Über die Trennung von Staat und Religionen

Der Böckenförde-Fehlschluss

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Cover des Buches "Kirchenrepublik Deutschland" von Carsten Frerk
"Kirchenrepublik Deutschland"

BERLIN. (pdh) In politischen Debatten über das Verhältnis von Staat zu Kirche und anderen Glaubensgemeinschaften ist es allgemein üblich, dass die religiösen Gegner laizistischer und säkularer Bestrebungen zur Verteidigung ihrer Position besonders die vermeintlich positive gesellschaftlich-moralische Rolle ihrer Institutionen betonen. Das ist keineswegs neu und dieses Verhalten lässt sich problemlos nachvollziehen, sogar wenn man in dieser Frage ganz anderer Meinung ist. Ungewöhnlich jedoch mutet es an, wenn selbst kaum religiöse Personen des öffentlichen Lebens, Sozialwissenschaftler oder nicht-religiöse Politiker vergleichbare Argumentationsmuster verwenden um ihre Ablehnung gegenüber einer weitergehenden Trennung von Staat und Kirche zum Ausdruck zu bringen.

Exemplarisch sei hierfür Linken-Politiker Gregor Gysi angeführt:

Nur [Religionsgemeinschaften] allein [sind] zurzeit in der Lage, allgemein verbindlich Moralnormen zu kreieren.

Das Böckenförde Theorem

Das von dieser Seite hervorgebrachte Hauptargument ist eine Abwandlung eines nach einem ehemaligen Verfassungsrichter benannten Theorems mit dem Titel Böckenförde-Diktum1. Es lautet folgendermaßen:

Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. ... Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht ... mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.

In knappen Worten heißt das, dass ein Staat nur solange freiheitlich und demokratisch bleiben kann, wie sich die Mehrheit seiner Bürger das basierend auf ihren Weltanschauungen und Wertevorstellungen so wünscht. Zwingen kann der Staat seine Bürger zu einem freiheitlichen und demokratischen Denken und Verhalten aber durch Gesetze und Gebote nicht, denn dann würde er seine Freiheitlichkeit selbst aufgeben – was ja grade vermieden werden soll!

Das ist zunächst mal eine völlig offensichtliche Feststellung. Wenn man versucht Freiheit zu erzwingen macht man sie automatisch kaputt, weil sich Freiheit durch Abwesenheit von Zwang auszeichnet. Damit diese Freiheit trotzdem dauerhaft Bestand hat müssen die Bürger also aus sich heraus oder aus nichtstaatlichen Quellen eine individuell freiheitsfreundliche Einstellung beziehen. Um den Kern der Aussage noch einmal deutlich hervorzuheben bietet es sich an, das Theorem als logische Kette zu formulieren. Auf diese Weise lassen sich insbesondere Fehlschlüsse in den Annahmen und Schlussfolgerungen erkennen, falls es welche geben sollte.

Prämisse 1 (Obersatz): Der freiheitliche, säkulare Staat soll dauerhaft fortbestehen.

Prämisse 2 (Untersatz): Er besteht nur dank Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.

Schlussfolgerung: Die Voraussetzungen für seinen Fortbestand müssen nichtstaatlich garantiert werden.

Detaillierte Informationen darüber, wer genau diese nichtstaatlichen Akteure sein sollen, lassen sich aus den Annahmen des Böckenförde-Theorems im Originalzitat nicht herleiten. Demzufolge ist es hiermit auch für Gegner des laizistischen Staates nicht möglich gegen diesen zu argumentieren. Die darauf aufbauenden Einwände gegen eine säkulare Gesellschaft entstammen dem politischen Hintergrund unter dem der Jurist seine Beobachtung darlegte:

Das war also noch vor 1965, als am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils die katholische Kirche erstmals die Religionsfreiheit voll anerkannte. In diese Skepsis hinein forderte ich die Katholiken auf, diesen Staat zu akzeptieren und sich in ihn einzubringen, unter anderem mit dem Argument, dass der Staat auf ihre ethische Prägekraft angewiesen ist.