Einmal pro Stunde wird in Brasilien eine neue Kirche gegründet: 67.951 Stück sind seit Januar 2010 dazu gekommen, so meldete es kürzlich "O Globo". Das Land, von dessen Zuckerhut aus der Erlöser als Testimonial des Katholizismus seit 1931 grüßt, erlebt in den letzten Jahren einen erstaunlichen Boom evangelikaler Kirchen mit ihrem ganz speziellen Verständnis der christlichen Botschaft. Der Glaube an Magie, Dämonen und den Teufel wird hier wiederbelebt, Exorzismen werden zelebriert, es wird in Zungen gesprochen - und vor allen Dingen: Fleißig Geld eingesammelt.
Die Freikirche "Igreja Universal do Reino de Deus" ("Universalkirche des Königreichs Gottes") etwa hat in Rio einen furchtbar hässlichen Tempel errichten können, der einen ganzen Häuserblock einnimmt.
Je größer Armut und Not sind, desto besser lässt sich mit Glaubensversprechungen Geld machen: Einmal mehr funktioniert das Jahrhunderte alte Paradox auch im heutigen, immer weiter abwirtschaftenden Brasilien.
Im Tempel wird nicht nur eine Multimediashow geboten, die die mittelalterlichen Inszenierungen der katholischen Kirche locker wegpustet, auch stehen dienstbare Priester überall bereit mit Kartenlesegeräten.
CC BY-SA 3.0)
Die Kirche erwartet ein Zehntel des Einkommens von ihren Gläubigen und verspricht ihnen, wenn sie nur fest genug glauben und zahlen, Wohlstand in der Zukunft – strukturell der klassische Trickbetrug: Zahl du mir heute etwas, dann bekommst du in der Zukunft unermesslichen Reichtum. Dass die evangelikale Massenbewegung tatsächlich Reichtum generiert hat, lässt sich dabei nicht verleugnen. Denn längst ist "Igreja Universal"-Gründer Edir Macedo Milliardär, seine TV- und Radiosender decken einen Großteil Brasiliens ab, seine Anklagen wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Veruntreuung von Spendengeldern, Betrug und Bildung einer kriminellen Vereinigung hat er bis auf Weiteres überstanden. Und die neue evangelikale Bewegung macht auf dem Gebiet der Glaubens- und Gelderzeugung nicht halt. Immer mehr mischt sie auch im politischen Brasilien mit.
Macedos Neffe Marcelo Crivella, einst als Missionar in Afrika und als Gospelsänger auf Youtube unterwegs, ist seit letztem Herbst amtierender Bürgermeister von Rio, der trubeligen Karnevalsstadt, er bezeichnet sich als Kreationist und seine Liste an bizarren Äußerungen ist lang:
Das Gesundheitswesen könne durch Geisteraustreibungen verbessert werden, hat er bereits wissen lassen. Homosexualität sei das Resultat von missglückten Abtreibungsversuchen.
In einem Buch von 1999 wusste Crivella zu berichten, dass Hindus das Blut von Kindern trinken.
Crivellas Aufstieg zum Bürgermeister ist dabei alles andere als eine Laune der demokratischen Willensbildung. Seit Jahren sind die Evangelikalen hier auf dem Vormarsch, ihr Block im brasilianischen Parlament hat sich als durchsetzungsfähig und diszipliniert erwiesen, an der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff im vergangenen Jahr waren sie entscheidend beteiligt.
Nicht zufällig ist seitdem ein evangelikaler Christ Präsident des Landes: Michel Temer hat kürzlich erstmals globale Aufmerksamkeit erlangt, als er aus dem Präsidentensitz wieder auszog. Weil er dort nicht schlafen könne. Und als Begründung nahelegte: "Könnten dort Gespenster sein?"
Der Spott der ganzen Welt war ihm sicher, und doch lacht er derzeit noch lauter als alle aufgeklärten Geister zusammen. Denn er ist weiterhin Präsident, ihn schert die moderne Welt wenig, er hat es fertiggebracht, sein erstes Kabinett ausschließlich aus weißen Männern bestehen zu lassen; und das in einem bunt durchmischten Land wie Brasilien, dem fünftgrößten der Welt, 203 Millionen Einwohner, von denen es den meisten seit Jahren immer schlechter und schlechter geht, und alle Gebete haben nicht helfen können bislang.
15 Kommentare
Kommentare
Norbert Schönecker am Permanenter Link
In Brasilien gibt es evangelikale Gemeinden oder andere religiöse Gemeinschaften, die aktiv gegen Drogen und Armut kämpfen.
Und es gibt auch evangelikale Gemeinden oder andere religiöse Gemeinschaften, die fast ausschließlich dazu da sind, um Geld aus Drogenhandel zu waschen.
Es wäre gut, hier zu differenzieren.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Es wäre gut, hier zu differenzieren."
Ja, da stimme ich Ihnen zu. Allerdings ist das auch eine Binse. Es gibt wohl keine größere Gruppe, in der nicht beides vertreten ist: Menschen, die helfen, und solche, sie sich bereichern wollen.
Allerdings - und ich würde hier nicht kommentieren, wenn es kein "allerdings" gäbe - sind weder die positiv noch die negativ wirkenden Personen ausschlaggebend zur Beurteilung des "Gesamtkonstrukts". Oskar Schindler war überzeugter Nazi und doch widmete ihm der Jude Spielberg einen anrührenden Film. Und trotzdem relativieren weder der Film noch die Existenz eines Oskar Schindlers die negative Kraft des Nationalsozialismus.
Genauso ist die evangelikale Bewegung nicht schlecht, weil es ein paar Selbstbereicherer gibt oder gut, weil es ein paar gibt, die sich aufrichtig um Arme kümmern. Es ist der systemische Hokuspokus, der die evangelikale Bewegung auszeichnet. Dieser Wunderwahn und Aberglaube an einen vermeintlichen Heiland bereitet den fruchtbaren Boden für Betrüger aller Art. Dort versammeln sich gehirngewaschene Menschen, die quasi sich selbst durch den Besuch der Gottesdienste selektiert haben. Ohne Evangelikale gäbe es diesen Nährboden und diese große Zahl williger Opfer nicht. Daher können die guten Taten einzelner nicht den negativen Einfluss des Ganzen relativieren.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
S.g. Herr Kammermeier!
Schön, dass Sie mir zustimmen. Das merke ich mir.
Im vorliegenden Artikel geht es kaum um das "Gesamtkonstrukt". Es geht überhaupt nicht um den Glauben an einen Heiland. Es geht etwa zur Hälfte um das Geld der Evangelikalen in Brasilien und ansonsten um politischen Einfluss sowie um spezielle religiöse Praktiken oder Ansichten, die nicht mit dem Kern der christlichen Botschaft zu tun haben. Zu diesem Hauptthema "Geld" habe ich kommentiert.
Ohne mich in Brasiliens Kirchenlandschaft auszukennen, wage ich die Behauptung, dass der Anteil der positiv wirkenden Personen an den Evangelikalen weit größer ist als der Anteil der positiv wirkenden Personen an überzeugten Nazis. Ihr Beispiel ist zwar anschaulich, und ich verstehe schon, was Sie meinen: Eine schlechte Ideologie wird durch einzelne positive Vertreter nicht besser. Aber als zahlenmäßiger Vergleich taugt er nicht viel.
"Gehirnwäsche" gibt es in europäischen evangelikalen Gruppen nicht, in brasilianischen halte ich es deshalb auch für wenig wahrscheinlich. Ihre terminologische Gleichsetzung der Methoden von evangelikalen Gruppen mit denen von Maos Umerziehungsprogrammen oder extremen Sekten, die tatsächlich mit Entzug von Privatsphäre, freien Sozialkontakten und Schlaf arbeiten, halte ich für fahrlässig.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Schön, dass Sie mir zustimmen. Das merke ich mir."
Warum sollte ich Ihnen nicht zustimmen? Ich unterteile die Welt ja nicht in Schönecker- und Kammermeier-Argumente, sondern in stichhaltige und nicht oder weniger stichhaltige.
"Ihr Beispiel ist zwar anschaulich, und ich verstehe schon, was Sie meinen: Eine schlechte Ideologie wird durch einzelne positive Vertreter nicht besser. Aber als zahlenmäßiger Vergleich taugt er nicht viel."
Sie war auch nicht quantitativ gedacht.
""Gehirnwäsche" gibt es in europäischen evangelikalen Gruppen nicht, in brasilianischen halte ich es deshalb auch für wenig wahrscheinlich."
Das ist Ansichtssache.
"Ihre terminologische Gleichsetzung der Methoden von evangelikalen Gruppen mit denen von Maos Umerziehungsprogrammen oder extremen Sekten, die tatsächlich mit Entzug von Privatsphäre, freien Sozialkontakten und Schlaf arbeiten, halte ich für fahrlässig."
Auch hier gibt es qualitative Unterschiede. Sie werden mir vielleicht zustimmen, dass das Christentum aus einer Tradition der radikalen "Missionierung" kommt: Willst nicht dazugehören, dann gibt es Druck, dann brennt man schnell mal für blasphemische Aussagen. Noch heute haben die Kirchen Druckmittel und versuchen, die Gehirne von möglichst jungen Kindern zu konditionieren.
Heute erst habe ich im Radio eine Livereportage aus Speyer gehört, wo gerade der "Luther-Truck" - pardon... das "Reformations-Mobil" steht. Dort wurde salbungsvoll verkündiget, dass man schon Kindern die biblischen Texte nahebringen müsste. Ja, wozu denn? Und warum nicht das Popol Vuh, das Mahabharata, das Gilgamesch-Epos oder die Baghagavad-gita? Oder der Koran, das Buch Mormon, die Edda etc.?
Weil man diese anderen Bücher für falsch hält? Für Quatsch gar? Für Fantasy-Literatur, Märchen und Gleichnisse? Warum ist gerade die nicht minder alte Bibel so viel geeigneter für Kinder? Jeder weiß, dass man Kindern bis zu einem gewissen Alter alles als "wahr" verkaufen kann. Deshalb erzählt man ihnen genau die Märchen aus der Bibel (weil der christliche Klerus bei uns am einflussreichsten ist) und tut so, als hätten gerade deren Geschichten irgendetwas mit uns heute zu tun.
Lieber Herr Schönecker: Für mich ist das Gehirnwäsche mit einem sehr berechnenden Motiv!
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Von Erziehung über Manipulation bis Gehirnwäsche mag es fließende Übergänge geben. Moderne christliche Erziehung ist aber sicher weit weg von Gehirnwäsche.
Was "Bibel und Kinder" betrifft:
Alle Eltern versuchen ihren Kindern das zu vermitteln, was ihnen selbst im Leben als wichtig, schön und hilfreich erscheint. Sei es die Bibel, die Baghavad-Gita, klassische Literatur, Opern, Wandern, fremde Kulturen, die Menschenrechte, gute Freundschaften, Arbeitsfreude, Tierliebe oder Astronomie. Nichts davon ist Gehirnwäsche.
Ich würde Eltern durchaus empfehlen, sie in kindgerechter Weise mit der bibel vertraut zu machen. Nicht alle Stellen sind für Kinder geeignet. So wie auch nicht alle Bergtouren für Kinder geeignet sind.
Wichtig ist, dass den Kindern bewusst ist, dass sie von ihren Eltern immer und bedingungslos geliebt werden - selbst wenn sie sich nicht für Bibel und Glauben interessieren sollten. Rein pädagogisch sehe ich hier keinen Unterschied zwischen Religion und Liebe zu Musik: Die musikalische Erziehung beginnt möglichst früh. Dabei denke ich nicht an Leistungsdruck, sondern daran, dass Kinder Musik hören und mit Lust an der Sache machen. Wenn das Kind dann Musik als bereichernd erlebt, dann ist es gut. Wenn dem Kind Musik völlig egal ist, dann werden die Eltern das bedauern, weil ihrem Kind etwas Schönes entgeht. Es wird aber die Beziehung zwischen Kind und Eltern hoffentlich nicht beeinträchtigen.
Mit religiöser Erziehung ist es ganz genau so.
Keins von beiden hat mit Gehirnwäsche zu tun.
Was konkret die Frage betrifft: Reden wir Kindern ein, dass es Gott gibt?
Genau so könnte man fragen:
Reden wir Kindern ein, dass es Menschenrechte gibt?
oder, genauer: Reden wir Kindern ein, dass Menschenrechte eine gute Idee sind?
Reden wir Kindern ein, dass Familien wichtig sind?
Reden wir Kindern ein, dass es gelingende selbstlose Freundschaften gibt?
Reden wir Kindern ein, dass Männer und Frauen gleich viel wert sind?
Reden wir Kindern ein, dass Rücksicht und Toleranz eine gute Eigenschaften sind?
Lauter unbewiesene (und unbeweisbare) Behauptungen!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Von Erziehung über Manipulation bis Gehirnwäsche mag es fließende Übergänge geben."
Ich stimme Ihnen schon wieder zu.
"Moderne christliche Erziehung ist aber sicher weit weg von Gehirnwäsche."
Erneut: Das ist Ansichtssache.
"Respekt vor und Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen stehen bei uns am Lehrplan; das Aussprechen einer eigenen Meinung ist erwünscht; wir propagieren vertrauensvollen Umgang in der Familie. All das ist das Gegenteil von Gehirnwäsche."
Im Unterricht mag dies hin und wieder so gehandhabt werden.
"Alle Eltern versuchen ihren Kindern das zu vermitteln, was ihnen selbst im Leben als wichtig, schön und hilfreich erscheint. [...] Nichts davon ist Gehirnwäsche."
Betrifft Ihre Einschätzung alle Inhalte, die Eltern vermitteln können, z.B. rassistische, totalitäre, allgemein menschenverachtende? Oder auch falsche Inhalte? Z.B. die Erde wäre flach? Oder es gäbe einen Schöpfer, eine Schöpfung und wir seien Geschöpfe...?
"Ich würde Eltern durchaus empfehlen, sie in kindgerechter Weise mit der bibel vertraut zu machen. Nicht alle Stellen sind für Kinder geeignet. So wie auch nicht alle Bergtouren für Kinder geeignet sind."
Warum? Was haben sie davon? Zumal Ihre empfohlene Selektion zu einem schiefen Bild der Bibel führt: Nämlich, dass dieses Buch etwas Gutes (Die gute Nachricht) sei. Eine Bergtour würde auch ich nach den körperlichen Möglichkeiten wählen.
Doch Berge sind so wie sie sind, die Bibel ist Menschenwerk. Man könnte sie heute neu schreiben, ohne den Unrat, der ca. 90% dieses alten Schinkens ausmacht. Stattdessen empfehlen Sie Selektion, weil man Kindern nicht vor Augen führen soll, wie grausam der himmlische Despot ist, den sie kritiklos anbeten sollen. Das ist unlauter!
"Wichtig ist, dass den Kindern bewusst ist, dass sie von ihren Eltern immer und bedingungslos geliebt werden - selbst wenn sie sich nicht für Bibel und Glauben interessieren sollten."
Sie hätten auch schreiben können, dass Eltern ihre Kinder auch dann lieben sollen, wenn diese keine Bananen mögen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Emotionale Familienbande sind angeboren und haben nichts mit der konsumierten Literatur zu tun. Oder glauben Sie, Eltern hätten ihre Kinder vor Erfindung der Schrift nicht geliebt?
"Rein pädagogisch sehe ich hier keinen Unterschied zwischen Religion und Liebe zu Musik: Die musikalische Erziehung beginnt möglichst früh."
Ich kenne die dummen Sprüche von Theologen über die "religiöse Musikalität", wahlweise die "religiöse Grammatik". Hier wird stets der Versuch unternommen, Religion als etwas Wichtiges, gar Unverzichtbares im Leben darzustellen. Musik und Grammatik sind Ausdrucksformen des Menschen. Genauso, wie Kunst, Erotik, sogar Essen, Kleidung etc.
Dies alles entspringt natürlichen Begierden, die teilweise sogar lebensnotwendig sind. Doch Religion ist - anderen Verlautbarungen zum Trotz - kein natürliches Bedürfnis, sondern das Ergebnis frühkindlicher Indoktrination (um "Gehirnwäsche" zu vermeiden). Ohne die Weitergabe der "religiösen Musikalität" gäbe es ein oder zwei Generationen später keine Religion mehr. Musik, Kunst, Essenskultur, Erotik etc. bricht selbst bei Unterdrückung dieser Grundbedürfnisse aus Menschen heraus, wenn sich die Gelegenheit bietet.
"Was konkret die Frage betrifft: Reden wir Kindern ein, dass es Gott gibt?
Genau so könnte man fragen:
Reden wir Kindern ein, dass es Menschenrechte gibt?"
Sie wollen also Ihren "Gott" den Menschenrechten gleichsetzen? Ausgerechnet mit dem himmlischen Despoten, der in seinem "heiligen" Buch die Menschenrechte regelmäßig mit Füßen tritt? Und dessen Anhänger dann dreist behaupten, die Menschenrechte stammten ja ursprünglich von diesem Diktator?
"oder, genauer: Reden wir Kindern ein, dass Menschenrechte eine gute Idee sind?"
Ich lebe das vor. Kinder begreifen sehr schnell ganz von allein, wenn ihre Rechte gewahrt sind - was gerade die Monotheismen nicht unbedingt propagieren.
"Reden wir Kindern ein, dass Familien wichtig sind?"
Wenn die das Kind umgebende Familie gut zu ihm ist, dann muss ich auch das keinem Kind einreden. Das merkt das Kind von ganz allein.
"Reden wir Kindern ein, dass es gelingende selbstlose Freundschaften gibt?"
Dito.
"Reden wir Kindern ein, dass Männer und Frauen gleich viel wert sind?"
Einem nicht religiös verbogenen Kind muss ich das nicht einreden, sondern durch Vorbild zeigen. Erst die Monotheismen haben die Frau unter den Mann gestellt, weil alle Monotheismen von Männern erfunden wurden - zu deren eigenem Nutzen.
"Reden wir Kindern ein, dass Rücksicht und Toleranz eine gute Eigenschaften sind?"
Das entsprechende Vorleben reicht, um Kinder zu überzeugen, ihre angeborene Empathie nicht verkümmern zu lassen.
"Lauter unbewiesene (und unbeweisbare) Behauptungen!"
Nein! Sie vergleichen, wie alle Theologen, Äpfel mit Birnen. Oder noch deutlicher: Sie bauen unzulässige Argumentationsfiguren auf, indem sie Bekanntes und Alltägliches als "unbeweisbar" darstellen, um Ihren ebenfalls unbeweisbaren "Gott" dazwischen zu mogeln. Wie in diesem blöden Spruch von der Liebe, die auch nicht beweisbar sei. Wenn also die (unbeweisbare) Liebe existiert, dann auch der ebenfalls unbeweisbare "Gott".
Das ist Theologik der untersten Schublade, ein logischer Quark, der auch durch fortgesetztes Treten nicht stark, sondern nur breit wird. Ich frage mich manchmal, ab wann sich Theologen nicht mehr zu schade sind, diesen Unsinn zu verbreiten.
Aber selbst wenn Ihr "Gott" halt einfach unbeweisbar bliebe - weil dies seiner Natur entspräche - und das wäre der Beweis, was wäre damit gewonnen? Der Mann gehörte dann vor den internationalen Gerichtshof und sollte wegen fortgesetzter Verletzung der Menschenrechte und schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und zu ewiger Verdammnis verurteilt werden.
Dieses Gericht würde dann sicher sein "heiliges" Buch nicht selektiv zur Kenntnis nehmen, sondern komplett. Zum Schluss sage ich noch etwas Freundliches zu Ihrem "Gott": "Lieber Gott im Himmel, ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du nicht existierst..."
Norbert Schönecker am Permanenter Link
"Betrifft Ihre Einschätzung (dass nichts davon Gehirnwäsche ist, Anm.) alle Inhalte, die Eltern vermitteln können, z.B. rassistische, totalitäre, allgemein menschenverachtende?"
Ja, so ist es. Gehirnwäsche ist eine METHODE. Was mit dieser Methode dem Opfer eingetrichtert wird, ist nicht Bestandteil des Begriffs "Gehirnwäsche".
Eltern können also mit menschenrechtlich vertretbaren Mitteln ein Kind zum Christen, zum Atheisten oder zum Rassisten erziehen (oder es zumindest versuchen).
Eltern können dieselben Ziele auch mittels zweifelhafter Manipulationen anstreben.
Und Eltern können auch Gehirnwäsche anwenden, um ihre Kinder zu Christen, Atheisten oder Rassisten zu machen.
Einem Kind zu erklären, dass Neger wegen ihres Gehirns zu Faulheit und Diebstahl neigen, halte ich für verbrecherisch. Aber es ist keine Gehirnwäsche. Es ist einfach nur falsch und hetzerisch.
Und genauso sollten auch Sie nicht pauschal jede religiöse Erziehung als Gehirnwäsche klassifizieren. Selbst wenn "Gehrinwäsche" kein klar definierter Begriff ist, so gilt sie doch allgemein als geistig höchst gewaltsamer Eingriff in die Persönlichkeit des Menschen mit dem Ziel, das eigenständige Denken zu verhindern. Gängige Methoden dabei sind: vollständiger Entzug der Privatsphäre; ständige Propaganda; Schlafentzug; Abschneiden bisheriger Sozialkontakte.
Zu behaupten, das "Reformations-Mobil" betreibe Gehirnwäsche, entspricht nicht dem, was üblicherweise darunter verstanden wird.
Wenn mir jemand öffentlich unterstellen würde, dass mein Religionsunterricht samt Bibellesen Gehirnwäsche sei, dann zöge ich ernsthaft eine Verleumdungsklage in Betracht.
"Doch Religion ist - anderen Verlautbarungen zum Trotz - kein natürliches Bedürfnis, sondern das Ergebnis frühkindlicher Indoktrination."
Das bestreite ich. Als Begründung führe ich die Menschheitsgeschichte an. Wir kennen tausende alter Kulturen, und habe erst von einer einzigen ohne Religion gehört. Und dort, wo traditionelle Religionen aufhören, entstehen blitzartig neue Heilsbotschaften und quasi-religiöse Betätigungen: Esoterik, Alternativmedizin, Rassismus und Nationalisums, Fussball (eine imposante Liturgie samt Anbetung und Propheten), Scientology. Es gibt ein Bedürfnis nach Kulthandlungen und nach Heilsbotschaften. Und wenn alte Religionen nicht weitererzählt werden, dann entstehen garantiert neue!
Sie haben mehrmals geschrieben, dass man Freundschaften, Toleranz u.s.w. idealerweise Kindern vorlebt und nicht einredet. Ganz richtig! Und genau dasselbe tun religiöse Eltern und Erzieher. Genau darauf wollte ich hinaus. Wenn Eltern mit ihren Kindern beten, wenn sie ihnen aus der Kinderbibel vorlesen und sie in den Gottesdienst mitnehmen, dann ist das kein "Einreden", sondern ein "Vorleben". Warum sollten Eltern, die an ihrem Glauben Freude haben, just diesen Teil ihres Lebens vor den Kindern verstecken?
Zu Ihren letzten Absätzen: Ich wollte hier keinen Gottesbeweis führen. Ich wollte für das Recht eintreten, dass Eltern ihre Kinder religiös erziehen dürfen, ohne als Gehirnwäscher diffamiert zu werden.
Abgesehen davon: Für mich ist Gott auch alltäglich und bekannt, deshalb durchaus mit Konzepten wie "Liebe" und "Schönheit" vergleichbar. Dass nicht alles, was unbeweisbar ist, deshalb zwingend existieren muss, das habe ich nicht behauptet. Behauptet habe ich nur, dass Eltern ihren Kindern auch Inhalte vermitteln dürfen, die nicht naturwissenschaftlich beweisbar sind.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Und Eltern können auch Gehirnwäsche anwenden, um ihre Kinder zu Christen, Atheisten oder Rassisten zu machen."
Das ist unbestreitbar. Die Frage ist nur, was einfacher ist: Einem Kind mit allerlei Trick einreden zu wollen, es gäbe einen Mr. Big Zampano oberhalb der siebten Kristallschale oder zu dem Thema einfach zu schweigen, wie es Eltern machen, die diesen Quark halt nicht mehr glauben.
"Einem Kind zu erklären, dass Neger wegen ihres Gehirns zu Faulheit und Diebstahl neigen, halte ich für verbrecherisch. Aber es ist keine Gehirnwäsche. Es ist einfach nur falsch und hetzerisch."
Halten Sie sich doch nicht so an dem Begriff 'Gehirnwäsche' auf. Nennen wir es Indoktrination. Ja, die ist verbrecherisch, aber nicht nur, wenn man Falsches über Schwarze erzählt, sondern auch über Schöpfung etc. Sicher würde das keinen "Gott" beleidigen wie falsche Behauptungen einen Schwarzen beleidigen können. Aber es beleidigt den menschlichen Verstand der Kinder, wenn man ihnen blühenden Unsinn über die Entstehung des Universums weismachen will.
"Gängige Methoden dabei (bei der Gehirnwäsche, Anm.) sind: vollständiger Entzug der Privatsphäre; ..." - was durch Einreden eines unsichtbaren Gottes, der alles sieht, geschieht.
"... ständige Propaganda;..." - was durch dauernde Präsenz in der Öffentlichkeit (in Nichtgottesstaaten heute weniger, aber immer noch zu viel, in islamischen Ländern von früh bis spät) geschieht.
"... Schlafentzug;..." - das ist wohl nur in extremen Fällen religiöser Erziehung der Fall.
"... Abschneiden bisheriger Sozialkontakte." - Gerade das ist immer gelebte Praxis religiöser Erziehung gewesen. Heute machen das z.B. die Zeugen Jehovas oder praktizierende Muslime geradezu exzessiv.
"Zu behaupten, das "Reformations-Mobil" betreibe Gehirnwäsche, entspricht nicht dem, was üblicherweise darunter verstanden wird."
Der Luther-Truck... pardon, das Reformations-Mobil sicher nicht. Dafür ist der Kontakt zu kurz. Es ging um diese heuchlerische Selbstverständlichkeit, Kindern den Unsinn der Bibel als Realität zu verkaufen. Das muss früh beginnen und in Kindergarten und Schule fortgesetzt werden, um zu wirken.
"Wenn mir jemand öffentlich unterstellen würde, dass mein Religionsunterricht samt Bibellesen Gehirnwäsche sei, dann zöge ich ernsthaft eine Verleumdungsklage in Betracht."
Auch der Religionsunterricht ist nur ein Bestandteil dieses Erziehungsprogramms. Glauben Sie ernsthaft, irgendjemand würde an jungfräuliche Mütter, auferstehende und himmelfahrende Zombies u.ä. glauben, auch wenn er von äußerlich seriös erscheinenden Lehrer dazu angehalten wird, wenn nicht bereits vorher eine religiöse Indoktrination in Familie und Kindergarten stattgefunden hätte? Der Religionsunterricht allein würde Kindern kaum mehr als ein spöttisches Grinsen abverlangen, wenn man ihnen - dann quasi aus heiterem Himmel - erzähle, die Erde sei von einem Weltraumgeist erschaffen worden. Auch die feierlich übertragenen Travestie-Shows - Sonntagsmessen genannt - tragen ihren Teil dazu bei, die "Seriosität" von Religion zu zementieren. Deswegen finden diese Shows ja statt. Deutschland sucht den Superprediger...
""Doch Religion ist - anderen Verlautbarungen zum Trotz - kein natürliches Bedürfnis, sondern das Ergebnis frühkindlicher Indoktrination."
Das bestreite ich. Als Begründung führe ich die Menschheitsgeschichte an. Wir kennen tausende alter Kulturen, und habe erst von einer einzigen ohne Religion gehört."
Dann ist auch Monarchie oder Diktatur ein natürliches Bedürfnis, denn auch das gab es in der Geschichte zuhauf. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass Religion eventuell zu einem ganz bestimmten Zweck erfunden wurde und dann mittels Repressionen und Techniken, die an Gehirnwäsche erinnern, in die Gesellschaft getragen wurde? Dass dabei ein magisch-teleologisches Denken ausgenutzt wurde, eine Spiritualität, die einen ganz anderen Sinn hat, als an Weltraumgeister zu glauben?
"Und dort, wo traditionelle Religionen aufhören, entstehen blitzartig neue Heilsbotschaften und quasi-religiöse Betätigungen: Esoterik, Alternativmedizin, Rassismus und Nationalisums, Fussball (eine imposante Liturgie samt Anbetung und Propheten), Scientology."
Richtig! Doch das macht Religion nicht richtiger und schon gar nicht "natürlicher". Es zeigt nur die Anfälligkeit des Menschen für Ideen, wenn sie nur mit der richtigen Lautstärke propagiert werden. Gerade dieses Argument, dass Sie hier vortragen, widerlegt doch die "Natürlichkeit" von Religion und zeigt deren Beliebigkeit. Religionen haben sich ja auch fortlaufend verändert, doch all diese Massenphänomene haben nur dann eine Chance auf dem Markt, wenn die Bildung unterdrückt wird und die Medien ausreichend gleichgeschaltet sind.
"Es gibt ein Bedürfnis nach Kulthandlungen und nach Heilsbotschaften. Und wenn alte Religionen nicht weitererzählt werden, dann entstehen garantiert neue!"
So, wie die von Ihnen aktuell propagierte Heilsbotschaft auch irgendwann neu war - und genauso sicher irgendwann vergessen sein wird. Nur reale Erkenntnisse haben eine Chance, dauerhaft zu bleiben, bis sie widerlegt wurden.
"Sie haben mehrmals geschrieben, dass man [...] idealerweise Kindern vorlebt und nicht einredet. Ganz richtig! Und genau dasselbe tun religiöse Eltern und Erzieher. Genau darauf wollte ich hinaus. Wenn Eltern mit ihren Kindern beten, wenn sie ihnen aus der Kinderbibel vorlesen und sie in den Gottesdienst mitnehmen, dann ist das kein "Einreden", sondern ein "Vorleben"."
Das ist Ansichtssache. Wenn die Eltern mit ihren Kindern in den Zirkus gehen, dann reden sie ihnen nicht ein, dass der Zauberer wirklich zaubern oder die Bauchrednerpuppe wirklich sprechen könne. Doch die "Wunder" eines Jesus sollen geglaubt werden. Oder habe ich da eine Entwicklung in der Kirche verschlafen?
"Zu Ihren letzten Absätzen: Ich wollte hier keinen Gottesbeweis führen. Ich wollte für das Recht eintreten, dass Eltern ihre Kinder religiös erziehen dürfen, ohne als Gehirnwäscher diffamiert zu werden."
Dann sollten Sie Ihre Argumentation überdenken.
"Abgesehen davon: Für mich ist Gott auch alltäglich und bekannt, deshalb durchaus mit Konzepten wie "Liebe" und "Schönheit" vergleichbar."
Das dies ausschließlich in Ihrer Fantasie so erscheint, ist Ihnen aber schon bewusst? Ich habe nichts gegen Fantasie, ganz im Gegenteil, sie ist sehr inspirierend. Aber eine gesunde Distanz sollte man den Früchten der Fantasie gegenüber schon aufbringen.
"Dass nicht alles, was unbeweisbar ist, deshalb zwingend existieren muss, das habe ich nicht behauptet."
Aber Sie verwenden diese typischen Argumentationsfiguren.
"Behauptet habe ich nur, dass Eltern ihren Kindern auch Inhalte vermitteln dürfen, die nicht naturwissenschaftlich beweisbar sind."
Wenn dies mit dem nötigen Vorbehalt geschieht, wäre ich der Letzte, der etwas dagegen hätte. Nur das Denken neuer Gedanken bringt uns Menschen weiter. Aber gerade hier - das sollten Sie zugeben können - schwächelt das religiöse Konzept. Noch heute werden Menschen in Gottesstaaten dafür umgebracht, wenn sie nicht die Realität dieses "nicht naturwissenschaftlich Beweisbaren" vorbehaltlos anerkennen. Das Christentum war hier vor nicht allzu langer Zeit keinen Deut besser. Im Gegenteil: naturwissenschaftliche Erkenntnis wurde als Teufelszeug zurückgewiesen.
Mit Verlaub: Ihre verharmlosende Sicht auf religiöse Indoktrination zeigt mir - weil ich Sie für geschichtlich ausreichend gebildet erachte -, dass sie hier bewusst verharmlosen. Und das finde ich nicht in Ordnung.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
"Halten Sie sich doch nicht so an dem Begriff 'Gehirnwäsche' auf."
Doch, das tue ich. Gehirnwäsche ist ein Verbrechen, sie gehört verboten und bestraft. Ich denke, da sind wir uns einig.
Wenn sie es als Gehirnwäsche bezeichnen, Kindern die Bibel nahebringen zu wollen, dann resultiert daraus, dass diese Tätigkeit verboten und bestraft gehört.
Das ist nicht harmlos. Ich weiß nämlich, dass es tatsächlich Menschen - auch Atheisten - gibt, die das wirklich so sehen, mit dem Slogan "Religionsfreiheit ist nur dann gut, wenn sie "Freiheit von Religion" meint". Genau diese Position wird durch Ihre Terminologie unterstützt.
Aus Ihrem letzten Posting schließe ich soeben bei erneutem Lesen, dass Sie zu diesen Menschen gehören. Sie halten religiöse Erziehung für "Indoktrination" und für "verbrecherisch" (zumindest, wenn es um Schöpfung geht; im Kontext offenbar auch, wenn es um einen allgegenwärtigen Gott geht).
Wenn es nach Ihnen ginge, dann würde ich also wegen meiner Tätigkeit in Pfarre und Schule gerichtlich belangt und womöglich eingesperrt werden - wie das halt mit Verbrechern geschieht.
Das eröffnet mir einen ganz neuen Blick auf den Humanismus, den Sie ja einigermaßen offiziell vertreten.
Herzlichen Dank für diese Erkenntnis.
Zum Glück habe ich in den Wochen Ihrer Abwesenheit in diesem Forum auch ein paar ganz andere Humanisten kennengelernt.
Hans Kramme am Permanenter Link
N. Schönecker,
nichts für ungut, aber Ihre Antwort erinnert sehr an die eines beleidigten Kindes, dem die Argumente ausgegangen sind. Wenn Sie Gehirnwäsche als ein Verbrechen konstruieren, dann ist das Ihre eigene, persönliche Lesart. In unserem Strafgesetzbuch steht dazu meines Wissens nach nichts explizites und was Herr Kammermeier damit gemeint hat, hat er doch deutlich gemacht: Indoktrination.
--"Religionsfreiheit ist nur dann gut, wenn sie "Freiheit von Religion" meint". Genau diese Position wird durch Ihre Terminologie unterstützt.--
Das kann man anhand der Beiträge nicht nachvollziehen. Wo denn? Und: eine solche Position kenne ich von keinem Menschen, auch keinem Atheisten. Schon eher: "Religionsfreiheit ist dann gut, wenn sie auch "Freiheit von Religion" meint". So wird ein Schuh draus.
--Wenn es nach Ihnen ginge, dann würde ich also wegen meiner Tätigkeit in Pfarre und Schule gerichtlich belangt und womöglich eingesperrt werden - wie das halt mit Verbrechern geschieht.--
Da schießen Sie aber weit über das Ziel hinaus. Wie gesagt, das gilt allenfalls für Ihre Konstruktion, ich lese die Beiträge von Herrn Kammermeier komplett anders.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Ich bin nicht so leicht zu beleidigen.
Aber wenn Menschen wie Herr Kammermeier an die Macht kommen sollten, dann muss ich mich offenbar fürchten. Und zwar begründet.
Die Stelle mit dem Wort "Indoktrination" lautet ja bei ihm so: "Nennen wir es Indoktrination. Ja, die ist verbrecherisch ...". Das Wort "verbrecherisch" empfinde ich nicht als harmloser als das Wort "Gehirnwäsche". Was würden Sie denn als Machthaber mit Menschen tun, die verbrecherisch handeln? Zu einer Diskussion einladen oder vor Gericht stellen?
Gehirnwäsche im engeren Sinn ist üblicherweise mit Freiheitsentzug verbunden und somit meistens strafrechtlich relevant.
Die Aussage bzgl. Religionsfreiheit habe ich schon mehrmals im Forum der Kronenzeitung gelesen, wo viele Menschen anonym und deshalb sozial ungefiltert drauflospoltern. Und der Kommunismus betrachtet sich selbst bekanntlich als atheistisch und hat diese Art der "Religionsfreiheit" mancherorts recht intensiv praktiziert. Teilweise mit Argumenten, die denen des Herrn Kammermeier ähneln (Schutz der Kinder vor Indoktrination).
Ich habe ja durchaus die Hoffnung, dass es sich bei Herrn Kammermeiers Beiträgen um satirisch gemeinte Überspitzungen handelt. Da es aber eben auch Menschen gibt, die das wörtlich so meinen, erscheinen mir diese Formulierungen als gefährlich.
Würde ich atheistische Erziehung als verbrecherisch bezeichnen, weil sie dem Kind das Recht auf Religion nimmt, dann würde man mir wahrscheinlich unterstellen, ich wollte zur Zeit der Scheiterhaufen zurück.
Nun, ich nehme nicht an, dass Humanisten sich nach dem Terror der Französischen Revolution samt Lynchjustiz an praktizierenden Katholiken sehnen. Dann sollten sie aber auch Formulierungen wie obige unterlassen und nicht auch noch verteidigen.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Lieber Herr Schönecker,
Zitat: "Würde ich atheistische Erziehung als verbrecherisch bezeichnen..."
Sie scheinen nicht zu wissen, was "atheistisch" bedeutet.
Menschen mit atheistischer Einstellung halten den Glauben erwachsener Menschen an die Existenz unsichtbarer und unbeweisbarer Geister, die in unser Leben eingreifen für - sagen wir mal höflich - sehr schräg. Sie lehnen diese Vorstellungen ab, weil sie sonst auch keinen guten Grund hätten, die Existenz der Zahnfee, von Frau Holle oder Harry Potter abzulehnen. Denn auch die sind unsichtbar, unbeweisbar und greifen angeblich in unser Leben ein. Und dann wird es schwierig.
"Atheistische Erziehung" bedeutet also nichts weiter, als seinem Kind klar zu machen, dass diese Geister nicht existieren und religiöse Menschen nichts weiter tun als Märchen zu erzählen und problematisch wird das Ganze erst, wenn versucht wird, den Glauben an diesen Unfug mit Druck oder sonstigen repressiven Methoden durchzusetzen.
Ihr "Recht auf Religion" sollen Kinder erforschen, wenn sie alt genug sind, ihr Recht auf andere Drogen oder Selbstverstümmlung zu erkunden. Und all diese Rechte hat man als Erwachsener, Kinder sollten davon ferngehalten werden.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
S.g. Herr Büchner!
Danke für die Aufklärung, aber mir ist durchaus bekannt, was Atheismus heißt. Ich treibe mich ja schon länger auf dieser Seite herum.
Da ich Gott für durchaus real und erlebbar halte, möchte ich Kindern diesen Teil der Wirklichkeit nicht vorenthalten. Da Atheisten Gott für nicht real halten, möchten sie Kinder von dieser potentiell gefährlichen Illusion fernhalten. So weit, so klar, so unlösbar.
Meine Frage, die mich in den letzten Postings zu diesem Thema interessiert hat, war aber eine durchaus beantwortbare:
Wie weit ist Meinung unter Humanisten verbreitet, dass religiöse Erziehung verbrecherisch ist?
Da "religiöse Erziehung" ein weit gefasster Bereich ist, möchte ich sie an einem kurzen Satz festmachen: "Gott hat die Welt erschaffen und ist immer noch unsichtbar da." (wobei "Welt erschaffen" nicht zwingend mit Leugnung der sogenannten Makroevolution verknüpft ist)
Nach weitgehendem Sprachkonsens würde "verbrecherisch" bedeuten, dass Eltern, die ihre Kinder religiös erziehen wollen, ihr Sorgerecht verlieren und vor Gericht gestellt, bei Schuldspruch (wenn sie bereits religiös erzogen haben) auch verurteilt und möglicherweise eingesperrt werden.
Zur Klarstellung: Ich meinerseits halte atheistische Erziehung für falsch, aber nicht für verbrecherisch.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Religiöse Erziehung ist nicht "verbrecherisch", wenn man mit "verbrecherisch" nur Handlungen bezeichnet, die unser Strafrecht unter Strafe stellt.
Allerdings ist es ethisch höchst zweifelhaft, kleinen Kindern Märchen zu erzählen und lebenslang auf der Wahrheit dieser Märchen zu bestehen. Viele Menschen sind dadurch derart indoktriniert, dass sie im Erwachsenenalter überhaupt nicht mehr in der Lage sind, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Dies wissend, kann man es schon als sehr nahe am Verbrechen bezeichnen, Kindern das Hirn mit diesem Unfug vollzublasen, ohne sie darauf hinzuweisen, dass es einen Realitätsbezug dieser Märchen nicht gibt.
Thomas Göring am Permanenter Link
Offenbar verdrängt hier der Evangelikalismus (in einigen verschiedenen Erscheinungsformen) den bislang (d.h. jahrhundertelang!) vorherrschenden Katholizismus. Woran könnte das liegen? Was ist da passiert?
Und interessant wäre zudem auch eine Untersuchung des Umgangs besagter Evangelikalismus-Spielarten miteinander, und wer von ihnen hauptsächlich auf welche wirtschaftlichen Verbände und politischen Parteien & Organisationen einwirkt. Denn ich kann nur schwer glauben, dass diese evangelikalen Drogenbekämpfer & Drogenprofiteure, selbstlose Helfer der Armen und eigennützige Ausbeuter derselben, usw. friedvoll & einträglich miteinander verkehren. Ohne jede Konkurrenz untereinander, d.h. ohne Machtkämpfe mit allen Bandagen dürfte das zumindest bei einigen dieser Herrschaften nicht abgehen.
Und dann stellt sich mir noch die Frage nach möglichen internationalen Verflechtungen derartiger Kirchen etwa in Richtung USA.