Religion in pluraler Gesellschaft

Aussprache Kirchenrat Krebs

Ein Teilnehmer wollte wissen: Wie hoch sind die Staatsleistungen? Ich würde dafür plädieren, sie aufzugeben, selbst, wenn sie nicht zurückgezahlt werden könnten. Wie hoch sind sie und wie ist das verankert?

Antwort Krebs: 460 Mio. an Staatsleistungen zahlen die Bundesländer insgesamt an die ev. und kath. Kirchen. Das macht mit 2 % nur einen kleinen Teil des kirchlichen Gesamtbudgets aus. (Anmerkung: Demzufolge müsste das kirchliche Gesamtbudget bei 23 Mrd. Euro liegen – mehr als zweieinhalbmal so viel wie das Volumen der Kirchensteuer.)

Ein anderer Teilnehmer hatte eine Frage zur Freiburger Rede des Papstes: Sie haben ja, wie ich finde zu Recht, festgestellt, dass es keine Privilegien gäbe. Das sieht der derzeitige Papst anders. Der hat ja dieses Wort „Privilegien, die aufgegeben werden müssten“ – also muss es ja welche geben – ganz bewusst in seine Freiburger Rede reingesteckt und damit staatskirchenrechtlich für Verwirrung gesorgt. Vielleicht können sie dazu noch mal einen Satz sagen.

Krebs: Das mit den Privilegien hat der Papst nicht so gemeint, wie wir das von außen interpretieren.

Eine weitere Frage bezog sich auf das kirchliche Arbeitsrecht, mit der Bitte um ein Wort zur aktuellen Diskussion.

Das Arbeitsrecht liege vor Gericht. Wir werden sehen, wie jetzt das Bundesverwaltungsgericht entscheiden wird. Das Landgericht Bielefeld hat die Position der Kirche bestätigt. Aber die Frage muss gestellt werden. Ich sage aber nichts dazu, weil es bei Gericht liegt.

Auf die Frage nach der Ablösung der Staatsleistungen antwortete Krebs: Es ist verfassungsrechtlich festgelegt, dass sie abgelöst werden. Die Regierung sagt aber, das ist für uns kein Thema. Es würde sich ein hoher Betrag ergeben. Um das zu ändern, bräuchte man die erforderlichen Mehrheiten. „Die Kirchen werden doch nicht Rechtstitel, die rechtmäßig entstanden sind, aufgeben.“

Zwei Teilnehmer haken nach: 1789 habe der Adel auf die Adelsprivilegien freiwillig verzichtet. Und: Den Verzicht könne man doch auch von Seiten der Kirchen vorschlagen: Presbyterium, Synode, Kirchenleitung. Dann käme es auf die Landessynode und würde entschieden.

Krebs: Dann macht es doch! Da würde wahrscheinlich jeder Finanzminister in den Ländern die Kirchen für die Verleihung eines Preises für den größten Einsparer vorschlagen. Und dass die Kirchen sagen sollen, wir verzichten auf den bekenntnisorientierten Religionsunterricht, der mal eingeführt worden ist auf dem Hintergrund faschistischer Ordnung, schlagt das doch auch gleich vor...! (Schmidt-Salomon lacht.)

Krebs: Ja ja ja ja!

Schmidt-Salomon: Hitler hat ihn eingeführt, hat ihn mit dem Reichskonkordat festgelegt! Also bitte!

Krebs: Moment, Moment, Moment! Eingeführt - ich wollte sagen: gesichert.

Gesichert worden aufgrund faschistischer Fragestellungen. Sie werden ja doch nicht meinen, dass wir nach den Regeln des Nationalsozialismus unseren Religionsunterricht erteilen.

Schmidt-Salomon: Das Reichskonkordat gilt weiter!

Der Moderator übernimmt und nimmt weitere Fragen auf.

Ein Teilnehmer mit Laptop und Internetzugang teilt mit, dass die Staatsleistungen in Westfalen [damit ist offenbar die ev. Landeskirche in Westfalen gemeint, nicht die gesamten Zahlungen des Landes an die Kirchen] 0,9% der Kirchensteuereinnahmen betragen, in absoluten Zahlen etwa 2,76 Mio. Euro. Sie gehen zu einem großen Teil auf die Säkularisierung von neun evangelischen Institutionen (Damenstift …, Damenstift Lippstadt) zurück.

Ein weiterer Teilnehmer: Das ist ja zweihundert Jahre gezahlt worden.

Ein anderer: Mit Zinsen.

Und ein weiterer: Wenn man das Geld nicht mehr will, weil man sagt, es ist politisch schädlich, und es ist in der Sache nicht mehr gerechtfertigt, dann könnte man ja auch auf das Geld verzichten.

Schlussplenum

Schmidt-Salomon betonte das Problem mit dem Subsidiaritätsprinzip: Wir haben diese gesellschaftlichen Institutionen, und wir haben auch diese Großkonzerne von Caritas und Diakonie. Aber wir haben auch eine gesellschaftliche Veränderung. Und Institutionen haben ein höheres Beharrungsvermögen als Menschen. Und es ist ganz offenkundig so, dass sich hier etwas verändert hat. Wir haben, wie gesagt, mehr konfessionsfreie Menschen als evangelische Christen, auch in Nordrhein-Westfalen, und trotzdem gibt es kaum Institutionen für diese konfessionsfreien Menschen. Und das kann Probleme erzeugen.

Ich habe in den letzten vier, fünf Jahren sehr viel zu tun gehabt mit ehemaligen Heimkindern, die schreckliche Erfahrungen machen mussten in evangelischen wie katholischen Einrichtungen. Und diese Menschen kommen heute ins Rentenalter. Und die haben große Ängste. Viele Traumata brechen wieder auf, weil sie jetzt noch einmal in christliche Institutionen gehen müssen. Und hier haben wir einen großen Nachholbedarf in der Gesellschaft. Und da ist das Subsidiaritätsprinzip eben problematisch.

In den 50er Jahren, als 95 Prozent der Deutschen Christen waren, war es zumindest einsichtig für die Bevölkerung, dass es eben hauptsächlich christliche Sozialeinrichtungen gibt. Aber es gibt eben heute einen großen Prozentsatz dieser Gesellschaft – und dieser Prozentsatz wird immer größer – der diese Einstellung zur weltanschaulichen Disposition nicht mehr hat. Und wir haben keine Institutionen, die das abdecken können. Und das erzeugt Probleme, es erzeugt vor allen Dingen dann Probleme, wenn die Kirche und die kirchlichen Institutionen auf ihren alten Rechten beruhen. Wenn sie sich als besonders christlich nach außen hin darstellen, obwohl im Durchschnitt 90 Prozent öffentlich getragen werden und 10 Prozent von den Kirchen. Und dann wird es eben ein großes Problem.

Dann ist es nämlich auch nicht mehr so, dass die Leute freiwillig die Kirchensteuer zahlen, dass sie freiwillig Mitglied in der Kirche sind. Wenn Sie beim Arbeitsamt als konfessionsfreier Krankenpfleger, Arzt, Pädagoge, Psychologe vorsprechen, dann wird ihnen, je nach dem, wo sie in Deutschland sind – besonders stark ist das in den Ländern im Süden –, der freundlichen Berater dort sagen: Treten sie in die Kirche ein, damit sie eine Stelle bekommen! Und das kann und darf in einer modernen Gesellschaft nicht sein! Da müssen sie sich überlegen, wie sie damit umgehen. Das ist ein Punkt: Kirchliches Arbeitsrecht, da muss es Veränderungen geben.

Und das andere ist: Sie müssen sich auch überlegen, theologisch, wie stellen sie sich den Herausforderungen der Zeit? Wenn schon in dieser Institution [das Haus landeskirchlicher Dienste, in dem der Studientag stattfand] – und ich habe das Gefühl das ist sehr liberal – eine Buchhandlung ist, die von Adventisten geführt wird, dann sollte Ihnen das zu denken geben. Die Bücher, die da unten in dieser Buchhandlung stehen: Lesen sie diese bitte! Ich habe einen Teil davon gelesen. Und da werden sie feststellen: Das ist ein anderes Christentum als das, was sie hier möglicherweise vertreten. Und möglicherweise ist genau das die Zukunft des Christentums. Das ist das, was ich von außen wirklich sagen muss: Setzen sie sich damit auseinander! Und artikulieren sie da Ihre Kritik! Die kann nicht nur von solchen Gestalten wie mir kommen! Sondern die muss aus der Mitte der Kirche kommen.

Teilnehmer: Das tun wir auch.

Schmidt-Salomon: Aber sie haben so eine Buchhandlung. Mitten. In. Ihrem. Haus!
(Gemurmel im Publikum.)

Krebs gibt sich nachdenklich: Ich glaube schon, dass er Recht hat. Wir müssen an den verschiedensten Stellen noch mal stärker nach innen gucken. Das heißt, wir müssen auch unsere Positionen an der Stelle noch mal schärfen. Auch so schärfen, dass wir noch mal deutlich machen: Was machen wir eigentlich mit dem Geld? Das ist ja anvertrautes Geld.

Gerade hat einer gesagt: Das ist ja jetzt zweihundert Jahre gezahlt worden. Ist das jetzt nicht genug? Diese Frage wird ja von verschiedensten Seiten gestellt. Die Frage an uns ist also: Können wir reinen Gewissens dieses Geld weiter nehmen? Und wenn wir es reinen Gewissens nehmen – wie wir es jetzt tun – dann müssen wir es auch nach außen darstellen, was wir mit dem Geld machen, damit die Menschen verstehen, warum wir es nehmen. Ich gehe davon aus – und ich bin ja nun auch lange genug dabei gewesen, auf den verschiedenen Ebenen – dass wir das vernünftig einsetzen. Ich glaube, das müssen wir tatsächlich für die Allgemeinheit noch mal deutlich machen, dass wir das mit reinem Gewissen deswegen annehmen können, weil wir das sozusagen wieder reinvestieren – in unsere Gesellschaft oder in unsere Kirchen. Die ist ja ein Teil der Gesellschaft.

Frau Boos-Niazy: Das Problem haben die Muslime natürlich nicht.

Krebs: Ihr habt das Öl! (Gelächter)

Frau Boos-Niazy: Ich sehe mit Herrn Schmidt-Salomon ganz unverhoffte Überschneidungen. Einmal der Punkt, dass es andere Institutionen geben muss. Wir haben gerade in dem sozialen Bereich wirklich das Problem, wie das bei Frauen so ist, die engagieren sich sehr häufig – überproportional, jedenfalls mehr als Männer – im sozialen Bereich, studieren soziale Fächer. Und stehen dann am Ende diesen großen Organisationen gegenüber, die den größten Teil der Sozialarbeit abdecken. Und haben als Muslime mehr oder weniger keine Chance. Kommt man dazu noch mit dem Kopftuch rein, ist es ganz schlimm.

Was wir sehen, ist ein Prozess, der uns auch ein bisschen ärgert. Gerade im Bereich der Migrationsarbeit, der ja sehr stark gewachsen ist, und wo die christlichen Institutionen auch sehr stark tätig sind, haben die das Problem, dass sie an die Zielgruppen nicht rankommen. Wir kommen aber an die Zielgruppen. Der Endeffekt ist, dass muslimische Frauen eingestellt werden, entweder über Minijob, oder ehrenamtlich arbeiten sollen, um den Zugang zu diesen Zielgruppen zu eröffnen. Und das ist natürlich eine Situation, die sehr unbefriedigend ist. Ich meine, es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, einen eigenen muslimischen Wohlfahrtsverband zu gründen.

Schmidt-Salomon: Ich würde davor warnen, die Frage der Integration mit dem Thema der Religion so stark zu verbinden. Denn sehr viele Menschen, die wir hier als Muslime bezeichnen, sind in Wirklichkeit keine Muslime, sondern sie kommen aus muslimischen Ländern. Und das Problem ist: Wenn wir Menschen so stark auf Religion etikettieren, führt das möglicherweise zu Konflikten, die wir nicht hätten, wenn wir die Frage der Religion ein bisschen runterschrauben würden. Deswegen finde ich es wichtig, dass sich sogenannte christliche Institutionen öffnen, für Nichtchristen. Wenn sie 90 Prozent ihrer finanziellen Ressourcen von der großen Gesellschaft bekommen, dann kann es nicht sein, dass sie sagen: Bei uns in diesen Institutionen sind Juden, Atheisten, Muslime unerwünscht. Das ist weltanschauliche Diskriminierung. Und schauen sie sich die Stelleninserate an! Von Ärzten. Es sagt nichts über die Qualität eines Chirurgen aus, ob er Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche ist.

Frau Boos-Niazy: Wenn der andere Bereich nicht geht, diese Öffnung, was natürlich effektiver wäre und uns auch eigentlich lieber wäre. Wenn sie eine religiöse Familie haben, und die hat irgendwelche Erziehungsprobleme, wenn die sich irgendwo hin wenden, dann ist der erste Satz, eure Religion ist das Problem. Da geht es gar nicht mehr um andere Dinge. Und da wäre es natürlich schon sehr gut, ein Gegenüber zu haben, was zumindest den gleichen Hintergrund hat und dann feststellen kann: Ist es wirklich die Ausübung der Religion, die das Problem macht, oder ist es etwas völlig anderes?