Ein burmesischer Flüchtling, der in der Schweiz zum Elefantenpfleger und Dompteur wurde, eine Tierärztin für Straßenhunde und ein Obdachloser bilden in Martin Suters neuen Roman "Elefant" die Phalanx des Guten und retten einen kleinen rosa Elefanten davor, zum Modell für abertausende rosa leuchtende Spielzeugelefäntchen zu werden.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute – als Ranger in einem Schutzgebiet für ehemalige Arbeitselefanten. Für Schoch ist das die zweite erstaunliche Wandlung, nach der vom promovierten Banker zum Trippelbruder. Die Tierärztin Valerie finanziert das Projekt mit der Erbschaft ihres schwerreichen Vaters, der noch begeisterter Großwildjäger war.
Eine lange Flucht und Verfolgungsjagd gehen damit zu Ende. Den kleinen rosa Elefanten konnten sie nicht retten, aber verhindern, dass sein Erbgut ausgeweidet wird für die industrielle Züchtung entzückender zwergpudelgroßer rosa leuchtender Spielelefanten für reiche chinesische Kinder.
Oder sollten wir Martin Suters Roman "Elefant" doch eher als Thriller lesen? Sehr bald gibt es einen auf der Flucht Ertrunkenen, den Tierarzt Reber, dem von dem burmesischen Elefantenpfleger dieses seltsame Ergebnis aus Genforschung und Zufall anvertraut wurde und der es aufpäppelte. Unbemerkt bleibt das nicht. Also ist er bald auf der Flucht vor dem Genetiker Roux und dem sinistren Mann für alle Fälle, den diesem die chinesische Finanzierungsgesellschaft geschickt hat. Um ihre Investition zu retten und deren Resultat wieder in ihren Besitz zu bringen.
Hier setzt die Geschichte ein: Das Tierkind taucht in der Schlafhöhle des Obdachlosen Schoch auf. Delir eines Säufers oder gibt es ihn tatsächlich? Rosa Elefanten entsprechen im Angelsächsischen den sprichwörtlichen weißen Mäusen der Trinker. Den Elefanten dort zu verstecken, war das letzte, was Reber noch für ihn tun konnte. Schoch nimmt sich seiner an. Das seltsame Wesen rührt ihn. Und nun hat er eine Aufgabe. Er bringt es zu Vivian, der Tierärztin für Straßenhunde. Die ahnt sofort, was es mit dem Tier auf sich hat. Sabu, wie Schoch das kleine Elefantenbaby tauft, ist eine Chimäre. Es fordert trotzdem Respekt und Würde von seiner Umgebung ein, wie ein normales heranwachsendes Wesen.
Nach und nach münden die Handlungsstränge ohne Umschweife und mit der Präzision eines Uhrwerks ineinander. Der Veterinär Harris, Rebers Antipode in der Story, hatte die Mission, einem verendeten Elefantenkind Eierstockgewebe zu entnehmen, das daraufhin einer Ratte eingepflanzt wurde. Er hatte sich nicht gescheut, dafür dem Tod eines verunglückten Tieres nachzuhelfen. Die Eizellen wurden sequenziert und manipuliert. Sie wurden um das Gen, das bei Mandrillaffen die rosa Gesichter bewirkt, und denen, die bei Glühwürmchen das Leuchten bewirken, angereichert. Eingepflanzt wurde ein künstlich befruchtete Ei schließlich einer Zirkuselefantin, umhegt und dressiert von Kuang. Aber etwas läuft nicht nach Plan.
Der Embryo wächst bald nicht mehr. Eigentlich nicht vorgesehen, aber von umso größerem Marktwert, hoffen die Betreiber des Vorhabens. Doch der Elefantenflüsterer Kuang wirft Sand in das Getriebe des ganzen Projektes. Das Elefäntchen, das im Mutterleib nicht heranwachsen will, muss heilig sein, glaubt er. Und überredet Reber, es nach seiner heimlichen Geburt zu verbergen. Natürlich zieht auch Kuang am Ende mit nach Thailand.
Die drei Retter wollen das Elefäntchen zurückbringen in seine Heimat. Denn es kränkelt vor sich hin und wird bald sterben. Und das soll es in seiner Heimat. Bald erinnert nur noch ein Schrein an ihn mit der Statue eines kleinen rosa Elefanten.
Und das ist gut so. Die Drei im Dienste des Guten wollen verhindern, dass Menschen an der Natur herumpfuschen. An "Evolution oder Schöpfung", wie Schoch sagt. Beides sei doch das Gleiche, sinniert er. Und das Heilige, kommt er zu dem Schluss, ist nichts anderes als "das ganz, ganz Besondere". Ganz ganz besonders ist ein kleiner rosa Elefant bestimmt - nur kam er im Lauf der Natur ja eigentlich gar nicht vor und ist erst durch menschliche Manipulation ins Leben gerufen geworden.
Den Roman durchzieht eine durchaus fernöstliche Maxime: Das Gute kann sehr oft darin bestehen, etwas nicht zu tun, etwas nicht zu machen. Und Nicht-Sein kann besser sein als Sein.
Eine Liebesgeschichte ist der Roman natürlich auch. Sie funktioniert nach dem Frosch-König-Prinzip.
Martin Suter: "Elefant", Roman, Diogenes Verlag Zürich 2017, 352 S., ISBN 978-3-257-06970-9, 24,00 Euro