TRIER. (hpd) „Ein Buch, das man nicht aus der Hand legen kann“, urteilt Esther Vilar über die neue Streitschrift von Michael Schmidt-Salomon, die ab heute im Buchhandel erhältlich ist. Tatsächlich hält „Keine Macht den Doofen!“, was der Titel verspricht: Es ist eine Generalabrechnung mit dem globalen Irrsinn, gnadenlos in Inhalt und Form, wohl eines der radikalsten Bücher, die je geschrieben wurden.
Doch was treibt einen humanistischen Autor dazu, einen solchen Menschheitsverriss zu formulieren? Ist er zum Zyniker geworden? Im hpd-Interview verrät Michael Schmidt-Salomon, was ihn dazu bewegte, das Buch so und nicht anders zu schreiben.
hpd: Michael, in deinem heute erscheinenden Buch „Keine Macht den Doofen!“ beleidigst du nicht nur Politiker, Religionsführer, Manager, Medienleute und Pädagogen, sondern letztlich die gesamte Menschheit. So schreibst du, es sei ein „Makel, Mensch zu sein“, und plädierst dafür, im Regelfall nicht mehr von „Homo sapiens“, dem „weisen Menschen“, zu sprechen, sondern von „Homo demens“, dem „irren, wahnsinnigen Menschen“. Das ist starker Tobak für einen Humanisten. Denkst du, dass ein solcher Generalangriff auf die Menschheit bei den Leserinnen und Lesern ankommt?
Schmidt-Salomon: Schwer zu sagen. Es könnte sein, dass nach diesem Buch ein Sturm der Entrüstung über mich hereinbricht, möglicherweise aber trifft das, was ich in „Keine Macht den Doofen!“ geschrieben habe, das Denken und Empfinden vieler Menschen. Ich habe mir beim Schreiben dieses Buchs ganz bewusst keine Gedanken darüber gemacht, wie es bei den Lesern ankommen wird. Das ist vielleicht auch der eigentliche Reiz des Buchs: Ich habe den „inneren Zensor“ ausgeschaltet, um die Dinge möglichst hart, klar und ehrlich formulieren zu können – ohne Rücksicht auf Verluste. Nicht ohne Grund ist der Held des Buchs das Kind aus Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, das den Mut hat, auszusprechen, was „vernünftige Erwachsene“ niemals aussprechen würden, nämlich dass der Kaiser nackt ist und die Repräsentanten der Macht einem einzigartigen, grotesken Schwindel aufsitzen…
hpd: In „Keine Macht den Doofen!“ gibt es zwar ein deftiges Kapitel über die „wundersame Welt der Religioten“, insgesamt richtest du dein Augenmerk aber mehr auf die irrationalen Strukturen im Bereich der Ökologie, Ökonomie, Politik und Pädagogik. Meinst du, es ist an der Zeit, dass säkulare Humanisten auch jenseits der reinen Religionskritik deutlich Stellung beziehen?
Schmidt-Salomon: Absolut. Wenn man sich in der Welt umschaut, stellt man doch schnell fest, dass die Menschen längst keine Götter mehr brauchen, um sich gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen! Die neuen Wahnsysteme des Homo demens kommen ganz gut ohne Frömmelei aus und wirken dabei nicht weniger tödlich. Dagegen sollte man als Humanist ebenso opponieren wie gegen religiösen Wahn. Wir leben nun einmal in einem Tollhaus – daran haben die Religionen zwar maßgeblichen Anteil, aber es wäre absurd, sie für alle Übel dieser Welt verantwortlich zu machen.
„Wir sind nicht zu böse, sondern zu blöde, um gerechtere Verhältnisse zu schaffen“
hpd: In deiner Analyse der Irrationalität auf den Finanzmärkten beziehst du dich hin und wieder positiv auf Attac und Occupy-Wallstreet. Aber ist die Occupy-Bewegung nicht längst schon selbst infiziert von irrationalen Strömungen? Wimmelt es da nicht geradezu von esoterischen Spinnern und Verschwörungstheoretikern?
Schmidt-Salomon: Sicher, umso wichtiger ist es, dem entgegenzuwirken! Das Grundproblem jeder Verschwörungstheorie ist doch, dass den vermeintlichen „Verschwörern“ nicht nur größtmögliche moralische Hartherzigkeit, sondern eine geradezu übermenschliche Intelligenz angedichtet wird. Mit diesen Mythen räumt „Keine Macht den Doofen!“ gründlich auf. Ich zeige, dass es eben nicht am fehlenden Weltethos, sondern an fehlender Intelligenz liegt, dass die Dinge noch immer so sind, wie sie sind. Die erschütternde Wahrheit ist: Wir sind nicht zu böse, sondern bislang einfach nur zu blöde, um gerechtere Verhältnisse zu schaffen. Idiotischerweise haben wir ein System geschaffen, das die Rationalität des Einzelnen mit tödlicher Präzision zur Grundlage eines kollektiven Irrsinns macht, der uns Entscheidungen treffen lässt, die innerhalb des Systems als „klug“, ja sogar „vernünftig“ erscheinen, obwohl sie in Wahrheit von atemberaubender Dummheit sind.
hpd: Du bezeichnest das auch mit dem Begriff „Schwarmdummheit“…
Schmidt-Salomon: Richtig. Dabei handelt sich um die exakte Umkehrung jener „Schwarmintelligenz“, die wir beispielsweise bei Ameisen beobachten können: Während sich aus der individuellen Beschränktheit der Ameisen eine kollektive Intelligenz ergibt, resultiert aus der individuellen Intelligenz der Menschen eine kollektive Beschränktheit…
hpd: Diese Schwarmdummheit demonstrierst du u.a. an den Prinzipien der „Wegwerfgesellschaft“, die zwar betriebs- und volkswirtschaftlich Sinn zu machen scheinen, letztlich aber völlig groteske Folgen haben, die eigentlich niemand wollen kann. Besondere Aufmerksamkeit widmest du allerdings dem „Irrsinn der Finanzmärkte“. Kannst du kurz umreißen, wo hier das eigentliche Problem liegt?
Schmidt-Salomon: Das ist nicht einfach. Ich will es mal so formulieren: Statt dafür zu sorgen, dass Geld eine stabile, transparente und neutrale Verrechnungseinheit für den Austausch von Gütern und Dienstleistungen ist, haben wir alles daran gesetzt, es in ein instabiles, intransparentes und parteiisches Instrument der Umverteilung zu verwandeln, das den Austausch von Gütern und Dienstleistungen behindert. Unser Kunststück: Wir machten das Tauschmittel zum Tauschzweck, aus dem Geld, das eigentlich nur das Medium des Warenhandels sein sollte, *die Handelsware schlechthin. Nur auf dem Boden dieser Basisblödheit konnte die Illusion entstehen, dass man durch die Investition von fiktivem Kapital in fiktives Kapital realen Wohlstand erzeugen könnte. Tatsächlich aber entsteht Wohlstand natürlich nur durch reale Leistungen in der realen Welt…
Die Torheit der Regierenden
hpd: Um den ökonomischen Verfallsprozessen entgegenzuwirken, wäre nun die Politik gefordert, doch gerade den Politikern stellst du ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. An einer Stelle heißt es sogar, dass du dich wunderst, „dass der Staat nicht schon längst unter der eklatanten Denkschwäche seines Führungspersonals zusammengebrochen ist“…
Schmidt-Salomon: Wie gesagt: Ich habe beim Schreiben des Textes den „inneren Zensor“ ausgestellt – dadurch kommen auch solche Formulierungen zustande. Ich denke jedoch, dass es einigermaßen evident ist, dass gerade in der Nische der Politik Selektionskräfte am Werk sind, die nachdenkliche, kreative, empathische Menschen eher behindern als fördern. Wie auch könnte ein origineller, phantasievoller, sensibler Mensch all den Stumpfsinn, all die Kleingeistigkeit, all den Zwang zu opportunistischer Heuchelei überstehen, der einem Berufspolitiker während seines Marschs durch die Institutionen zugemutet wird? Diejenigen, die schon von vornherein eine gewisse Neigung zu stumpfsinnigem Opportunismus in sich tragen, sind, wie ich meine, auf politischem Gebiet im Vorteil. Dennoch sollten wir es uns nicht zu leicht machen, indem wir auf die „doofen Politiker“ schimpfen. Denn vergessen wir nicht: In der Demokratie geht nicht nur alle Macht, sondern auch alle Blödheit vom Volke aus! Letztlich erhalten wir doch nur die Hohlkopf-Politik, die wir verdienen. Wir sollten uns also selber an die Nase fassen: Was ist in unserer Entwicklung so schrecklich schiefgelaufen, dass wir diesen ganzen Stumpfsinn zulassen können?
Erziehung zur Denkverödung
hpd: Mit dieser Frage setzt du dich dann ja auch in dem Kapitel „Willkommen in der Matrix: Auch Dummheit will gelernt sein“ auseinander. Darin gibt es eine kurze, aber heftige Medienschelte, vor allem aber einen scharfen Angriff auf die Bildungsinstitutionen, die du als „Verbildungsinstitutionen“, ja sogar als „Verblödungsinstitutionen“ charakterisierst. Nun hast du selber zehn Jahre lang als Pädagogik-Dozent an einer deutschen Universität gewirkt und warst dabei auch in die Lehrerausbildung involviert. Fühlst du dich jetzt als „Nestbeschmutzer“?
Schmidt-Salomon: Nein. Ich denke, dass viele Pädagogen die Lage ganz ähnlich einschätzen wie ich – auch wenn sie es vielleicht nicht so drastisch ausdrücken würden. Jedenfalls hat sich gezeigt, dass der Zwang zur „Wissensbulimie“, der in unseren Lehranstalten kultiviert wird, verheerende Konsequenzen hat: Schülerinnen und Schüler werden darauf trainiert, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel totes Wissen in sich hineinzufressen, um es zum Zeitpunkt der Prüfung im Austausch gegen Noten fristgerecht wieder zu erbrechen. Dass bei einer solchen „Bildungs-Ess-Brech-Sucht“ nur wenige Lerninhalte beim Lernenden verbleiben, sollte eigentlich niemanden verwundern. Das Grundübel unserer Bildungsinstitutionen sehe ich darin, dass das „Abenteuer Wissen“ den Kindern meist auf solch unerträglich langweilige Weise präsentiert wird, dass sie schon nach kurzer Zeit genau die Eigenschaft verlieren, die sie von Natur aus so sehr zum Lernen befähigt: die Neugier. Nur sehr wenige Lehrerinnen und Lehrer verstehen es, ihre Schülerinnen und Schüler für die Inhalte zu begeistern, die sie vermitteln. Ohne Begeisterung aber wird Lernen zu einer geistlosen Aneignung entfremdeten Wissens. Dann lernen Schülerinnen und Schüler nur für Prüfungen – das, was sie da lernen, hat für sie selbst, für ihr Leben, für ihr Weltverständnis keinerlei Bedeutung, weshalb es kurz nach dem Prüfungstermin wieder in Vergessenheit gerät.
hpd: Du sprichst in diesem Zusammenhang von einer „Erziehung zur Denkverödung“…
Schmidt-Salomon: Ja. Die zentralen Maximen dieser Erziehung lauten: „Schere dich nicht um Argumente! Gehe den Dingen nicht auf den Grund! Sei kein Narr, der gegen die Absurditäten des Systems aufbegehrt, sondern ein Tor, der der dummen Horde folgt! Frage niemals nach dem Sinn des Ganzen, sondern passe dich an die herrschenden Gepflogenheiten an – auch wenn sie noch so himmelschreiend blöde sind!“ Sigmund Freud beklagte einst den „betrübenden Kontrast zwischen der strahlenden Intelligenz eines gesunden Kindes und der Denkschwäche des durchschnittlichen Erwachsenen“. Meines Erachtens hat die „Erziehung zur Denkverödung“ daran einen entscheidenden Anteil.
Ein „humanistischer Exorzismus“
hpd: Noch eine letzte Frage: Mir ist aufgefallen, dass der erste Satz von „Keine Macht den Doofen!“ fast wörtlich schon im „Manifest des evolutionären Humanismus“ auftaucht. Verstehst du das neue Buch als Fortsetzung des alten?
Schmidt-Salomon: Ja und nein. Tatsächlich hatte ich schon im „Manifest des evolutionären Humanismus“ geschrieben, dass die größte Bedrohung der Menschheit nicht von Erdbeben und Tsunamis und auch nicht von korrupten Regierungen oder „finsteren Verschwörern“ ausgeht, sondern von einer „einzigartigen, gigantischen, weltumspannenden Riesenblödheit“. Wenn man so will, ist „Keine Macht den Doofen!“ eine Ausformulierung dieses Gedankens, den ich im „Manifest“ nicht weiter verfolgen konnte. Andererseits sind die beiden Bücher von ihrer Grundanlage her sehr unterschiedlich: Das Manifest hatte ich im Auftrag der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) verfasst, weshalb ich nach Formulierungen suchte, von denen ich dachte, dass sie innerhalb des Stiftungskreises mehr oder weniger konsensfähig sein könnten. Diese Beschränkung hatte ich bei „Keine Macht den Doofen!“ nicht. Ich habe dieses Buch definitiv nicht als Vorstandssprecher der gbs geschrieben, sondern als freier Autor, der auf Positionen anderer keine Rücksicht nehmen muss. Insofern ist das neue Buch radikal subjektiv.
Es wird angetrieben von der Wut und der Enttäuschung, die mich immer wieder befällt, wenn ich mitansehen muss, wie diese potentiell so freundliche und intelligente Spezies sich das Leben schwer macht und jeder noch so kruden Wahnidee hinterherläuft. In gewisser Weise könnte man sagen, dass „Keine Macht den Doofen!“ mein persönlicher „humanistischer Exorzismus“ ist, mit dem ich meine „zynischen Dämonen“ auszutreiben versuche. Letztlich hat das auch geklappt. Nicht ohne Grund steht am Schluss des Buchs eine Art „Liebeserklärung“ an diese verrückte Spezies, die es trotz aller Irrungen und Wirrungen der Geschichte, trotz all der engstirnigen Zensurversuche von Religioten und Politioten, geschafft hat, wirklich Beachtliches auf die Beine zu stellen. Denk nur an die großen Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Philosophie und der Kunst! Kaum auszumalen, was die Menschheit erreichen könnte, wenn sie ihre katastrophale Neigung zur Schwarmdummheit irgendwann einmal überwinden könnte…
hpd: Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Fiona Lorenz
„Keine Macht den Doofen!“ kostet € 5,99 und kann u.a. im denkladen.de bestellt werden. Empfehlenswert ist auch die Website zum Buch.