Bolsonaro sieht sich auf göttlicher Mission

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Jair Bolsonaro
Jair Bolsonaro

In Brasilien tobt der Wahlkampf zwischen dem rechtsradikalen Populisten und Amtsinhaber Jair Bolsonaro und dem linken Lula da Silva. Verstörend dabei: Es geht nicht nur um politische Programme und Aspekte, eine ähnlich wichtige Rolle spielt der christliche Glaube.

Das war früher anders. Als Brasilien zu fast 100 Prozent katholisch war, spielten religiöse Fragen im Politalltag keine große Rolle. Doch seit die evangelikalen Freikirchen zum Machtfaktor geworden sind, hat der Wind gedreht. Heute müssen die Kandidaten um die superfrommen Christen buhlen. Ohne die Gunst der freikirchlichen Wähler sinken die Wahlchancen der Kandidaten stark.

Das hat zwei Gründe: Die Freikirchen missionierten in den vergangenen paar Jahrzehnten so erfolgreich bei den Katholiken, dass sie nun rund 30 Prozent der Bevölkerung stellen. Und: Freikirchen nutzen hemmungslos das politische Parkett, um ihren Machteinfluss auszubauen.

Der Wahlkampf in Brasilien erinnert an die Präsidentschaftswahlen in den USA. Bei der Ausmarchung von 2016 biederte sich Donald Trump bei den Freikirchen an und versprach den Gläubigen, die Botschaft in Israel von Tel Aviv ins heilige Jerusalem zu verlegen und für schärfere Abtreibungsgesetze zu kämpfen. Beides Postulate der Freikirchler, die mehr mit Politik als mit Religion zu tun haben.

Trump hielt Wort und wird seither von den Evangelikalen als Heilsbringer verehrt. Gott habe an ihm eine Wandlung von Saulus zu Paulus vollzogen, verkündeten manche Pastoren anschließend von der Kanzel.

Unterirdisches Niveau

Auf welchem unterirdischen Niveau Bolsonaro und viele Evangelikale in Brasilien argumentieren und Wahlkampf betreiben, zeigen folgende Beispiele. In den Sozialen Medien entbrannte eine heftige Diskussion, ob Lula da Silva tatsächlich einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sei, wie fromme Christen behauptet hatten.

Dieser sah sich zum Bekenntnis genötigt, er sei ebenfalls ein guter Christ. Denn da Silva weiß, dass Bolsonaro vor vier Jahren die Wahl dank der Stimmen der Evangelikalen gewonnen hatte. Der linke Kandidat muss also einen Teil der Freikirchen-Mitglieder auf seine Seite ziehen können, will er Präsident werden.

Bezeichnend ist denn auch das Wahlkampf-Motto von Bolsonaro: "Brasilien über alles, Gott über allen." Pikant dabei: Er ist katholisch. Den freikirchlichen Flügel deckt aber seine Frau Michelle ab, eine glühende evangelikale Christin.

Um für Evangelikale wählbar zu werden, ließ sich Bolsonaro schon vor dem ersten Wahlkampf von einem freikirchlichen Pastor im Jordan taufen. Prompt stimmten fast 70 Prozent der frommen Christen für ihn. Seither ist Bolsonaro ein religiöser Zwitter: halb katholisch, halb evangelikal. Pikant dabei: Für viele Evangelikale ist die katholische Kirche eine Sekte.

Es überrascht nicht, dass sich Bolsonaros dritte Frau Michelle mächtig ins Zeug legt, um die Evangelikalen abzuholen. Sie betet gern im Office ihres Ehemannes und postet die Bilder ihrer frommen Geste in den Sozialen Medien. Sie kämpfe gegen Dämonen an, die unter dem Amtsvorgänger da Silva den Präsidentenpalast in Beschlag genommen hätten.

Angeblich erfolgreich: "Der Präsidentenpalast, der früher dem Teufel geweiht war, gehört heute Gott, unserem Herrn", verkündete sie und fügte an: "Auf dem Präsidentenstuhl sitzt jetzt Jesus Christus!" So geht Trennung von Kirche und Staat in Brasilien.

Bei einer Veranstaltung in einer Baptistengemeinde sagte Bolsonaro: "Ich bin auf einer von Gott bestimmten Mission." Seine Frau doppelte nach, sie würden sich in einem Krieg gegen das Böse befinden. Gott habe sie dafür rekrutiert. Dabei ließ der Macho Bolsonaro ein paar publikumswirksame Tränen über die Wangen kullern.

Die mobilisierten evangelikalen Bolsonaro-Anhänger gingen noch weiter. Manche behaupteten, der linke da Silva werde bei einer allfälligen Wahl sämtliche Gottesdienste verbieten lassen. Wie die Reaktionen in den Sozialen Medien zeigen, halten viele Gläubige diese Fake News für plausibel. Dass dies in einem Land, das die Religionsfreiheit in der Verfassung verankert hat, kaum umsetzbar ist, scheinen sie nicht zu bedenken.

Absurde Vorwürfe

Vollends absurd ist der Vorwurf aus dem Bolsonaro-Lager, da Silva würde als Präsident anordnen, dass der Name von Jesus aus den Bibeln entfernt werden müsste. Auch diese Kuriosität scheint bei manchen Freikirchlern zu verfangen, wie die Reaktionen zeigten.

Doch auch Bolsonaro griff zu drastischen Bildern und Argumenten. Er sei wie die Evangelikalen homophob, verkündete er voll Stolz. Um seine Überzeugung zu unterstreichen, sagte er: "Ich könnte keinen schwulen Sohn lieben. Ich hätte lieber, dass er bei einem Autounfall sterben würde."

Wie in den USA und überall auf der Welt spielt auch die Abtreibungspolitik im brasilianischen Wahlkampf eine wichtige Rolle, denn die Evangelikalen sind auf diese Frage fixiert. Man kann es sogar Besessenheit nennen. Deshalb behauptet das Bolsonaro-Lager, da Silva werde bei einer allfälligen Wahl Abtreibungen legalisieren.

Die Instrumentalisierung der Religionen und Gläubigen durch Politiker ist ein Unding. Und ein politischer Missbrauch. Wozu die Vermischung im Extremfall führt, zeigen die Islamisten, die mit Gewalt Gottesstaaten einrichten wollen. Exemplarisch demonstrieren es die Mullahs im Iran mit ihrer brutalen Repression der Frauen. Manche sterben im Kampf für ihre Freiheit. Allein schon das Ablegen des Kopftuches kann ein Todesurteil sein.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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