In Brasilien sind die evangelikalen Christen auf dem Vormarsch

Dämonenglaube, Homo-Hass und gute Geschäfte

Einmal pro Stunde wird in Brasilien eine neue Kirche gegründet: 67.951 Stück sind seit Januar 2010 dazu gekommen, so meldete es kürzlich "O Globo". Das Land, von dessen Zuckerhut aus der Erlöser als Testimonial des Katholizismus seit 1931 grüßt, erlebt in den letzten Jahren einen erstaunlichen Boom evangelikaler Kirchen mit ihrem ganz speziellen Verständnis der christlichen Botschaft. Der Glaube an Magie, Dämonen und den Teufel wird hier wiederbelebt, Exorzismen werden zelebriert, es wird in Zungen gesprochen - und vor allen Dingen: Fleißig Geld eingesammelt.

Die Freikirche "Igreja Universal do Reino de Deus" ("Universalkirche des Königreichs Gottes") etwa hat in Rio einen furchtbar hässlichen Tempel errichten können, der einen ganzen Häuserblock einnimmt.

Je größer Armut und Not sind, desto besser lässt sich mit Glaubensversprechungen Geld machen: Einmal mehr funktioniert das Jahrhunderte alte Paradox auch im heutigen, immer weiter abwirtschaftenden Brasilien.

Im Tempel wird nicht nur eine Multimediashow geboten, die die mittelalterlichen Inszenierungen der katholischen Kirche locker wegpustet, auch stehen dienstbare Priester überall bereit mit Kartenlesegeräten.

Catedral Mundial da Fé in Rio de Janeiro (wikimedia, CC BY-SA 3.0)
Catedral Mundial da Fé in Rio de Janeiro (wikimedia, 

CC BY-SA 3.0)

Die Kirche erwartet ein Zehntel des Einkommens von ihren Gläubigen und verspricht ihnen, wenn sie nur fest genug glauben und zahlen, Wohlstand in der Zukunft – strukturell der klassische Trickbetrug: Zahl du mir heute etwas, dann bekommst du in der Zukunft unermesslichen Reichtum. Dass die evangelikale Massenbewegung tatsächlich Reichtum generiert hat, lässt sich dabei nicht verleugnen. Denn längst ist "Igreja Universal"-Gründer Edir Macedo Milliardär, seine TV- und Radiosender decken einen Großteil Brasiliens ab, seine Anklagen wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Veruntreuung von Spendengeldern, Betrug und Bildung einer kriminellen Vereinigung hat er bis auf Weiteres überstanden. Und die neue evangelikale Bewegung macht auf dem Gebiet der Glaubens- und Gelderzeugung nicht halt. Immer mehr mischt sie auch im politischen Brasilien mit.

Macedos Neffe Marcelo Crivella, einst als Missionar in Afrika und als Gospelsänger auf Youtube unterwegs, ist seit letztem Herbst amtierender Bürgermeister von Rio, der trubeligen Karnevalsstadt, er bezeichnet sich als Kreationist und seine Liste an bizarren Äußerungen ist lang:

Das Gesundheitswesen könne durch Geisteraustreibungen verbessert werden, hat er bereits wissen lassen. Homosexualität sei das Resultat von missglückten Abtreibungsversuchen.

In einem Buch von 1999 wusste Crivella zu berichten, dass Hindus das Blut von Kindern trinken.

Crivellas Aufstieg zum Bürgermeister ist dabei alles andere als eine Laune der demokratischen Willensbildung. Seit Jahren sind die Evangelikalen hier auf dem Vormarsch, ihr Block im brasilianischen Parlament hat sich als durchsetzungsfähig und diszipliniert erwiesen, an der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff im vergangenen Jahr waren sie entscheidend beteiligt.

Nicht zufällig ist seitdem ein evangelikaler Christ Präsident des Landes: Michel Temer hat kürzlich erstmals globale Aufmerksamkeit erlangt, als er aus dem Präsidentensitz wieder auszog. Weil er dort nicht schlafen könne. Und als Begründung nahelegte: "Könnten dort Gespenster sein?"

Der Spott der ganzen Welt war ihm sicher, und doch lacht er derzeit noch lauter als alle aufgeklärten Geister zusammen. Denn er ist weiterhin Präsident, ihn schert die moderne Welt wenig, er hat es fertiggebracht, sein erstes Kabinett ausschließlich aus weißen Männern bestehen zu lassen; und das in einem bunt durchmischten Land wie Brasilien, dem fünftgrößten der Welt, 203 Millionen Einwohner, von denen es den meisten seit Jahren immer schlechter und schlechter geht, und alle Gebete haben nicht helfen können bislang.