflaster. Das Liegen, auch das Sitzen wird verboten – tja, dann eben nur so lange bis die nächste Streife wiederkommt. Aber sie halten durch. Mit wenig Schlaf, nachts kalt, tagsüber heiß oder mit Regenschauern, halten sie täglich mehrere Plenen ab, führen streng basisdemokratische Diskussionen, suchen mit der Polizei einen friedlichen Umgang ohne zu schnell beizugeben. Sie haben das, was sich jede echte Demokratie sehnlichst erhofft, getan: sie haben die gelebte Demokratie, in der jeder zählt, in den öffentlichen Raum gebracht, sie ziehen die Altaktivisten an, sie involvieren die Passanten und die Stauner in Gespräche über das, was uns im Innersten betrifft, und sie tun es weiter gegen alle Widrigkeiten. Die meisten der Dauercamper sind jung, haben keine besondere Erfahrung in der Politik oder mit öffentlichen Aktionen. Sie ringen darum, zu lernen, wie man die Dinge angeht und sie haben eine Flamme an Wertschätzung für die Menschen im Herz. Unterstützen wir sie darin, den öffentlichen Raum für die echte Demokratie erobern!
Wo, wenn nicht hier und jetzt auf dem Alex!
J.H.